Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II. Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II - Hymer Georgy


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neues Leben. Diese Menschen haben sich ihrer Verantwortung entzogen und sind untergetaucht“, stellte Freysing unbeirrt fest.

      „So ist es gewesen. Genau“, bestätigte sie.

      „Und Sie haben die alten Akten ausgegraben“, nickte Freysing, der ahnte, was jetzt kam. Zumindest ein wenig.

      „Ich fand Bilder. Unzählige Bilder von Menschen, wie sie damals ausgesehen hatten, vor und dann nach der OP. Sie glauben gar nicht, wie viele das waren! Marius hielt es für eine gute Idee, eine Reihe dieser Akten zu scannen und herauszufinden, wo sich diese Leute alle heutzutage aufhalten. Dazu besaß er wohl Möglichkeiten.“

      „Einige von ihnen dürften inzwischen das Zeitliche gesegnet haben.“

      „Einige, ja, aber längst nicht alle. Die meisten von ihnen leben noch. Und sie sitzen teilweise in verantwortungsvollen Positionen, in denen sie sehr gut verdienen.“

      „Davon wollten sie etwas abbekommen.“

      „Marius muss ohne mein Wissen damit angefangen haben, weitere Recherchen zu betreiben, und vielleicht auch schon, mit diesen Leuten Kontakt aufzunehmen.“

      „Um sie zu erpressen“, stellte Freysing klar. „Und womöglich deswegen ist er jetzt tot.“

      Sie schluchzte heftig, als sie daran erinnert wurde. „Ja. Möglich. Es ist grausam!“

      Freysing dachte darüber nach. Marius Holler war für den BND tätig gewesen. Er hatte in Prag etwas herausgefunden, das GNSS betraf, und dessen Kontakt Steiner in der Angelegenheit war nun umgebracht worden. Eine Spur. Gleichzeitig hatte er, mit oder ohne Irinas konkretes Wissen, jedoch mit den von ihr beschafften Akten, Leute ausfindig gemacht und dann zu erpressen versucht, die nach den sogenannten friedlichen Revolutionen in Osteuropa untergetaucht waren. Eine andere Spur.

      Hing beides irgendwie zusammen, oder waren dies wieder einmal zwei völlig verschiedene Ansätze, die unterschiedlichen Gruppierungen Motive für extreme Vorgehensweisen lieferten? Und zu welcher Gruppierung gehörte Zbytečný?

      Natürlich waren die von Irina zur Vernichtung vorgesehenen Akten auch für den BND selbst sehr interessant. Hatte Holler Irina nur benutzt und ein mehrfaches Spiel getrieben, ohne seine Vorgesetzten davon zu informieren? In Prag wusste man angeblich davon zumindest wohl eher nichts, sonst hätte man ihn informiert, als er dort eintraf. Möglicherweise würde er das nie erfahren, aber er wollte es von Berlin aus zumindest noch einmal genauer nachprüfen lassen.

      „Und die Akten?“

      „Ich besaß zuletzt nur zwei Akten bei mir zuhause. Die sind weg. Und auch mein Laptop mit den gescannten Dokumenten ist weg. Alles futsch. Die Einbrecher müssen es mitgenommen haben“, versicherte sie glaubhaft.

      „Ich denke weiterhin nicht, dass das zufällige Einbrecher waren. Die wussten ganz genau, wonach sie gesucht haben. Aber möglicherweise kann uns unser Freund da hinten im Kofferraum weitere Auskünfte erteilen.“

      „Damit will ich nichts zu tun haben“, stellte Irina klar, und schluckte.

      „Ich setze Sie bei ihrer Schwester ab. Bleiben sie für ein paar Tage dort. Ich sorge dafür, dass diese Woche noch jemand dort hinkommt und sich um Sie kümmert.“

      Mit ihrem Wissen über Holler durfte sie auf keinen Fall zu Blansko laufen – das würde die Integrität der BND-Arbeit in Prag weiter verletzen. Ein BND-Agent, der Leute erpresste… - das ging gar nicht! Jedenfalls nicht auf eigene Rechnung!

      „Gibt es weitere Kopien von den gescannten Unterlagen?“

      „Marius besaß einen USB-Stick. Da war auch alles drauf, was ich hatte.“

      Der Stick war nicht bei den Sachen gewesen, die man bei ihm fand, und auch auf dem jetzt gestohlenen Laptop Hollers hatte Sax nichts dazu gefunden gehabt.

      Sie erreichten Přibice mit seinen eingeschossigen bunten Häuschen wenig später, und Sax setzte Irina dort ab. Dann fuhr er schnell weiter, ohne abzuwarten, bis die Schwester von Hollers Geliebter die Tür öffnete.

