Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer. Norbert Wibben

Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer - Norbert Wibben


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die Milch, während sich ihre Schwänzchen wie kleine Propeller drehen.

      Auch wenn das ein vertrautes Bild ist, freut sich Raban jedes Mal bei diesem Anblick. Jetzt schweifen seine Gedanken ab. Im letzten Sommer begannen die aufregenden Geschehnisse ähnlich. Nur dass es nicht so früh im Jahr, sondern der erste Ferientag der Sommerferien war, als er den Kolkraben Röiven kennenlernte.

      Er weiß noch, wie erstaunt er war, als der verletzte Rabe ihn ansprach, nachdem er ihn vor einigen Jungen aus seiner Klasse gerettet hatte. Plötzlich hörte er eine knarzende Stimme, als er mit dem schwarzen Vogel alleine war. Überrascht hörte er, dass der Vogel ausgeschickt worden war, um IHN zu finden. Es war der Beginn unglaublicher Ereignisse, die sie dann gemeinsam erlebten.

      Wenn Raban heute daran zurückdenkt, kann er es immer noch nicht fassen. Nach außen hin wirkt er wie ein ganz normaler Junge, der in wenigen Wochen, also kurz nach Ostern, 15 Jahre alt wird.

      Im Sport ist er nicht so talentiert wie die meisten anderen Jungen in seiner Klasse. Biologie und Kunstunterricht sind dagegen seit jeher seine Lieblingsfächer. Besonders wissbegierig nimmt er alle Informationen auf, wenn es dabei um Tiere geht. Er ist im Zeichnen von Vögeln sehr begabt und sicher einer der Besten der Schule.

      Im letzten Schuljahr ist er für seine Vorliebe oft gehänselt worden.

      »Du bist ein richtiges Weichei!«, und: »Zeichnen und Tiere sind doch Dinge, für die sich Mädchen interessieren, aber keine Jungen, die zu echten Männern werden wollen!«, musste er sich ständig anhören. Auf dem Schulhof wurde er häufig von Klassenkameraden oder Schülern aus den oberen Klassen angerempelt, falls er nicht vorher geschickt ausweichen konnte.

      Aber das ist heute komischerweise alles nicht mehr der Fall. Ihn scheint eine unnahbare Aura zu umgeben, die derartige Angriffe auf ihn verhindert.

      Es weiß ja keiner seiner Mitschüler, dass er zaubern kann.

      Richtig: Raban kann zaubern!

      Er sieht aus wie ein normaler Junge seines Alters, auch wenn er eher schmächtig ist. Er hat einen wachen und forschenden Blick und ist für sein Alter bereits sehr klug. Das mag daran liegen, dass er gerne und viel liest. Die hellblauen Augen passen sehr gut zu seinen kurzen, blonden Haaren. Sie verleihen ihm ein etwas nordisches Aussehen. Zusammen mit den wenigen Sommersprossen auf und um seine Nase wirkt er etwas verschmitzt aber freundlich.

      Die Pöbeleien und Angriffe auf ihn haben seit dem letzten Sommer plötzlich aufgehört. Es ist nicht so, dass er seine Zauberkräfte an den ehemaligen Kontrahenten ausgelassen hätte. Er hat ihnen nicht einmal damit gedroht. Er hat es für besser empfunden, niemandem von seinen Fähigkeiten zu erzählen. Raban weiß, damit hätte er letztlich nur Furcht erzeugt, sich aber gleichzeitig noch mehr ausgegrenzt. Dennoch kam es nicht einmal mehr zu einer der früher üblichen Hänseleien. Ob es wohl daran liegt, dass er seit den Kämpfen gegen den dunklen Zauberer Baran an Selbstbewusstsein gewonnen hat?

      Er ist jedenfalls keinem der größeren Schüler ausgewichen, als sie nach den Ferien wie früher direkt auf ihn zukamen, um ihn anzurempeln. Kurz vor dem Zusammenprall wichen sie aus und schauten sich anschließend entgeistert an.

      »Was war das denn jetzt? Warum weicht Raban uns nicht mehr aus?«

      »Irgendwie wirkt er bedrohlich, so als würde es uns schlecht bekommen, wenn wir ihn herausfordern würden.«

      »Habt ihr auch ein kurzes Aufleuchten bemerkt. Was war das wohl?«

      »Hoffentlich hat sonst keiner unser Ausweichmanöver bemerkt! Unser Ansehen würde sonst erheblich leiden.«

      Die drei Jungen, die als schlimmste Rüpel der Schule bekannt sind, schauten sich verstohlen um. Sie atmeten erleichtert auf, da ihr Verhalten offenbar nicht bemerkt worden war. Sie hatten nicht registriert, wie Raban kurz vorher »Sgiath« gemurmelt hatte. Und selbst wenn sie das bemerkt hätten, wüssten sie natürlich nicht, dass der Junge damit einen physischen Schutz um sich erzeugt hatte, den er sofort danach mit »Inhibeo« wieder aufhob. Seit diesem Tag haben die drei Flegel Raban nie mehr herausgefordert, sondern weichen ihm stets in möglichst großem Bogen aus.

