Tod eines Milliardärs. Nick Stein
nicht in den Staaten in ähnlicher Form fortzusetzen. Die Morde hatten ihre Zeit gehabt.
Geld hatte sie genug, auch wenn sie sich von ihrer wunderschönen Villa am Lago Maggiore und ihrem Haus mit Atelier am Berliner Schlachtensee hatte trennen müssen. Und auch von ihrem Mobiliar, ihrem sexuell begabten Gärtner und ihren beiden Pekinesen.
Ihre Vorgeschichte hatte ein bis zum Anschlag erfülltes Leben umfasst, trotz ihrer Jugendlichkeit. Standen ihr nun ruhigere Jahre bevor?
Johanna empfand Dankbarkeit, dass sie es geschafft hatte, sich in dieses andere Leben hinüberzuretten, selbst wenn es einen letzten Mord an einer Bekannten erfordert hatte. Eigentlich hatte sie dieser Frau nur einen Wunsch erfüllt. Sie war nicht nur suizidgefährdet gewesen, sie hatte sich nach dem Ende gesehnt.
Auf dem Bildschirm ihres Erste-Klasse-Sitzes liefen Nachrichten. Mehrfach war ein Mann mit rotem Gesicht und gelben Haaren zu sehen, den Johanna verabscheute.
Wenn sie noch einen Mord begehen würde, dann an dem, dachte sie bei sich, alles andere würde sich nicht lohnen und keine Steigerung ihrer Karriere mehr darstellen.
Aber dafür flog sie nicht nach New York.
Sie wusste noch nicht, was sie erwartete. Sie würde ein paar Tage Zeit haben, um sich eine Wohnung zu suchen und sich in der Stadt zurechtzufinden, bevor sie ihre triste Arbeit antreten sollte.
Um den Job auf die Schnelle zu bekommen, hatte sie dieses Mal keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen können.
Die echte Johanna Svensson war eine einsame Frau auf einer menschenverlassenen Insel gewesen, niemand hatte sie bislang vermisst. Immerhin war sie mit einem deutschen Vater und einer schwedischen Mutter mit Englisch als Muttersprache aufgewachsen. Sie hatte Referenzen, die Random House gefallen hatten, den fehlenden Rest hatte Viola dazuerfunden, bevor sie zu Johanna wurde.
Die wirkliche Johanna hatte sie auch auf den Gedanken gebracht, sich in den USA zu bewerben. Johanna hatte schon damals in die Staaten gewollt, als Übersetzerin, und Viola hatte ihr sogar eine sehr nette Referenz geschrieben. Und nun, nach dem letzten Mord, noch eine zweite, dringliche, dass Johanna den Job jetzt bräuchte, um ihrer Einsamkeit zu entrinnen.
Somit war die neue Johanna noch ohne Fehl, und sie gedachte es so zu belassen.
Johanna musste schmunzeln. Sie waren beide tot, Johanna und Viola. Und beide lebten, in Violas Körper und mit Johannas Namen. Was würde ihr diese Fusion bescheren?
Was würde ihr Leben ausfüllen, ohne die frühere Aufregung, den Kitzel, aus fremden Werken und Personen etwas Höheres zu machen? Viola war Lektorin gewesen, die auch als Autorin reüssiert hatte, wenn auch mit fremden Federn und unter anderen Namen.
Ihre eigenen Schreibanstrengungen waren nur von mäßigem Erfolg gekrönt gewesen.
Natürlich würde sie soziale Kontakte aufbauen, Männer kennenlernen und um den Finger wickeln, Frauen manipulieren und für sich einspannen. Sie würde sich in der Kunstszene bewegen und sich dort einen Namen machen.
Dennoch grauste ihr schon jetzt vor der Langeweile, die sie erwartete.
Sie würde eine Chefin haben. Auch etwas, was sie in ihrem glanzvollen früheren Leben nie gehabt hatte, oder nur für kurze Zeit. Jemand würde ihr sagen, was sie zu tun hatte und erwarten, dass sie genau das tat.
Dabei hatte ihre künftige Vorgesetzte, Elizabeth Campbell, am Telefon nett und sympathisch gewirkt. Johanna hatte ihr ein paar Titel vorgeschlagen, die in Deutschland lange auf den Bestsellerlisten gestanden hatten und auch die amerikanische Leserschaft interessieren würden.
Dass dies alles Werke waren, die Viola Kroll ihren Mordopfern entrissen und verlegt hatte, ging Elizabeth nichts an. Johanna würde es den Einstieg in den Job erleichtern, sie kannte diese Werke in- und auswendig. Eines war sogar im Original auf Englisch gewesen, sie hatte aber vieles ändern müssen.
