Diener des Feuers. Karin Kehrer
Urzeiten die Tore der Elementwelten geschlossen, nachdem Krieg ausgebrochen war. Der Große Geist versiegelte sie mit Schlüsselsteinen, die er sicher verbarg, geschützt vor magischen Nachforschungen. Niemals mehr sollten die Wesen der Elemente die Möglichkeit haben, Unheil unter den Geschöpfen des Großen Geistes anzurichten. Vor allem sollte verhindert werden, dass jemals ein Magier wieder nach Myn Fantrix gelangen kann. Ein fürchterliches Unrecht, das unserer Rasse hier wiederfuhr. Aber da es immer schon Magier gab, deren Bestreben es war, die Welt der Unsterblichkeit zu finden, gelang es, Abbilder der Schlüsselsteine zu schaffen. Mit deren Hilfe sollte man die wahren Steine finden können. Über die Jahrhunderte verschwanden auch diese Abbilder, denn es ist ein wahrhaft großes Unterfangen, den Blick auf die Tore zu öffnen und manch einer ist gescheitert.“
Sel Dragmon winkte ungeduldig mit der Hand. „Ja, das ist uns bekannt. Aber was ist mit diesem Stein, der fehlt?“
„Wie ungeduldig du bist, mein Lieber“, sagte Varruk kalt. „Die Abbilder der Steine brauchen einen Mittelpunkt, das ist das Gesetz der Elementwelten. Einen Mittelpunkt, mit dem sie zu einem einzigen Stein verschmolzen werden können. Erst dann zeigt dieses neu geschaffene Kleinod den Blick auf die wahren Elementsteine.“
„Und Madryl hat ein Abbild dieses Mittelpunktes geschaffen?“
Erstauntes Gemurmel geisterte durch den Saal.
In Varruks Augen loderte eine Flamme auf. „Ja, Madryl hat diesen Stein geschaffen, so, wie es in den Mythen beschrieben wird. Er war ein wahrhaft großer Magier. Aber sein Mörder, dieses niederträchtige Geschmeiß, muss ihn an sich genommen haben.“
Lalana Yallasir sprang auf, blaue Irrlichter geisterten über ihre Robe. „Und warum betraust du mich nicht mit der Aufgabe, nach dem Abbild von Myn Fantrix zu suchen? Ich will Madryls Mörder!“ Ihre Stimme klirrte vor Wut.
„Gemach, liebste Lalana.“ Varruk kicherte. „Wenn du deinen Zorn mäßigst, wirst du zu der Einsicht gelangen, dass du nicht über die notwendigen Kräfte verfügst, nach dem Stein zu suchen. Dies kann nur mit Feuermagie geschehen. Feuermagie schuf ihn, Feuermagie findet ihn.“
Er wandte sich an Yal, der noch immer die Steine auf seiner Handfläche hielt.
„Entschuldige bitte die Unterbrechung, mein Junge. Um den Stein zu suchen, bedarf es eines besonderen Rituals, das im Buch der Großen Magie aufgezeichnet ist. Ich werde es dir geben. Und du wirst das Zeichen bekommen. Auch das wird dir helfen.“
Yal zuckte leicht zusammen. Das Zeichen eines Ratsmitgliedes zu tragen, bedeutete, gebrandmarkt zu sein für alle Zeit. Sein Leben dem Willen desjenigen unterzuordnen, der die Aufgabe erteilt hatte. Er würde Varruks Sklave sein, solange es diesem gefiel. Was das bedeuten mochte, darüber wollte und konnte er nicht nachsinnen. Er kannte Varruk gut genug und hielt ihn für eitel und machtgierig. Aber das durfte er nicht einmal denken.
Doch warum, bei allen Geistern der Elemente, suchte Varruk nicht selbst nach dem Stein? Was hinderte ihn daran? Er würde es nicht erfahren.
Yal legte die Steine in den Beutel zurück und steckte ihn in die Tasche seines Wamses. Dann zog er sich aus, zuerst das Wams, dann sein Hemd. Eine Gänsehaut überlief ihn.
Der Älteste zog amüsiert die Brauen hoch. „Du frierst? Du solltest danach trachten, das Feuer in dir nicht zu vernachlässigen. Sein Zorn könnte sich gegen dich richten.“
Yal zuckte unmutig die Schultern. „Ich weiß. Aber ich bin erschöpft. Etwas hat einen Teil meiner Gedanken geraubt. Und ich habe mich König Edryc von Findward als Heiler verpflichtet. Doch wie es aussieht, habe ich wohl jetzt ohnehin andere Sorgen.“
„Ja. Das könnte durchaus sein“, meinte der Älteste abwesend. Er legte seinen Zeigefinger auf Yals nackte Brust, genau unter das Schlüsselbein, vor dem Ansatz des Schultergelenks.
Yal fühlte die Wärme des Fingers auf seiner kalten Haut. Er wusste, es würde wehtun und biss die Zähne zusammen, um sich gegen den Schmerz zu wappnen.