      Selbstverständlich wissen Rabans Eltern und auch sein Großvater von den magischen Kräften, die der Junge von dem Kolkraben Röiven übertragen bekommen hat, sonst aber niemand. Sein Großvater Finnegan war sogar kurz in die Ereignisse im letzten Jahr eingebunden und hatte seinen Enkel bei einem magischen Sprung begleitet.

      Der Junge lächelt, wenn er an seinen gefiederten Freund Röiven denkt. Sie haben viel Spaß gehabt und aufregende Abenteuer erlebt. Beide sind zu echten Freunden geworden, die sich aufeinander verlassen können und füreinander alles wagen. Gemeinsam überstanden sie die größte Lebensgefahr, als Baran sie mit Zaubersprüchen und dem Haupt der Medusa versteinern wollte.

      Raban besucht seinen Freund möglichst oft oder umgekehrt. Dafür nutzen sie manchmal ihre Zauberkräfte, aber hin und wieder wandert der Junge zu ihm, oder der Vogel kommt geflogen. Vorher nutzen sie die Möglichkeit, sich über geistigen Kontakt auszutauschen. Daher ist es für Raban nicht so schwierig, Röiven zu finden, auch wenn sich dieser meistens in der Nähe aufhält. Sie erzählen dann abwechselnd von den Ereignissen im letzten Sommer und träumen sich in die Vergangenheit zurück.

      Der Kolkrabe hat sich im letzten Jahr entschlossen, zusammen mit seiner Gefährtin Zoe einen neuen Clan zu gründen. Ihr bevorzugtes Revier liegt ganz in der Nähe von Rabans Wohnort. Der Junge erinnert sich daran, wie Röiven und Zoe sich kennengelernt haben. Das war, als Baran durch einen von Raban zurückgeworfenen Fluch versteinerte.

      Als die gleichzeitig von Röiven auf den dunklen Magier gerichteten Flammenzungen erloschen, stürzte sich ein junger Kolkrabe mit folgenden Worten auf den Zauberer:

      »Du elender Mistkerl. Du hast meinen Bruder getötet! Ich werde dir deine kalten Augen aushacken!« Zoe, denn sie war der junge Rabe, landete auf Barans Kopf und hackte immer wieder wütend auf dessen Augen ein.

      Mit den Worten:

      »Bist du verrückt geworden?«, stürzte Röiven aus seinem Versteck, um dem jungen Kolkraben beizustehen. Zum Glück war der dunkle Zauberer zu diesem Zeitpunkt bereits versteinert, sonst wäre die Aktion für beide Raben sicher schlecht ausgegangen. Das Rabenmädchen hatte sofort Röivens Herz erobert, und sie beschlossen damals, ein Leben lang zusammenzubleiben.

      Im Spätwinter, also Ende Februar, beginnt die Balz der beiden Vögel, die Raban bei seinen Besuchen aufmerksam verfolgt. Der Junge beobachtet paarweise Flugspiele über deren Revier, wobei sie laute Rufe hören lassen. Er sieht, wie sie gemeinsam Kreise, halbe Rollen und Wellen fliegen. Erstaunt stellt er fest, dass sich die großen Vögel gegenseitig das Gefieder pflegen, sich mit dem Schnabel kraulen und gegenseitig füttern. Röiven nimmt den Jungen jetzt kaum noch wahr, so gefesselt scheint er von Zoe zu sein.

      Auch wenn Raban sich etwas vernachlässigt fühlt, freut er sich für seinen Freund, der jetzt endlich eine Familie gründet. Er erinnert sich daran, dass sein Freund seine Eltern und Geschwister verloren hatte, noch bevor er als Jungvogel das Nest verlassen konnte. In seinem Zimmer zeichnet Raban zwei neue Bilder, die er zu den bereits vorhandenen neben seinem Bett aufhängt. Er schaut beide an und ist zufrieden. Ja, er kann gut zeichnen, besonders gut aber Vögel! Die neuen Bilder zeigen die Silhouette Röivens im Flug und ein Brustbild von Zoe.

      Bei seinem nächsten Besuch erspäht Raban das Nest des Paares. Es ist rund und befindet sich weit oben in der Krone einer Rotbuche. Beide Vögel bauen noch etwas daran herum. Jetzt erkennt der Junge, wie sie die Mulde darin mit Erdklumpen, Wollflecken von Schafen, Fellfetzen, trockenen Gräsern und ähnlichem auspolstern. Die Eiablage wird wohl bald erfolgen.

      In der zweiten Märzwoche ist es dann soweit. Über geistigen Kontakt erfährt Raban die Neuigkeit.

      »Also, ähem. Wie soll ich es sagen?…«, krächzt es frühmorgens in Rabans Kopf. Der Junge reibt sich verschlafen die Augen und sitzt kurz darauf aufrecht im Bett.

      »Röiven, ist etwas passiert? Brauchst du Hilfe?«


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