Virtuelle Ethik. Dirk Schumacher

Virtuelle Ethik - Dirk Schumacher


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informationstechnische Anwendungen von Wille, Freiheit und Bewusstsein zu implementieren. Das Thema ist nicht einmal weit her geholt. Was soll z.B. ein Roboter, der alten Menschen oder im Krankenhaus hilft, machen, wenn ein Befehl an ihn seiner Grundprogrammierung widerspricht? Wie soll der Roboter sich am besten verhalten, wenn der Mensch verstehen soll, dass der Roboter das nicht machen möchte ohne über die Technik zu schimpfen? Der Roboter muss dem Menschen durch sein Verhalten das Gefühl geben einen eigenen Willen zu haben und in seiner Individualität, den Menschen dazu zwingen seinen Befehl zu überdenken. Ein einfaches ERROR oder NEIN reicht nicht. Der Roboter muss z.B. unterwürfig aber bestimmt die Handlung negieren, sie anfangen, aber nicht zu Ende führen. Nur dann versteht das ein Mensch. Hier ist diese Art der Erforschung des Bewusstseins z.B. sehr hilfreich.

      Was bleibt ist ein fader Nachgeschmack. Denn was in der Philosophie, Soziologie, Psychologie an Erfahrung und Definition für Bewusstsein, Ich und Menschsein entstanden ist und in welchem Zusammenhang es zur Geschichte steht, darin versucht sich Roth nicht sehr erfolgreich. Er steht in einer Tradition von anderen, in ihrem Fach sehr erfolgreichen Forschern, die auch versuchten ihre Erkenntnisse über Evolution, Entwicklung und Bewusstsein zu verallgemeinern (ich erinnere an Julian Jaynes, Ilya Prigogine, Matt Ridley oder Michael Tomasello). Was in jedem Fall vergessen wurde sind die Zusammenhänge von eigener Ansicht, eigenem kulturellem Hintergrund, gesellschaftlichen, sozialen Einflüssen und den Strukturen der Sprache. Nur eine Theorie, die diese Aspekte mit vereinnahmt und interdisziplinäre Strukturen bildet, kann nachhaltig Wirkung zeigen. Es geht nicht darum funktionelle Logiken zu entwickeln, die widerspruchsfrei sind, sondern darum nützliche, tragfähige Theorien, die in unserem Menschsein vervielfältigt werden können. Nicht das seine Theorie die Wahrheit treffen würde. Denn Wahrheit an sich ist schon so diskussionswürdig und verdächtig, dass man am besten das Wort davon abwendet. Das wäre ja so, als wenn das Bewusstsein wirklich im Gehirn sitzen würde. Aber nein. Wir haben über die Jahrhunderte gelernt, wie sich unser gemeinsames Denken weiterentwickelte, zu einem funktionalen, kausalen Begründungszusammenhang, der es auch ermöglicht, den Menschen als Funktion zu sehen und in seiner Funktion arbeiten zu lassen. Unser ganzes Wirtschafts- und Versorgungssystem beruht darauf, das der Mensch sich selber als Funktion, als Arbeiter, als Manager, als Mutter, als Politiker, ja sogar als Verbrecher, als Mafiaboss sieht. Und nun ist es möglich in diesem funktionalem Denken einen gewissen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Gefühl und Handlung (es sind alles Funktionen) zu sehen und diesen Zusammenhang an einen Ort zurückzuverfolgen, der genau diese Komponenten in uns als Einzelwesen funktional kombiniert. Im assoziativen Cortex. Das menschliche Bewusstsein ist viel mehr als eine Rückkopplungsschleife zwischen Motorik, Emotion und sensorischem Eindruck. Bewusstsein bildet sich aus der gesamten Geschichte des Einzelwesens heraus, aus dem was uns im sozialen Verbund gelehrt wurde und was wir über uns und unsere Fähigkeiten integriert haben. Als menschliches Wesen bewusst handeln zu können, musste erst über den sozialen Verbund, der uns umgibt, in der Geschichte entwickelt werden. Er wird zu einem Begriff geformt und uns als Kind übergeben in ein Nest, das vielleicht der assoziative Cortex zur Verfügung stellt. Und in unserem Bewusstsein wird all dieses versammelt, was wir in unserem Leben spüren. Im Inneren sind es die Erinnerungen, Bilder. Von Außen gesehen unsere Biographie, unser Leben. Doch ohne das für uns physikalisch vorhandene funktionale Bett des assoziativen Cortex und der Symbolik der menschlichen Gemeinschaft wären Erinnerungen und Biographien inhaltsleer.

      Es ist nicht so, dass Roth nicht auf geisteswissenschaftliche Argumente eingeht und sie diskutiert. Es ist vielmehr so, dass er aus seinen Erklärungen neurophysiologischer Grundlagen geisteswissenschaftliche Probleme zu lösen versucht. Obwohl er an seinen Aussagen an Genauigkeit und Konsequenz nicht zu übertreffen ist, bleibt ihm wie Freud und Gergen der nächste logische Schritt verwehrt. Er zaudert und sieht immer noch, den Menschen alleine, als Funktion für sich. Ich möchte versuchen aufzuzeigen warum das so ist und werde später auch auf die ähnlichen Argumente von Michael Tomasello eingehen. Denn im Hintergrund steckt eine Frage, die ich mir versuchte immer wieder zu stellen. Doch bei dieser Frage ist es wie bei dem neurophysiologischen Prozess des Bewusstwerdens. Sie findet für uns in einem blinden Fleck statt und ist sehr schwierig überhaupt zu stellen.

