Der dritte Versuch Die Drachenjägerin. Norbert Wibben
Raben als Zeichen bevorzugt.
»Ich glaube, es kommt jemand auf das Zelt zu«, sendet Finn an seinen Freund. Sofort antwortet dieser alarmiert:
»Bleib möglichst unbeweglich sitzen, so fallen wir am wenigsten auf. Vielleicht können wir doch noch etwas belauschen.« Aber sie erkennen schnell, dass dies kein Bote ist, der zu den Führern des Heeres kommt.
»Da will noch jemand lauschen«, erkennt Ryan.
»Es sind sogar zwei«, ergänzt Finn. Sie sehen erstaunt, wie sich zwei dunkle Schatten geduckt zu dem Zelt bewegen. Die letzten Meter legen sie fast kriechend zurück. Sie horchen auf Geräusche aus dem Inneren.
Jetzt stecken sie die Köpfe zusammen und flüstern etwas, das die Elfen jedoch nicht verstehen können. Da sie offenbar erkennen, vergeblich gekommen zu sein, beginnen sie rückwärts zu kriechen. Als sie erst wenige Meter vom Zelt entfernt sind, wird dessen Eingangsplane zurückgeschlagen und ein dunkler Schatten tritt heraus. Ryan und Finn erschrecken und wären fast aufgeflogen. Sollten sie entdeckt worden sein? Jetzt erscheint eine Lichtkugel, deren Schein den dunklen Zauberer beleuchtet und sich gleichzeitig in den schwarzen Augen der Kolkraben spiegelt. Das Licht erreicht die zwei Körper am Boden jedoch nicht.
»Mach das Licht aus!«, tönt eine Stimme erbost aus dem Inneren des Zeltes. »Und schließe den Eingang.«
Die Elfen sind drauf und dran aufzufliegen, als der Magier, der das Zelt verlassen hat, der Aufforderung folgend, den Zelteingang schließt. Er bemerkt weder die Kolkraben noch die beiden Lauscher. Die Lichtkugel voraus, entfernt er sich mit langen Schritten von den Beobachtern. Aus dem Zelt ist jetzt eine andere Stimme zu hören.
»Er macht schon wieder seinen Kontrollgang zu den Wachen. Ich glaube, er ist zu aufgeregt zum Schlafen. Er will die große Stadt im Osten erobern und brennt vor Ungeduld.« Ihm antwortet eine andere Stimme.
»Ich glaube, du bist auch ruhelos. Ständig zappelst du mit den Beinen und beginnst nun sogar Reden zu halten. Schlaf endlich!« Als Antwort ist lediglich ein empörtes Schnauben zu vernehmen, dann herrscht wieder Ruhe. Die Elfen bemerken, wie die anderen Lauscher sich etwas zuflüstern und dann vorsichtig davonschleichen.
»Da haben wir ja unglaubliches Glück gehabt, im richtigen Moment hier zu sein. Unsere Aktion ist ein voller Erfolg geworden. Damit war so spät am Abend nicht zu rechnen.«
»Stimmt. Aber manchmal ist das Glück mit dem Tüchtigen. Wer wohl die beiden sind, die offenbar auch Informationen über die Absichten des Heeres zu bekommen versuchen?«
»Das ist mir auch rätselhaft. Zauberer scheinen das nicht zu sein, dann wären sie nicht zurückgekrochen.«
»Stimmt. Es sind Menschen oder Elfen ohne magische Fähigkeiten. Aber woher mögen sie stammen? Und sie sind unerhört mutig, sich in ein feindliches Lager zu schleichen.«
»Das werden wir vermutlich nicht klären können. Lass uns jetzt zum Pferd zurückkehren. Aber mit dem magischen Sprung«, beendet Ryan die Unterhaltung. »Auf Drei. Eins, zwei und …«
»Drei«, antwortet Finn. Sofort hocken beide Kolkraben in der Nähe des Pferdes auf dem Boden. Sie wandeln ihre Gestalt zurück und ziehen ihre Kleidung über.
»Das hat mehr Spaß gemacht, als ich gedacht hätte«, beginnt der ältere Elf.
