Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen. Michael Schenk
das Plateau. Für
einen Moment herrschte eine merkwürdige Stille. Nur hier und da erklang das
Pochen von Trümmern, die auf dem Boden des Plateaus aufschlugen.
»Sind alle in Sicherheit?« Mordeschdars laute Stimme tönte durch den
Horst. »Sind alle aus dem Arsenal entkommen?«
»Arsenal? Welches Arsenal?« Die wütende Stimme trug einen Unterton
der Verzweiflung. Palschudar, einer der älteren Schwingenreiter, deutete
grimmig zu den Trümmern hinüber. »Seht es euch an, unser Arsenal! Bei den
tiefsten Abgründen der Schmieden von Cantarim, unsere gesamten Vorräte an
Gelbstein sind dahin!«
»Beruhigt euch, Schwingenreiter.« Mordeschdar räusperte sich. »Lasst uns
erst sehen, was noch zu retten ist. Das Feuer hat vielleicht nicht alles
verschlungen.«
Zwei, drei der Lederschwingen reckten ihre langen Hälse aus den
Randbauten, und die dreieckigen Köpfe pendelten unruhig hin und her.
Gewitterstürme waren das Einzige, was diese Wesen fürchteten, und nun, da
die Gefahr vorüber war, drängten sie wieder ins Freie. Einige von ihnen
breiteten sofort die Flugschwingen aus und erhoben sich in die Luft, sichtlich
froh, der Enge des Unterschlupfes entkommen zu sein.
Mordeschdar sammelte die Schwingenreiter um sich, und Anschudar folgte
dem Wink des Anführers. Frauen und Kinder traten aus ihren Bauten und
bewegten sich zu den Vorratsgebäuden, um zu prüfen, ob es auch dort
Schäden gegeben hatte. Die Aufmerksamkeit der Männer galt allein dem
Arsenal, in dem sich der größte Teil des Gelbsteins befunden hatte. Die
Flammen und der Rauch, die über der Ruine aufstiegen, verhießen nichts
Gutes. Die Hitze war zu groß, um nahe herantreten zu können, und so klappte
Anschudar das Klarsteinvisier seines Helmes vors Gesicht. Nur um die
ungeschützte Mundpartie verspürte der junge Schwingenreiter das Brennen
der hohen Temperaturen und hielt schützend einen Arm davor.
Palschudar sah Anschudar düster an. »Du hattest Glück. Dein Helm, dein
Sattel – sie sind verschont geblieben.«
Mordeschdar nickte. »Verdammt. Ich hätte nicht geglaubt, dass ein
Gewittersturm uns so viel Leid bringen könnte. Die meisten Waffen und
Ausrüstungen verbrennen nun, ebenso wie der kostbare Gelbstein.«
»Hier ist ein Riss in der Seitenwand«, rief ein anderer. »Ich glaube, ein
paar Sachen können wir noch retten.«
»Lasst es uns wenigstens versuchen«, brummte der Schwingenführer.
»Aber seid vorsichtig. Solange es brennt, kann der Gelbstein zerspringen, und
die Wände sind durch die Flammen aufgeheizt, sie haben sich verschoben.
Gebt acht, dass der Bau nicht einstürzt.«
Das Arsenal hatte aus zwei großen Räumen und einem
dazwischenliegenden Flur bestanden. Das Lager für den Gelbstein war
verloren, und von der Ausrüstung und den Waffen der Schwingenreiter ließ
sich nur wenig bergen und noch weniger wieder verwenden.
»Das Unglück hat unser Volk getroffen«, stellte Mordeschdar seufzend
fest. »Waffen, Helme, Sättel und all das andere, das können wir wieder
ersetzen. Es wird Zeit brauchen, aber unsere Vorräte reichen dafür aus. Doch
der Verlust des Gelbsteins ist wahrhaftig bedrohlich.«
»Wir sollten Feedanaa fragen«, schlug Palschudar vor.
»Ja, das sollten wir tun«, stimmte Mordeschdar zu. »Die Herrin des
Horstes wird Rat wissen.«
Feedanaa.
Niemand vermochte zu sagen, wie alt sie war. Die Farben ihres
Lederkleides waren stumpf geworden und die Flugschwingen dünn. Feedanaa
hob sich nur noch sehr selten in die Lüfte und dann nur für einen kurzen Flug.
Die Krallen an ihren beiden Füßen waren abgenutzt, und das dunkle Horn war
rissig. Sie zog eines ihrer Beine unmerklich nach, die Folge einer
unglücklichen Landung und eines schlecht verheilten Knochenbruchs. Aber
ihr Verstand war noch immer scharf, und all ihre Sorge galt ihren Kindern.
Für Feedanaa spielte es keine Rolle, ob sie aus einem Ei geschlüpft oder aus
einem Schoß geboren waren. Die alte Lederschwinge war etwas ganz
Besonderes, denn sie besaß die Fähigkeit, die Laute der Bodenläufer zu
formen. Es war ein Phänomen, das bislang bei keiner anderen Schwinge
aufgetreten war. Die Herrin des Horstes benutzte manche eigenen Begriffe
und bildete oft keine ganzen Sätze, aber die Menschen des Horstes hatten sich
daran gewöhnt und lauschten aufmerksam auf das, was die Herrin zu sagen
hatte.
Feedanaa hatte sich im Hintergrund gehalten und aufmerksam beobachtet.
Auf dem Plateau schien Chaos zu herrschen, denn die Menschen rannten
umher, um die Schäden zu begutachten, und die Schwingen waren nervös, da
sie spürten, dass etwas Unangenehmes geschehen war.
»Geht langsam und gemessenen Schrittes«, befahl Mordeschdar den
Schwingenreitern. »Hast wäre ein Zeichen mangelnden Respekts vor der
Herrin. Wir sind keine kleinen Kinder, die aufgeregt zu ihrer Mutter laufen.«
Die Männer zwangen sich dazu, langsam zu gehen, und hielten im
richtigen Abstand, verneigten sich respektvoll und überließen es dann ihrem
Schwingenführer, der Herrin zu berichten.
Feedanaa hörte aufmerksam zu. Ihre Pupillen glitten auseinander und
betrachteten das qualmende Arsenal. Die Flammen begannen in sich
zusammenzufallen. Dann fixierte die alte Lederschwinge Mordeschdar.
»Brennen der Baumköpfe … nicht schlimm. Brennen der Stechmetalle …
nicht schlimm.« Die Verluste der Helme und Waffen der Reiter beunruhigte
Feedanaa nicht sonderlich. »Brennen von Gelbstein für Feueratem … sehr
schlimm. Alles gebrannt?«
Mordeschdar strich sich mit der Hand über das Kinn. »Fast alles, Herrin
des