       Es ist die Frage: „Kann ich alleine denken?“

      Roth unterscheidet Bewusstsein, bewusstes Denken, Ich und Persönlichkeit, sowie Verständnis- und Handlungsmöglichkeiten. Bewusstsein wird aus Bewusstseinszuständen erzeugt, wie Wahrnehmung, Denken, Vorstellen, Erinnern, Emotionen, Icherlebnis, Körperbewusstsein, Kontrollbewusstsein über das eigene Handeln, Bewusstsein im Laufe der Zeit und im Raum, Realitätsbewusstsein und der Möglichkeit Vorstellung und Träume davon zu trennen. Diese Bewusstseinszustände teilen sich auf in ein Aktualbewusstsein und ein Hintergrundbewusstsein und bilden zusammen den Strom des Bewusstseins. Die Bewusstseinsprozesse können somit bestimmten Hirnprozessen zugeordnet werden und spielen eine Rolle bei der Zuordnung von kontrollierten und automatisierten Prozessen. Bewusstsein wird aufgrund von Hirnfunktionalitäten zu einer Funktion des Gehirns. Das hat sicherlich Vorteile bei der Zuteilung und Strukturierung von Gehirnprozessen. Gleichzeitig verliert der Begriff des Bewusstseins allerdings viel von seinem sozialen, intellektuellen und geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Er wird auf Gehirnfunktionalitäten reduziert. Eine Reduzierung des Begriffes bedeutet leider auch, das bei Diskussionen der Begriff argumentative Implikationen verliert. Er wird nicht mehr so schlagkräftig. Roth hat das wahrscheinlich gespürt, in dem er auf die andern zusätzlichen Begriffe eingeht.

      Bewusstes Denken entsteht durch die Rückkopplungsschleifen aus dem assoziativen Cortex. Es zeichnet sich aus durch unterscheidbare Wahrnehmungszustände. Deren Wichtigkeit wird noch unterstützt durch die hohen Energie und Stoffumsätze, die dabei entstehen und das Gehirn zwingen so weit wie möglich Denkprozesse in unbewussten, nicht so kontrollierten Umgebungen ablaufen zu lassen. Bewusstes Denken ist daher etwas anderes als Bewusstsein. Im Gegensatz zu den Bewusstseinszuständen ist Bewusstseins ein Wahrnehmungszustand, der sich durch hohe Kontrolliertheit und hohen Energieverbrauch auszeichnet.

      Roth geht beim Ich den gleichen Weg wie beim Bewusstsein. Es werden affektive Zustände des Körpers definiert, die es ermöglichen mit Funktionen des Gehirns verbunden zu werden.

      Das Ich zeichnet sich aus durch Verbindungen zum Körper, Orte, Umgebungen, Ich, Gedächtnis und der Reflexion des eigenen Denkens mit eigenem Gewissen. Das Ich entwickelt sich aus dem Lernen der Unterscheidung der Empfindungen vom eigenen Körper und der Umwelt. Ich Zustände lassen sich den überlappenden Netzwerken cortikaler und subkortikaler Zentren zuordnen. Ein starkes Symbol der Entwicklung ist die Wahrnehmung des Selbst im Spiegel, was bisher nur sehr wenige Tiere geschafft haben, für uns Menschen aber ab dem Kindesalter von 15-24 Monaten völlig normal ist. Die Entwicklung des Ich's kann in der Gehirnentwicklung nachvollzogen werden. Die Funktionen des Ich's sind: (1) das Zuschreibungs-Ich; (2) das Handlungs-Ich und Willen-Ich; und (3) das Interpretations- und Legitimations-Ich.

      Während das Ich auf einen bestimmten Wahrnehmungszustand zurückverfolgt werden kann, entsteht Persönlichkeit aufgrund der emotionalen Befindlichkeiten während des Gehirnwachstums. Der Zusammenhang zwischen Lernen, d.h. emotionalen Zuständen, die aus emotionalen positiv- oder negativ konditionierten Phasen herrühren, und vom Wechselspiel zwischen limbischem und cortico-hippocompalem System herrühren, erschaffen bei jedem Menschen individuell unterschiedliche Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustände, sowie unbewusste Affekt- und emotionale Befindlichkeiten. Diese sind früh geprägt und in ihren Grundzügen stabilisiert. Sie ändern sich im weiteren Verlauf des Lebens wenig. Die Faktoren der Persönlichkeit sind Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrung. Da Persönlichkeit im Lernen von emotionalen und Wahrnehmungszuständen entsteht, ist im Gegensatz zur Ichentwicklung, die Persönlichkeitsentwicklung stark von der äußeren Umgebung abhängig. Die frühkindliche Erfahrung in der Mutter-Kind Beziehung prägen das emotionale Gerüst zwischen Schutzbedürfnis und Geborgenheit, ähnlich wie Enten- und Gänseküken geprägt werden. Und sorgen damit später für die Möglichkeit Gefühle und Motive von anderen einzuschätzen, sein eigenes Verhalten richtig zu verstehen und soziale Beziehungen einzugehen.

      Verstehen und Sprache hängen eng zusammen. Während das Sprachverständnis in einem langwierigen Prozess erlernt wird,


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