Sagenbuch der Bayrischen Lande. Alexander Schöppner
der eingefangenen Gäste bestand
darin, daß sie nach Waldstein verbannt wurden,
um in dieser furchtbaren Einsamkeit Ordnung und
Eingezogenheit zu lernen. Dort standen sie unter
strenger Mannszucht. Wer von ihnen sich eines Vergehens
schuldig machte, wurde exemplarisch bestraft.
Doch um einigermassen die ewige Langeweile, der
die Gefangenen anheimgefallen waren, zu mildern, erlaubte
ihnen der Feilenhauer das Kartenspiel und verfertigte
dazu selbst die eisernen Karten. Der einem Tische
ähnliche Stein im Burghofe zu Waldstein, war
der Platz, wo die Geistergesellschaft diesem Zeitvertreibe
huldigte; die Spuren der eisernen Kartenblätter
kann man auf demselben noch jetzt erkennen.
180. Die Feuerglocke zu Hof.
Von B e r n h a r d G ö r w i t z .
Zu Hof wollt' ein Meister auf Ehrhard's Wiesen
Eine schöne, klangreiche Glocke gießen,
Die weit und breit mit dem ehernen Mund
Verkünde die heilige Gottesstund'; –
D'rum trugen die Nachbarn mit gläubigem Sinn
Manch' Stücklein Goldes und Silber hin,
Und warfen es in die Glockenspeis
Zum heller'n Klang, zu Gottes Preis! –
Und doch – so geschickt auch der Meister war,
Das Werk mißrieth ihm ganz und gar. –
Und zum zweiten Mal wagt' er in G o t t e s Namen
Den köstlichen Guß mit Gebet und Amen,
Und zum zweiten Mal war die Hoffnung verloren,
Und ein Mißding von einer Glocke geboren! –
D'rauf goß der Meister in Zornes Wuth
Zum d r i t t e n M a l die metallene Fluth
In's T e u f e l s Namen in die Form,
Und die Glock' gerieth nach Regel und Norm. –
Doch als sie erprobt ward, da tönt' ihr Klang
Wie Ingrimm und höllischer Hohngesang,
Und wecket, statt Andacht, Schrecken und Grau'n,
Kein frommer Sinn konnt' ihrem Klang vertrau'n;
Solch' schrecklicher Ruf für ein Gotteshaus
Schloß jegliche gläubige Seele aus! –
D'rum hing man die falsche hoch auf den Thurm
Als Unglücksprophetin bei Feuer und Sturm,
Und so oft sie ertönt in Nacht und Graus,
Lacht der Teufel in ihr den Meister aus! –
Kapitel 10
181. Der lange Becher.
Von B. G ö r w i t z .
Am Markte zu Hof war seit etlichen Tagen
Ein wunderbarlicher Brief angeschlagen,
D'rinn stund: »Ihr Wohlehrbaren, Getreuen
Von Hof, hört mich, es soll Euch nicht reuen,
Ich komme zum künftigen Sonntag Mittag
In Euere Stadt, und will gemach
Mich als Gast an Euerer Großmuth ergötzen
Und meine durstige Kehle letzen;
D'rum stellet in jeglichem Fenster droben,
Das sich bis zum ersten Gaden (Stock) erhoben,
Eine Kandel kräftig Gebräu heraus,
Ich geh' dann vorbei, und trink' sie aus!«
Die wackeren Nachbarn befolgten sofort
Die seltsame Vorschrift Wort für Wort. –
Der Tag und die Mittagsstunde war da,
Und richtig – noch ehe man sich's versah',
Kam ein schlanker Gesell die Straße daher, –
Einen solchen Riesen gab's nicht mehr! –
Er schaute bei'm hellen Sonnenschein
Zum ersten Gaden gerad hinein,
Und brachte die Kandeln bequem sich zum Mund,
Und leert' sie der Reihe nach bis auf den Grund,
Und that das noch einmal und abermals wieder
Die Straße wandelnd auf und nieder;
D'rauf rückt' er sein Hütlein, und mit Behagen
Spaziert er noch über zween Fuhrmannswagen,
Dann ließ er den Höfern in Gruß und Blick
Des »langen Zechers« Verheißung zurück.
Man hat noch die Läng' vom sothanen Riesen
Durch ein Zeichen im Mittelgäßlein erwiesen;
Auch treibt man das Zechen noch jetzund ins Weite,
Geht's nicht in die L ä n g e , so geht's in die
B r e i t e ! –
182. Der lange Mann in der Mordgasse zu Hof.
W i d m a n n Höfer Chronik bei G r i m m d.S. I., 243.
Vor diesem Sterben (der Pest zu Hof 1519) hat sich
bei Nacht ein großer, schwarzer, langer Mann in der
Mordgasse sehen lassen, welcher mit seinen ausgebreiteten
Schenkeln die zwei Seiten der Gassen betreten
und mit dem Kopf hoch über die Häuser gereicht
hat; welchen meine Ahnfrau Walburga Widmännin,
da sie einen Abend durch gedachte Gasse gehen müssen,
selbst gesehen, daß er den einen Fuß bei der Einfurt
des Wirthshauses, den andern gegenüber auf der
andern Seite bei dem großen Haus gehabt. Als sie
aber vor Schrecken nicht gewußt, ob sie zurück oder
fortgehen sollen, hat sie es in Gottes Namen gewagt,
ein Kreuz vor sich gemacht, und ist mitten durch die
Gasse und also zwischen seinen Beinen hindurch gegangen,
weil sie ohne das besorgen müssen, solch Gespenst
möchte ihr nacheilen. Da sie kaum hindurch
gekommen, schlägt das Gespenst seine beiden Beine
hinter ihr so hart zusammen, daß sich ein solch groß
Geprassel erhebet, als wann die Häuser der ganzen
Mordgasse einfielen. Es folgte darauf die große Pest
und fing das Sterben in der Mordgasse am ersten an.
183. Wie ein Hirtenknabe wohlfeile Zeit macht.
Nach B. G ö r w i t z Sagenschatz v. Oberfr. S. 47.
Um das Jahr 1694 kam eine große Theuerung in's
Land. Reiche Leute mehrten ihren Reichthum durch
Wucher, die Armen geriethen in großes Elend. Da
lebte unweit von Rosenbühl ein frommer Hirtenknabe;
dem erschien, als er eines Tages seine Heerde weidete,
ein Engel mit einem Kreuzlein in der Hand, zum
Zeichen,