Das Zeichen der Eriny. Lara Elaina Whitman

Das Zeichen der Eriny - Lara Elaina Whitman


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in dem manchmal recht dunkel, manchmal auch tiefblau wirkenden Wasser. Das Binnenmeer ist nur über eine ziemlich schmale Stelle mit der Bucht von Quiberon verbunden und es ist ziemlich flach. Deshalb gibt es keine großen Schiffe, dafür aber viele kleine. Wir haben auch ein Segelboot, die "Ange des Loups - Engel der Wölfe". Es ist nicht groß, nur ein Einhandsegler, aber es macht riesig Spaß damit auf dem Meer herumzuschippern. Der Segler hat eine Spinakertrompete, das macht ihn ziemlich schnell und eine Steuerung über die Pinne, so kann ich das Boot auch alleine bedienen. Ich kann das schon richtig gut, trotz der starken Gezeitenströme, die an einigen Stellen bis zu vier Metern pro Sekunde schnell werden können, was einen enormen Sog bedeutet für so ein kleines Schiff. Seit ich vierzehn bin habe ich sogar einen Sportbootführerschein Binnen, mit dem ich auf Flüssen und Seen fahren darf. Den Sportküstenschifferschein, mit dem ich in Küstennähe auf dem Meer segeln darf, habe ich auch bereits bestanden, allerdings bekomme ich das Dokument erst nach meinem Geburtstag zugesandt, da ich für diesen Schein sechzehn sein muss. Mit meinem Wissen könnte ich eigentlich jetzt schon alle Meere dieser Welt überqueren, aber meine Eltern würden das niemals zulassen. Schade eigentlich! Es ist einer meiner Lieblingstagträume alleine auf den Wogen der Ozeane zu reiten und fremde Länder anzusteuern. Mir ist klar, dass das eher eine romantische Vorstellung ist, schließlich hatte ich schon manchen aufziehenden Sturm auf dem Morbihan erlebt und das ist im Vergleich zum Atlantik ein zahmes kleines Gewässer. Nun liegt unser Segelboot in einer alten Scheune eines Bauern in der Nähe von Penhouet, im Hinterland von Carnac und wartet bestimmt traurig darauf, dass wir zurückkommen.

      Von Heimweh übermannt holte ich meine Fotosammlung heraus, die aus drei Alben bestand. Am schönsten waren die Bilder vom Hinterland von Carnac geworden. Dort gibt es sogar noch ein paar größere Wälder und eine Hügelkette. Ich vermisse unsere Ausflüge in diese Wälder, vor allem den Wald bei Huelgoat und den bei Paimpont. Beide Wälder sind Reste des uralten Waldes, der vor langer Zeit die ganze Bretagne bedeckt hat. Den Wald von Paimpont mag ich besonders gerne, denn dort ist mehr von den dicken hohen Bäumen übrig geblieben und er hat ziemlich dichtes Unterholz, in dem sich viele Tiere verbergen können. Einige munkeln der Wald von Paimpont wäre der Rest des Geisterwaldes Brocéliande und es würden dort Druiden, Feen und andere dämonische Mächte hausen. Zugegeben, der Wald hat etwas Magisches an sich, aber ich glaube nicht an Feen und all das Zeug. Meine Freunde in der Bretagne dagegen waren immer überzeugt davon, dass es in dem Wald spukt. Das Heimwehgefühl zieht mein Herz zusammen. Ich vermisse die salzige Luft, das unablässige Geschrei der Möwen und sogar die Wolken, die weit vom Atlantik draußen heranstürmen und Wind und Regen mit sich bringen. Und ich vermisse meine Freunde. Ich hatte jede Menge Freunde in Carnac, im Gegensatz zu hier.

      Für meinen Vater war es auch schwer von dort wegzugehen, schwerer als für meine Mutter. Das weiß ich ganz genau, auch wenn er es sich nicht anmerken lässt. Aber Großmutter wollte nicht nach Frankreich in die Bretagne kommen und so sind wir umgezogen, nach Filderstadt. Mein Vater arbeitet jetzt als Chefarzt in der hiesigen Klinik. Er scheint glücklich zu sein, weil meine Mutter jetzt glücklich ist. Immerhin ist sie seitdem auch etwas verständnisvoller zu mir und meckert nicht ständig über meine Vorliebe für Computerspiele.

      Genervt nestelte ich an der Verkabelung des Bildschirmes, die irgendwo zwischen Schreibtisch und Wand eingeklemmt war. Endlich bekam ich sie frei.

      »Ist es so besser?«

      »Ja, so seh´ ich was!« Thomy runzelte die Stirn, als er den Schlamassel musterte, den ich wieder angerichtet hatte. Nach einer Weile, die etwas länger dauerte als sonst, blickte er mich resigniert an. Mein Tablet flimmerte ein wenig und Thomy verschwand kurz, so dass ich den Rest, den er mir gerade erzählte, nicht mitbekam. »…pass auf, wenn du … du musst das abschließen, sonst kommst du nicht weiter.«

      »Thomy, ich habe nichts verstanden. Mein Tablet spinnt, die Skypeverbindung war unterbrochen.«

      »Das liegt an deinem schlechten WLAN und nicht an dem Tablet. Dein Vater sollte in modernere Router und bessere Bandbreite investieren. Also, noch einmal. Du musst den rosa Drachen in die Höhle dort schubsen. Dann bist du mit dem Level fertig. Danach wird es besser, glaube mir!«, sagte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

      »Was soll an dem Spiel besser werden. Wir schubsen verschiedenfarbige Drachen herum, suchen Diamanthöhlen und sammeln Punkte. Das ist Kinderkram! Wo hast du das Spiel überhaupt her?«, erwiderte ich genervt. Ich hatte keine Lust mehr das dämliche Spiel zu spielen. Ich wurde übermorgen sechzehn. Das hier war etwas für Achtjährige.

