Anna Q und das Geheimnis des Haselbusches. Norbert Wibben
hier in der ersten Nacht hatte. Muss sie ihn als böses Omen werten? Außerdem ist sie immer noch aufgewühlt vom gestrigen Match und macht einen Anfängerfehler. Nach nur acht Zügen ist sie mattgesetzt. Sie gratuliert ihrem Gegner und wirft einen Blick zu den anderen Tischen. Wie mag es dort stehen? Kurz nach ihr ist auch Ciana geschlagen. Nach einer weiteren Stunde frohlockt dagegen Kim. Sie hat gewonnen. Ihr Bruder Ben schafft ein Unentschieden. Als Brendan verliert, sieht es nicht gut für Morwennas Team aus. Alle CC-ler drücken jetzt die Daumen für Caitlin und hoffen auf das scheinbar Unmögliche. Sie kämpft mit einem Gegner, der zwei Jahre älter als sie ist. Diesem gelingt es nach harter, aber vergeblicher Gegenwehr, einen Bauern in eine zweite Dame zu wandeln. Damit scheint Caitlins Niederlage besiegelt. Die Mittagspause unterbricht das letzte Spiel des heutigen Tages. Danach warten alle voller Spannung, wie die Partie weitergeht. Anna hält die Luft an und ballt die Fäuste. Plötzlich blitzt Hoffnung in ihr auf. Genau wie dem Gegner am Schachbrett fällt ihr erst jetzt auf, was Caitlin offensichtlich gut geplant hat. Völlig unerwartet schnappt ihre kluge Falle zu. Ein Läufer und ein Springer haben den gegnerischen König gestellt, der vergeblich auf Unterstützung durch die zwei Damen hofft. Der Jubel der CC-ler ist überwältigend. Die Bilanz nach dem zweiten Turniertag lautet drei Siege für sie, gegenüber sechs für das Team der Universitätsstadt, bei drei Unentschieden. Trotz des kurzzeitigen Hochgefühls nach dem unerwarteten Sieg Caitlins, gehen sie niedergeschlagen und enttäuscht in ihre Zimmer.
Die Aussichten für einen positiven Ausgang des Vergleichwettkampfes stehen nicht gut. Am morgigen Sonntag werden seitens CC ein Sieger, ein Spieler mit einem Unentschieden und ein Verlierer antreten, wobei ihre Gegner jeweils gewonnen haben. Obwohl das Resultat besser ist, als es Innocent Green vorhergesagt hätte, ist Morwenna bedrückt. Anna, die ihr Spiel am ersten Tag strategisch klug startete, versagte zweimal. Ob da mehr hinter steckte, als sie mitbekommen hat? Und warum flackerte die Lampe? War das wirklich nur der Vorbote zum Ausfall der Glühbirne? Sie nimmt sich vor, während der Rückreise mit dem Mädchen zu sprechen. Dabei kann sie ihm vom bisherigen Misserfolg der Recherchen berichten. Trotzdem hofft sie, am kommenden Tag doch noch etwas herauszubekommen. Innocent Green hat ihr eine vielversprechende Spur gezeigt.
Anna sitzt allein in ihrem Zimmer und schüttelt sich. Sollte ihr Traum eine hellgesehene Sequenz, und damit ein Hinweis auf ihre Niederlage gewesen sein?
»Wie soll das möglich sein? Du bist doch in deiner und nicht in meiner Welt!«, versucht ihr plötzlich Ainoas Stimme, Mut zu machen. »Wenn du, wie Katherin meint, hier keine Zauberkräfte hast, ist es unwahrscheinlich, dass das ein Blick in die Zukunft war. Was hältst du davon, wenn ich dich besuche? Betrachte dein Zimmer genau, dann komme ich mit dem magischen Sprung zu dir. Wir könnten ein Match gegeneinander spielen. Du musst nur ein Brett und Figuren besorgen. Die Züge sage ich dir an, da ich meine Gestalt nicht wechseln und die Spielsteine setzen kann.«
Sofort stimmt Anna freudig zu. Ein Schachspiel befindet sich in jedem Zweierzimmer, dass den Gästen zur Verfügung gestellt worden ist. Sie weiß, dass sich Alexander und Robin in ihrem gemeinsamen Raum den Rest des Tages ein Match nach dem anderen liefern werden. Caitlin, die ihr Zimmer teilt, ist mit den Teammitgliedern in der Stadt unterwegs. Da Morwenna wegen der Recherchen erneut mit Innocent zur Bibliothek des Queens College gefahren ist, fehlt ihr ein Spielpartner. Die Elfe ist in Schach derart gut, dass Anna die Trainingseinheit, die sie dadurch erhält, äußerst willkommen ist. Sie möchte wenigstens einen Punkt für das CC holen und hätte in Gedanken Spielzüge durchgehen müssen. Aber noch etwas lässt sie befreit aufatmen. Die Elfe war vor zwei Wochen zu Katherin zurückgekehrt, um mit ihr über die Versuche der Cythraul im Norden zu sprechen. Seitdem herrschte Funkstille zwischen ihnen. Ihre ständigen Kontaktversuche beantwortete die Elfe immer nur mit:
»Gedulde dich auf später, ich kann jetzt nicht.« Entsprechend erleichtert fühlt sie sich und konzentriert sich. Im nächsten Moment flirrt die Luft bläulich, dann erscheint ihre Freundin.
»Hallo, Anna. Du siehst niedergeschlagen aus. Das müssen wir schnellstens ändern!« Der Versuch eines Lächelns misslingt dem Mädchen, trotzdem fällt ihr ein Stein vom Herzen, als sie das laute Krächzen ihrer Freundin hört.
»Hallo Ainoa. Ich freue mich so, dich zu sehen. Wo bist du in den letzten zwei Wochen gewesen? – Auch wenn viele der Zimmer leer sind, könnten wir auffallen. Darum achte darauf, nicht …«
»… so laut zu sprechen! Ich weiß!«, keckert der schwarze Vogel. Da er jetzt die Gedankenverbindung nutzt, ist von seinem Bericht kein Laut zu hören. Anna hält mehrfach den Atem an, als sie erfährt, dass die Elfe in den vergangenen vierzehn Tagen im Norden war, um Katherin bei der Suche nach den Eisdrachen und dem Greif zu unterstützen. Die Elfenkönigin hatte Annas Wunsch, Ainoa zu begleiten, zwar begrüßt, sich als Herrscherin der Anderswelt jedoch nicht damit abgefunden. Es ist schließlich ihre ureigenste Aufgabe, für das Wohl aller Lebewesen dort zu sorgen. Da könne sie nicht die alleinige Hilfe eines Kindes in Anspruch nehmen, ohne an Ansehen zu verlieren. Das Resultat dieser Reise war, dass es tatsächlich Seid Greif ist, der im Norden nach etwas sucht und sich dabei so seltsam verhält. Ainoas Bericht ist kürzer, als die Zeitspanne der Ermittlungen vermuten lässt. Dann fügt sie noch hinzu, dass der im Anschluss zusammengerufene Elfenrat heute, nach drei Tagen Gedankenaustausch, ergebnislos beendet wurde.
Danach erkundigt sich die Elfe nach dem Grund für Annas Niedergeschlagenheit. Sofort stimmt sie zu, gemeinsam einige Partien zu spielen, solange Caitlin nicht anwesend ist.
»Ich habe außerdem eine Idee, was dir helfen könnte!« Der Kolkrabe nickt mehrfach mit seinem Kopf. »Ich kenne eine Methode, wie das Spiel sozusagen hautnah zu erleben ist.«
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