Varruk begann eine Zauberformel zu murmeln. Yal schloss die Augen. Eine Welle aus reiner Energie kam auf ihn zu. Sie lief durch den Finger Varruks, traf seine Haut und bohrte sich in ihn.
Er knirschte mit den Zähnen, um nicht laut aufzuschreien und sog zischend die Luft ein. Unerbittlich setzte der Älteste seinen Spruch fort. Yal merkte, wie seine Knie zu zittern begannen. Tränen traten in seine Augen. Er schluckte und versuchte, sie zu ignorieren, seinen Atem gleichmäßig fließen zu lassen. Rasende Glut fraß sich wie eine Flamme durch die Knochen. Schweiß trat auf seine Stirn, lief in seine Augen. Er biss sich auf die Lippen, schmeckte den metallisch-süßlichen Geschmack von Blut. Begann unkontrolliert zu zittern, als die brennende Pein sich in seinem ganzen Körper ausbreitete, bis in die Spitzen der Finger und Zehen.
Yal keuchte auf, widerstand mit letzter Kraft der Versuchung, einfach zu Boden zu gehen.
Varruk beendete den Spruch mit einem Heilsegen. Langsam zog er den Finger zurück. Yal spürte, wie der Schmerz ihn zu verlassen begann und einem leichten Prickeln Platz machte.
Der Feuermagier legte die Hand auf die Stelle, die er mit seinem Finger gezeichnet hatte und sagte leise: „Gut gemacht, Yal. Ich sehe, du bist deiner Aufgabe würdig.“
Yal senkte den Kopf. Er brachte kein Wort heraus.
„Das Zeichen ist perfekt geworden“, meinte Varruk lächelnd.
Yal schielte auf seine Schulter. Schwarz hob sich das Mal von seiner bronzefarbenen Haut ab. Unzählige Linien, Kreise, die einen Weg formten, der in sieben Umgängen zur Mitte und wieder hinausführte. Das Symbol für Myn Fantrix, für die Unendlichkeit und den Weg des Lebens. Er schauderte. Nun war er gezeichnet und würde keine Ruhe finden, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte. Mit steifen Fingern griff er nach Hemd und Wams und zog sich wieder an.
Eine eigenartige Traurigkeit ergriff von ihm Besitz. Er war ein Heimatloser, ein einsamer Wanderer zwischen den Welten. Das war wohl sein Schicksal, wie das aller magischen Geschöpfe. Er hatte geglaubt, einen Platz zum Ausruhen gefunden zu haben, sich erholen zu können von etwas, von dem er nicht einmal wusste, was es war. Hatte sein Häuschen in Findward lieben gelernt, sich gefreut, endlich ein Zuhause zu haben.
Er hatte auch die Menschen lieben gelernt, selbst wenn sie nicht vollkommen waren. Seltsam – warum kam ihm das erst jetzt zu Bewusstsein?
Varruk wartete geduldig, bis Yal fertig angezogen war. So etwas wie ein Lächeln war auf seinem Gesicht, als er sagte: „Ich wünsche dir viel Glück, Yal Rasmon. Möge deine Aufgabe zu einem guten Ende kommen.“
Yal nickte. Er musterte die Herrinnen und Herren der Elemente. Das Bedauern und die Furcht in Sel Dragmons Miene ließ ihn schlucken. Lalana Yallasirs Gesicht war eine weiße Maske. Die anderen lächelten. Mitleidig, wie ihm schien, oder auch unverbindlich. Sein Schicksal als Marionette Varruks berührte sie nicht wirklich.
Er hüllte sich in seinen Umhang, verneigte sich und ging.
*****
„Was sollte das eben? Du spielst mit uns. Und du hast mir versprochen, den Namen des Mörders zu nennen!“ Lalana Yallasir spuckte vor Wut. Sie riss die Hände hoch und eine Wasserfontäne schoss aus dem Boden, sprühte durch die Halle. Varruk Erasant wich ihr geschickt aus und richtete seine Handfläche gegen den Strahl. Eine Garbe aus orangeroten Flammen fraß das Wasser auf. Heißer Dampf zischte, legte sich auf den Tisch und die acht Stühle.
„Mäßige dich, meine Liebe“, sagte er in schleppendem Tonfall. „Ich bin stärker als Madryl, mich kannst du nicht am Gängelband führen. Außerdem scheinst du mir nicht richtig zugehört zu haben. Ich habe niemals etwas versprochen. Erinnere dich!“
Vielleicht. Vielleicht auch nicht, lachte Varruk in ihren Gedanken.
Ein heißer Pfeil schoss durch Lalanas Kopf. Sie stöhnte auf.
„Weißt du es wieder?“
Sie nickte, noch immer stöhnend.
Varruk strich mit der Hand sanft über ihre Stirn. „Es tut mir leid. Ich weiß,