      »Vertrau mir! Bring den Level zu Ende und du wirst dich wundern.« Thomys Grinsen wurde noch ein wenig breiter und meine Laune noch schlechter. Ich würde noch mindestens zwei Stunden brauchen, um den Level abzuschließen. Aus dem Hintergrund in Thomys Zimmer hörte ich eine Stimme.

      Thomy drehte sich kurz um, sagte etwas und wandte sich dann wieder mir zu. »Ich muss Schluss machen. Sehen wir uns morgen?«, fragte er mich hoffnungsvoll.

      Ich schüttelte den Kopf. »Nein, morgen ist Samstag. Ich muss mit meiner Mutter Einkäufe erledigen und dann muss ich mit auf diese komische Feier in die Klinik gehen. Mein Vater lässt mich da nicht raus. Ich melde mich am Sonntag bei dir. Wir haben ja nächste Woche Osterferien.«

      Thomy nickte nur ergeben und legte auf. Ich starrte noch eine Weile nachdenklich auf mein Tablet und beschloss dann in die Küche zu gehen und mir ein Sandwich zu holen. Besser ich brachte diesen Level hinter mich, bevor meine Eltern nach Hause kamen. Sie mochten mein Hobby nicht besonders und abends durfte ich nicht spielen. Computersperre! Aber das würde ich mir nicht mehr lange gefallen lassen. Am Sonntag würde das enden. Es war mein Geburtstagswunsch, ein neuer Computer und die Freiheit ihn benutzen zu können, wann ich es wollte. Eine Spielekonsole war weit außerhalb meiner Vorstellungskraft. Das würde ich mir irgendwann selber kaufen müssen, sobald ich achtzehn war.

      Missmutig schlich ich zurück in mein Zimmer, damit mich meine Großmutter nicht hörte und womöglich mit mir einen Plausch halten wollte, wozu ich gerade keine Lust hatte. Immer noch genervt setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch, während ich mein Sandwich kaute. Wo war nur dieser kleine rosa Drache und wo war schon wieder diese Höhle? Nach einer geschlagenen halben Stunde hatte ich ihn endlich gefunden. Mit einem letzten Stupser bugsierte ich ihn in das dunkle Loch. Fast hätte ich es nicht gesehen, so winzig war es. Das Loch wurde umrankt von wild um sich peitschenden Pflanzen mit widerlichen kleinen grellgrünen Saugnäpfen an den langen Ranken, die den kleinen Drachen immer wieder auffressen wollten. Mit einem Stoßseufzer und einem letzten Stupser brachte ich ihn heil hindurch.

      In der Höhle war es dunkel und feucht. Wasser tropfte von den Felswänden und Nebel wallte auf dem Boden. Es sah irgendwie unheimlich aus und ich hatte das dringende Gefühl, dass ich mich beeilen sollte, bevor noch irgendetwas anderes versuchte sich meines Drachen zu bemächtigen. Irgendetwas Ekliges, das sich womöglich in dem dichten Bodennebel verbarg der merkwürdig plastisch aussah, obwohl das kein 3D-Spiel war. Ein fauliger Geruch stieg mir in die Nase, der mich irritiert innehalten ließ. Wo kam das denn her? Prüfend blickte ich in meinen Abfalleimer unter dem Tisch, aber da war nichts drin.

      Ich sollte mich nicht von Nebensächlichkeiten ablenken lassen und widmete mich wieder meiner Spielfigur. Drachen lieben Diamanten, zumindest in diesem Spiel. Obwohl sie Wyvern sind, sehen sie ganz niedlich aus, mit rosa Schleifchen um den langen Schlangenhals und schwarzen Kulleraugen, die ziemlich doof gucken können. Wie um Himmels willen war Thomy nur zu diesem Kinderspiel gekommen? Das musste er mir aber verraten, wenn ich ihn das nächste Mal traf. Ich würde ihn solange quälen, bis er damit herausrückte. Selbst meine Eltern hatten nichts dagegen gehabt. Sie wussten ja auch nicht, dass die Drachen von ziemlich gruselig aussehenden Monstern bedroht wurden. Die hatte ich ihnen nicht gezeigt. Ich suchte die Höhle nach dem Diamanten ab, der mir noch fehlte, um den Level abzuschließen. Normalerweise leuchtete irgendwo ein Stein, oder ein Gefäß, aber ich konnte nichts finden und so trieb ich die Figur weiter in die Höhle hinein, die sich zusehends verengte. Eigentlich wurden Höhlen größer, sobald man sie betreten hatte, aber diese hier war anders. War es das, was Thomy vorhin meinte?

      Ein kratzendes Geräusch ließ mich aufhorchen. Irgendetwas Großes war im Anmarsch. Der kleine Drache flimmerte aufgeregt, ein deutliches Zeichen, dass Gefahr im Verzug war. Ich schubste


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