      *

      Freysing steuerte den Audi zu einem nahen Ufer des flachen Vrkoč-Sees, an welchem um diese Uhrzeit nicht unbedingt mit vielen Spaziergängern zu rechnen war. Von weitem erblickte er ein halbes Dutzend Netzfischer, die gerade ihr an langen Stangen befestigtes Arbeitsgerät von kleinen Booten her einholten. Sie befanden sich zu weit entfernt und würden nicht sehen können, was genau Sax hier trieb.

      Er stoppte den Wagen, stellte den Motor aus, zog den Zündschlüssel ab, stieg aus, und ging um den Wagen herum. Dort öffnete er den Kofferraum und ließ Zbytečný aussteigen, was diesem wegen der nach hinten gefesselten Hände äußerst schwer fiel. Aber es gelang ihm – die vorgehaltene Pistole war ein überzeugendes Instrument der Motivation. Der Mantel blieb zurück.

      „Hinknien!“, befahl Sax dann, hinter ihm stehend. Der von der Fahrt derangierte Mann erstarrte, und der Agent musste es wiederholen, damit Folge geleistet wurde.

      „Wollen Sie mich jetzt umbringen?“, fragte Zbytečný mit zittriger Stimme und warf einen äußerst besorgten Blick über die Schulter hinweg auf die Waffe in Freysings Hand.

      „Ich wollte es schon in Brno, aber nicht in Gegenwart der Frau“, gab Sax so bestimmt wie möglich von sich, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass er es ernst meinte. Er hielt den Lauf mit dem Schalldämpfer mit ausgestrecktem Arm an den Hinterkopf des Tschechen. Der fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.

      „Warten Sie…“, brachte er mit trockenem Hals hervor.

      „Du hattest deine Chance!“ - Sax entsicherte die Waffe mit einem hörbaren Klicken. Eine Patrone befand sich noch im Lauf, er musste nicht erst durchladen.

      „Dirschau“, sagte Zbytečný daher schnell, von Todesangst geplagt. „Der Mann, der mich beauftragt hat, nennt sich Koslowski, heißt aber in Wirklichkeit Dirschau!“

      „Dirschau? Ein Deutscher? Und das hat er dir einfach so gesagt, ja?“ Freysing glaubte, sich an den Namen zu erinnern, aber es musste, wie Steiner, ein Name in seiner weit zurückliegenden Vergangenheit sein. Doch so sehr er im Moment auch überlegte, er kam nicht darauf. Allerdings: So selten war der Name nun auch wieder nicht.

      „In meinem Job ist es besser, seinen Auftraggeber zu kennen. Es war nicht das erste Mal, und nicht schwer über meine Kontakte herauszubekommen, wer er ist.“

      „Was weißt du über ihn?“

      „Nur, dass er sich gegenwärtig in Prag aufhält.“

      Prag. Immer wieder Prag! Sax überlegte. Steiner hatte von Prag gesprochen, und darüber, dass dort diese Firma aus Ex-Stasi-Mitarbeitern für die Sicherheit bei der Einrichtung der GNSS-Systeme zuständig sei. Gehörte Dirschau, alias Koslowski, dazu?

      Fünfundzwanzig Jahre waren eine lange Zeit, und sicher war inzwischen viel Gras über die Vergangenheit einiger Leute gewachsen. Dirschau. Das war einer von ihnen. Es fiel Sax nun doch wieder ein: Dirschau war der Name eines Hauptmannes in der Leipziger Bezirksvertretung der Staatssicherheit gewesen. Damals, 1989. Er erinnerte sich an ein Verhör in seiner Studentenzeit, während der Wende, und an einiges mehr. Hing es aber auch mit den Akten Irinas zusammen?

      „Dein Auftrag lautete, Irina umzubringen, nicht mich. Ich habe das Bild im Umschlag gesehen. Warum will Dirschau-Koslowski deren Tod?“

      „Das hat er mir nicht gesagt.“

      Irina hatte eingestanden, dass sie zusammen mit Holler ein faules Ding hatte durchziehen wollen, um mit ihm ein gemeinsames Leben an der Adria zu genießen. Die Hintergrund-Informationen für die geplante Erpressung stammten von ihr. Gut, darum mussten sich die Kollegen kümmern, und auch in Prag aufräumen. Und Irina schützen. Die Zentrale war bereits über Prag informiert, nun würde er wegen allem Weiteren noch ein paar konkrete Angaben machen können. Was ihn selbst betraf, endete das Engagement an dieser Stelle. Die Polizeit hatte ihn mit im Visier, und alles Folgende mussten


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