*
Elizabeth holte sie vom Flughafen ab.
»Das ist aber eine Überraschung«, freute Johanna sich. Elizabeth war ihr auf den ersten Blick sympathisch, vor allem ihrer warmen braunen Augen wegen, aus denen der Schalk blitzte.
Sie war kleiner als sie selbst, aber dennoch eine stattliche Erscheinung. Trotz der Wärme, die ihr vor dem Terminal entgegenschlug, trug ihre neue Chefin einen leichten Sommermantel über einem beigen Kostüm.
»Das Schöne an diesem Flug ist, dass man fast zur gleichen Zeit ankommt, zu der man abgeflogen ist.«
Johanna sah auf ihre Uhr. »Keine drei Stunden, und schon bin ich in einem neuen Leben angekommen.«
Elizabeth lächelte, mit regelmäßigen ultraweißen Zähnen wie aus einer Waschmittelwerbung.
»Ist mir eine Freude, dich kennenzulernen«, sagte sie mit einer kräftigen Stimme, der man anhörte, dass diese Frau es gewohnt war, Aufgaben zu verteilen, ohne Widerspruch zu erwarten. »Ich lerne meine neuen Mitarbeiter immer gern sofort kennen.«
Sie winkte dem Fahrer des gelben Taxis, Johannas Koffer einzuladen. »Wir fahren zuerst zu deinem Hotel. Ich habe dir ein Dossier vorbereitet, in dem du alles findest, was du in den nächsten Tagen brauchst.«
Sie stiegen ein, Elizabeth nannte dem turbanbewehrten Fahrer das Ziel, das da Vinci Hotel in der Nähe des Verlages.
Während ihr Elizabeth Wissenswertes über New York mitteilte, stiegen in Johanna Erinnerungen an Rom auf, den Da-Vinci-Airport, von dem sie nach London abgeflogen war. Wo ihr Freund Gio sie gedemütigt und ihr deutlich gemacht hatte, dass sie eine nicht mehr willkommene Last für la Familia geworden wäre.
Dass sie sich selbst aus dem Leben nehmen sollte, war noch ein Akt der Höflichkeit gewesen. Andere, die die Kreise der Mafia störten, verschwanden auf direktere Weise.
Sie war dankbar dafür, dass sie eine Chance gehabt hatte, dem zu entgehen. Ob ihr Freund Gio, kurz für Giovanni, ahnte, dass sie ihr Ende getürkt hatte? Würde er es gutheißen? Denn die Bedrohung für die Firma war damit aus dem Wege geräumt.
»Ich war schon ein paar Mal hier, aber das wusste ich nicht«, antwortete sie höflich, als ihre Begleiterin sie auf eine Stelle mit Geschichte hinwies.
Johanna hatte die Gabe, ihre eigenen Gedanken weiterzuverfolgen, während sie zuhörte. Konversation war eine zu langsame Beschäftigung für ihr trainiertes Gehirn, das immer im höchsten Leistungsbereich arbeitete.
Elizabeth, die ihr gleich den Gebrauch der Vornamen angeboten hatte, kurz Liz, hatte ihr die Stelle auf dem East River gezeigt, wo vor Jahren ein Pilot sein havariertes Flugzeug auf dem Wasser gelandet und alle Passagiere gerettet hatte.
War das ein Zeichen, dass sie selbst auch gerettet war?
Johanna glaubte nicht an Zeichen und Wunder oder andere magische Wirkungsweisen, fühlte aber trotzdem einen beruhigenden Effekt von diesem Gedanken ausgehen.
»Johanna, das klingt für mich wie Jo-Anne. Darf ich dich Ann nennen?«, fragte Liz.
»Eine Ann haben wir noch nicht, aber zwei Jo-Anns, merkwürdig, nicht wahr?«
Johanna begann sich zu langweilen. Sie war im Reich der Banalitäten angelangt. Sie gähnte.
»Ich hasse diese Jetlags nach kurzen Flügen«, bekannte sie.
»Absolut unnötig, trotzdem erwischt mich das immer wieder.«
Liz lachte. »Geht mir auf Flügen nach Deutschland auch immer so. Du weißt ja, dass wir zu einer großen deutschen Verlagsgruppe gehören, nicht wahr?«
Johanna nickte.
»Jemand aus Gütersloh hat mir einen Autor ans Herz gelegt, der in Deutschland gut läuft«, fuhr ihre Chefin fort.
»Martin Krantz. Der Säuremörder, so heißt sein Buch. Ich geb dir mal ein Exemplar mit, du kannst dich im Hotel schon mal ein wenig einlesen.«
»Du sprichst sehr gut Deutsch«, bemerkte Johanna, als Liz den Originaltitel erwähnte.