Die Hexe und der Schnüffler. Inga Kozuruba

Die Hexe und der Schnüffler - Inga Kozuruba


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finden kann. Viele Spuren habe ich ja nicht. Du kannst das Bett im Schlafzimmer nehmen, ich schlafe dann auf der Couch.“

      Sie zog fragend die Augenbrauen hoch: „Mich würde es überhaupt nicht stören, wenn wir im selben Bett schlafen. Selbst wenn da gar nichts passiert. Ich schlafe ungern allein – aber wenn es dir so lieber ist, dann machen wir es so.“

      Andy versuchte, möglichst freundlich zu lächeln, obwohl er ein mulmiges Gefühl im Bauch hatte angesichts der Demonstration ihrer Fähigkeiten: „Ich will nicht unhöflich sein und dich auch gar nicht beleidigen. Jeder Mann kann sich sicherlich geehrt fühlen in deiner Gesellschaft – aber ich brauche jetzt vor allem Konzentration, und da wäre es vermutlich besser, wenn ich mich von nichts und niemandem ablenken lasse, sonst verliere ich am Ende die Fährte. Verstehst du, was ich meine?“

      Sie nickte und wirkte auf einmal nicht mehr so lasziv wie zuvor, sondern ernst und beinahe ehrfürchtig: „Weißt du, zu meinen besten Freunden gehören einige Adepten von Leben und Tod. Die sind ähnlich wie du drauf. Ich kann es gut verstehen. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und viele gute Ideen.“ Sie lächelte ihm zu und verschwand im finsteren Schlafzimmer. Die Tür ließ sie angelehnt und durch den Spalt konnte er ihre vom Licht beschienene Seite sehen. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung glitt ihr Kleid zu Boden und entblößte ihren makellosen, golden gebräunten Körper. Dann schloss sie die Tür. Andy hörte das leise Geräusch der Federn, als sie sich ins Bett legte. Danach wurde es still. Er atmete tief durch.

      Nicht jetzt, nicht an diesem Abend. Andy ging in die Küche und ließ nun doch die Kaffeemaschine arbeiten. Er würde einen besonders starken Kaffee brauchen, um möglichst lange wach zu bleiben. Dann nahm er seine Tasse, sowie die volle Kanne, und setzte sich in sein Büro. Irgendwo vor seinem Fenster schepperte es und ein Katzenschrei war zu hören. Andy erstarrte, bemerkte dann aber, dass es nicht der von Kryss geschickte Traum war, sondern nur ein eigenartiger Zufall. Er schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf und setzte sich an seinen Tisch.

      Wie gewohnt zog er seinen Notizblock heraus, um alles aufzuschreiben, das ihm aufgefallen war. Er stutzte ein wenig, als er bemerkte, dass die Einträge aus der Hauptstadt immer noch da waren. Normalerweise heftete er seine Notizen immer in die jeweilige Akte ab, aber diesmal schien er es vergessen zu haben. Das war ihm noch nie passiert. Er blätterte weiter auf der Suche nach einer freien Seite, um den neuen Fall zu beginnen. Irritiert blieb er beim letzten Eintrag hängen. Dieser war in einer anderen Schrift verfasst als seiner oder Alices. Es war eine saubere, beinahe mechanisch wirkende Schreibweise, tadellos und markant.

       Wir verdanken Alice unser Leben, und wir schulden ihr alle Mühen, sie zurück zu holen. Ihr Opfer hat ihr die Unsterblichkeit erkauft, doch wo und wann, das ist die große Frage. Wir suchen sie, wo auch immer sie ist. Wenn Sie uns nicht helfen wollen, dann suchen Sie uns auch zu unser aller Besten nicht. Dem Mädchen wird nichts passieren. Wenn sie nicht die Richtige ist, dann wird sie alles vergessen und wohlbehalten nach Hause zurückkehren.

      Andy las den Absatz immer und immer wieder. Es mussten die Worte sein, die der Schönling in sein Notizbuch geschrieben hatte, als Andy einen kurzen Blick auf die vier Schatten erhaschen konnte.

      Plötzlich klingelte das Telefon. In der Stille der Nacht erschien Andy das Geräusch derart übertrieben laut, dass er zusammenzuckte und lauschte, ob Arina von diesem Lärm wach geworden war. Dies schien jedoch nicht der Fall zu sein und das zweite Klingeln stabilisierte sich auf einem wesentlich leiseren Niveau als zuvor. Diesmal war Andy sogar der Meinung, dass es die leiseste Abstufung war, die das Telefon hergab.

      „Hallo?“, sagte er schließlich, nachdem er beim dritten Klingeln abgehoben hatte.