»Habe ich doch gesagt«, bestätigt sein Freund. »Aber was unternehmen wir jetzt? Wir müssen die Menschen in der Stadt warnen. Außerdem werden sie Hilfe benötigen. Um auf Dauer einem derart großen Heer Widerstand zu leisten, reichen die dort stationierten Soldaten nicht aus, auch wenn sie Schutz hinter der Stadtmauer finden.«
»Wir müssen dein Volk, die Mittelelfen, bitten, den Menschen in der Stadt zur Hilfe zu eilen.«
»Das scheint die einzige Möglichkeit zu sein«, stimmt der jüngere Elf zu. »Ich verstehe nur nicht, warum die Truppen so heimlich in den Norden vorstoßen. Sie könnten unterwegs nicht nur Beute machen, sondern auch die Truppenstärke durch Zwangsrekrutierungen vergrößern. So sind sie vor zwanzig Jahren vorgegangen.«
»Das ist nicht richtig. Mit aufeinander eingespielten und trainierten Soldaten können sie mehr erreichen. Bei den Überfällen auf Städte gibt es immer Verluste, die sie zwar zahlenmäßig durch Rekrutierungen mehr als ausgleichen könnten, wie du richtig bemerkst. Dafür müssten sie aber mit Nachteilen rechnen. Die neuen Soldaten sind möglicherweise keine geübten Kämpfer und, was viel wichtiger ist, ihre Zusammenarbeit mit den anderen in der Truppe ist nicht eingeübt. Außerdem könnten sie zögern, wenn es auf schnelles und entschlossenes Handeln ankommt, oder sie laufen gar zu den Angegriffenen über. Aus diesen Gründen haben sie dann auch wohl den Überfall auf den ersten Ort abgebrochen, als ihnen durch uns ernsthafter Widerstand gegenüberstand. Außerdem ist ein schnelles und möglichst heimliches Vorstoßen auf strategisch wichtige Punkte erfolgversprechender, als wenn das Vorankommen der Truppe durch viele Einzelgefechte verzögert wird. Daraus würden wir ihre Zielrichtung ableiten, unsere Kämpfer sammeln und ihnen an geeigneten Stellen entgegentreten.«
»Ich denke, deine Vermutungen könnten ins Schwarze treffen! Darauf wäre ich nicht gekommen. Brechen wir jetzt zu den Mittelelfen auf, oder wie gehen wir vor?«
»Noch wissen die Dubharan nicht, dass wir ihr Ziel kennen, trotzdem müssen wir uns trennen. Während du zu deinem Volk gehst, werde ich die Menschen in der Stadt warnen.«
Ryan beginnt das Pferd zu satteln und redet ihm mit sanfter Stimme zu. Dann umarmen sich die beiden Freunde. »Wir bleiben in Kontakt!«, verabschiedet er sich und steigt in den Sattel. »Ich muss das Lager der Truppe umreiten und mich beeilen, damit ich das vor Anbruch des Tages geschafft habe. Sobald es hell genug ist, nutze ich immer wieder den magischen Sprung, so dass ich lange vor diesen Fußsoldaten in der bedrohten Stadt sein werde. Und du denke daran, lieber erst zweimal zu überlegen, bevor du etwas unternimmst. Ich hoffe, dich unversehrt wiederzusehen!«
»Ich versuche, das zu berücksichtigen«, lacht Finn. »Die Kämpfer meines Volkes kommen so schnell wie möglich in die Stadt. Da nicht alle Magie beherrschen, werden sie einige Zeit, vermutlich mindestens eine Woche benötigen, um dorthin zu gelangen. Und pass auf, dass dich die Dubharan nicht abfangen, bevor du die Menschen in der Stadt warnen kannst!«
Dann flirrt die Luft.
Entdeckt
Robyn und Shane schleichen sich zu ihren Pferden zurück. Entdeckt zu werden, befürchten sie nicht, da sie auf dem Weg ins Lager hinein nur wenige Wachen bemerkt haben. Diejenigen, an denen sie auf dem Hinweg vorbeikamen, hatten sich zudem in ihre Umhänge gewickelt und standen mit eingezogenen Köpfen in Gruppen zusammen. Was die beiden nicht ahnen: Luan hat sie angewiesen, regelmäßige Kontrollgänge zu den anderen Wachtposten zu unternehmen. Jeweils einer der drei Wachenden soll in einer festgelegten Richtung auf den nächsten Posten zugehen und bei dessen Erreichen wieder umkehren. Da die Soldaten den Zorn ihres Führers fürchten, befolgen sie diese Anordnung gewissenhaft. Sie schimpfen leise, besonders, wenn ihnen ein Schwall Wasser in den Nacken läuft und sie unangenehm erschauern lässt. Sie müssen sich die Nacht um die Ohren schlagen, während es die Führer in ihrem Zelt trocken und warm haben.
Shane hat recht, dass der Dubharan, der das Zelt verlassen hat, mit seiner Lichtkugel verrät, welchen Weg er nimmt. Ihr Rückzug scheint dadurch leichter zu sein, indem sie sich einfach in die Gegenrichtung entfernen. Das hilft allerdings nur kurze Zeit, da sich der dunkle Magier schneller als sie bewegen kann und manchmal sogar den magischen Sprung nutzt. Mehr als einmal müssen sie im letzten Moment einen Umweg machen, weil der Zauberer plötzlich auf dem von ihnen gewählten Weg auftaucht. Ihrerseits ein Licht zu nutzen, um schneller voranzukommen, ist ausgeschlossen. Um trotzdem in der stockdunklen Nacht unnötige Geräusche zu vermeiden, läuft Shane vorneweg, während Roby, mit einer Hand Verbindung zu seinem Obergewand haltend, ihm gebückt folgt. Er ist der Jüngere von ihnen und besitzt die besseren Augen. Trotzdem können sie nicht verhindern, hin und wieder ein leises Geräusch zu verursachen. Zuerst bleiben sie noch erschrocken