      „Hallo Andy“, hörte er wieder die Stimme, die ihm wie ein Reibeisen durch den Verstand fuhr und einer aufgeschnittenen Zwiebel gleich Tränen in die Augen trieb, „schön dass Sie in Ihrem Büro und nicht im Schlafzimmer sind. Schnappen Sie sich Ihre Sachen und raus aus dem Haus. Sonst sind Sie gleich tot. Warum hören Sie mir noch zu?“ Kryss klang nicht so, als ob er Scherze machen würde.

      Langsam legte Andy den Hörer beiseite und griff mechanisch nach den auf dem Tisch liegenden Unterlagen, vor allem nach seinem Notizblock, um sie hastig in seine Aktentasche zu verfrachten. „Wir müssen gehen, Arina!“, rief er dann. Er war überrascht, sie angezogen und abmarschbereit in der Tür stehen zu sehen.

      Sie nickte nur: „Anrufe mitten in der Nacht sind selten gute Botschaften.“ Sie linste zum Fenster, fluchte leise in einer Sprache, die Andy nicht verstand, und fügte dann hinzu: „So ein Mist.“

      Andys Blick folge ihrem und er sah, wie einige Polizeifahrzeuge in der Straße parkten. „Was zum...“

      Auf Arinas Gesicht erschien ein schiefes Grinsen: „Manche Dinge scheinen sich nie zu ändern. Hat das Haus im Keller einen Zugang zur Kanalisation?“

      Andy schüttelte den Kopf: „Nicht dass ich wüsste. Wieso?“

      „Unsichere Wege sind keine Wege... aus der Haustür kommen wir so einfach nicht mehr raus. Sobald die uns sehen, nehmen sie uns fest.“

      „Warum sollte die Polizei hinter mir her sein, Arina?“

      Sie zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, vielleicht sind sie auch hinter mir her. Manche Leute haben ihre dreckigen Finger überall. Sie denken doch wirklich, dass Leute wie ich und Leute wie Ruth alle ein und dasselbe sind... Nun ja. Hintereingang?“

      Andy nickte: „Ja, aber der führt nirgendwohin.“

      Arina schmunzelte: „Das sehen wir dann.“

      Diesmal lief sie barfuß mit ihm die Treppe hinunter, die Schuhe an den Riemchen in einer Hand tragend, die Handtasche über der Schulter. Auf halbem Weg merkte Andy, dass er vergessen hatte, die Tür richtig abzuschließen, aber vermutlich war das ohnehin egal. Schade um die halbvolle Kaffeekanne.

      Arina schloss leise die Tür des Hintereingangs hinter ihnen im selben Augenblick als der Vordereingang des Gebäudes geöffnet wurde. Sie hörten Schritte, die zum Aufzug gingen und andere, die gleich die Treppe nahmen.

      „Sie werden gleich merken, dass niemand in der Wohnung ist“, flüsterte Andy.

      „Ja... okay, Du willst dieses Mädchen suchen und außerdem wollen wir hier weg. Ich denke, wir sollten das am besten miteinander verknüpfen. Wie war das, du hast die Doppelgänger in den Spiegeln bei ihr zu Hause gesehen?“

      Andy nickte.

      „Dann sollten wir schnellstmöglich dahin.“

      Arina huschte wieder ins Gebäude hinein und zum Vordereingang. Andy folgte ihr hastig.

      „Stehen bleiben und Hände hoch, damit ich sie sehen kann!“, hörten sie dann, gefolgt vom Klicken eines Abzugs.

      Andy sah Arina wie in Zeitlupe die Hände heben, die Schuhe und Handtasche auf den Boden fallen ließen, und in dieser Bewegung die Träger ihres Kleides lösen. Der Stoff glitt zu Boden. Die Augen des Polizisten weiteten sich, als er eine wunderschöne, völlig nackte Frau vor sich sah.

      „Alivarton yan“, hauchte sie mit einem eigenartigen, äußerst angenehmen, samtigen Unterton in ihrer Stimme und fing den Blick des Mannes mit ihren Augen, deren Pupillen sich immer mehr weiteten. Der Polizist ließ seine Waffe fallen und griff gierig nach ihr. Sie küsste ihn innig. Dann glitt er bewusstlos zu Boden.

      Arina rollte mit den Augen, hob ihr Kleid auf und zog es sich beinah so schnell wieder über wie es zu Boden gefallen war. „Hör auf mich anzustarren und lauf!“, zischte sie.

      Andy wollte nicht mit ihr diskutieren oder ihr widersprechen. Sie griff schnell nach ihren Schuhen und der Handtasche und sprintete los. Er rannte ihr nach, seine Aktentasche fest unter den rechten Arm geklemmt. Sie schlug wilde Haken durch die Gassen des Viertels wie ein Hase auf der Flucht. Er wunderte sich, warum sie gar nicht außer Atem zu kommen schien, während er selbst schwer keuchen musste.

      „Du bist... kein Läufer, was?“, hörte er sie leise.

      „Läufer... Springer... Schachfiguren?“,


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