Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900
die Dora, die immer die Kinder sagt, wenn sie von mir und von der Hella und sogar vom Robert spricht. Da hat er gesagt: Die Dora ist grad so eine Gans, wie die Erna. Da hat er wirklich Recht. Der Robert sagt, er wird nie rauchen, das ist furchtbar ordinär, wirklich feine Herren rauchen nicht. Na also bitte, und mein Papa? Und er sagt auch, er wird auch nie einen Bart tragen, sondern er wird sich alle Tage rasieren und seine Frau muss ihm alles herrichten. Also dem Papa steht sein Bart sehr gut, ich kann ihn mir gar nicht vorstellen ohne Bart. Ich heirate jedenfalls keinen Mann, der keinen Bart hat.
5. August: Wir gehen alle Tage auf den Tennisplatz. Wie wir gestern gehen, der Robert und ich und die Liesel, die Erna und der René, ruft uns die Dora nach: Das Brautpaar in spee. Das hat sie nämlich vom Oswald und das heißt, glaube ich, in hundert Jahren. Na, so lange wartet vielleicht sie, aber wir nicht. Die Mama hat sie deswegen ordentlich ausgezankt und gesagt, sie soll nicht so blöde Sachen reden. Das war schon recht; in spee, in spee. Wir nennen sie jetzt nur mehr Inspee, da weiß niemand, von wem wir reden.
6. August: Die Hella kann nicht hierher kommen, denn sie fährt mit ihrer Mama nach Klausenburg zu ihrem anderen Onkel, der ist dort Bezirksrichter oder wie das in Ungarn heißt. Jeden Bezirksrichter stelle ich mir so vor, wie den Bezirksrichter Th... den wir kennen, so ekelhaft. Die Nase und dabei ist seine Frau so schön; aber sie wurde gezwungen zum Heiraten von ihren Eltern. Zu so etwas ließe ich mich nie zwingen, da heirate ich lieber gar nicht, sie ist auch sehr unglücklich.
7. August: Es ist ein gräulicher Skandal bei uns wegen der Dora. Der Oswald hat dem Papa gesagt, dass sie beim Tennisspielen furchtbar kokettiert und das kann er nicht dulden. Der Papa hat wahnsinnig geschimpft und jetzt dürfen wir nicht mehr Tennisspielen gehen. Und am meisten hat sie geärgert, dass der Papa vor mir gesagt hat: So ein Fratz von 14 Jahren fängt schon an, sich den Hof machen zu lassen. Sie hat ganz rot geschwollene Augen und hat am Abend nichts gegessen vor Kopfweh!! Also dieses Kopfweh kennt man schon. Aber wie ich dazu komme, dass ich nicht gehen darf, das sehe ich nicht ein.
8. August: Der Oswald sagt, der Student hat sich ganz fer benommen, die Schuld liegt nur an der Dora. Also das weiß ich am besten; wenn ich nur denke, damals auf der Südbahn. Also ich darf richtig auch nicht Tennisspielen gehen, obwohl ich die Mama riesig gebeten habe, sie soll beim Papa für mich sprechen. Aber sie sagt, das nützt nichts, der Papa ist furchtbar böse, und ich darf auch nicht mehr ganze Tage bei den Warth sein. Ganze Tage, ich möchte wissen, wann ich einen ganzen Tag dort war. Da hätte ich doch dort mindestens zu Mittag essen müssen. Was kann denn ich dafür, dass die Dora sich den Hof machen lässt. Das ist doch lächerlich. Aber immer sind die Eltern so. Wenn eins was tut, müssen die andern mitleiden.
9. August: Gott sei Dank, ich kann wieder auf den Tennisplatz gehen; ich habe den Papa so lange gebettelt, bis er es mir erlaubte. Die Dora behauptet, sie verlange es sich ohnehin nicht! Na also, das kennt man schon, das ist der Fuchs mit den sauren Trauben. Sie spielt sich seit neuestem auf die Kranke hinaus, geht nicht ins kalte Bad und bleibt womöglich von den Spaziergängen zuhause. Ich möchte wissen, was ihr fehlen sollte. Mich wundert nur, dass der Papa es erlaubt, denn die Mama ist immer sehr, aber schon sehr nachsichtig gegen die Dora; sie ist entschieden ihr Liebling, besonders wenn der Oswald nicht da ist. Dass man den Oswald zum Liebling hat, kann ich begreifen, aber die Dora? – Überhaupt der Papa sagt immer, Eltern haben keinen Liebling, alle Kinder sind ihnen gleich. Ja, vom Papa ist das auch wahr, obwohl die Dora behauptet, ich sei der Liebling vom Papa; aber das bildet sie sich wirklich nur ein. Wir bekommen zu Weihnachten und auch sonst immer gleich viel, und das ist doch das sicherste Merkmal. Die Rosa Plank bekommt immer dreimal so viel als ihre Geschwister, das heißt ein Liebling sein.
12. August: Ich kann nicht alle Tage schreiben, denn ich bin meistens mit Warth zusammen. Der Oswald kann den Robert nicht leiden, er sagt, er ist ein Lausbub und noch nass hinter den Ohren. Eine solche Gemeinheit. Ich rede seit drei Tagen nichts mit ihm, das heißt nur das Notwendige. Die Erna und die Liesel, denen ich das erzählte, sagen: alle Brüder sind so impertinent gegen ihre Schwestern. Ich möchte wissen, warum? Übrigens der Robert ist im allgemeinen sehr nett zu seinen Schwestern. Sie sagen: Ja vor dir, weil er sich vor dir geniert. Gestern haben wir uns gekugelt vor Lachen, was er uns erzählt hat, wie sich die Buben über ihre Professoren lustig machen. Das mit den Zigarettenstumpferln war zum Totlachen. Und sie haben einen Verein, der heißt T. Au. M., d. h. nämlich auf Lateinisch Schweig oder stirb, in den Anfangsbuchstaben. Keiner darf etwas verraten und wenn einer neu aufgenommen wird, muss er sich ganz ausziehen und er muss sich so hinlegen und jeder spuckt ihm auf die Brust und verreibt es und sagt: So sei der Unsere, aber alles auf Lateinisch. Und dann muss er zum Ältesten und Größten gehen und bekommt von ihm mit einer Rute ein paar auf den P... und muss schwören, dass er nie einen verrät. Und dann raucht jeder eine Zigarre an und tupft ihn mit dem brennenden Ende auf den Arm oder sonst wohin und sagt: Jeder Verrat soll dich so brennen. Und dann ritzt ihm der Älteste, der einen besonderen Namen hat, den ich mir aber nicht gemerkt habe, das Wort Taum, d. h. eben Schweig oder stirb ein und ein Herz mit dem Namen von einem Mädchen. Der Robert sagt, wenn er mich früher kennen gelernt hätte, so hätte er Gretchen gewählt. Ich fragte ihn, was für einen Namen er eingeritzt habe, da sagte er, das dürfe er nicht verraten. Aber ich werde dem Oswald sagen, er soll im Bade schauen und es mir dann sagen. In diesem Verein schimpfen sie furchtbar über die Professoren und wer die besten Streiche ausdenkt, wird in die Rohon gewählt; ein Rohon sein, ist eine Auszeichnung und die anderen müssen ihm unbedingt folgen. Und manches kann er mir nicht einmal erzählen, sagte er, weil es zu arg ist. Und dann musste ich ihm schwören, dass ich das alles vom Verein niemandem sage und er wollte, ich soll mich zum Schwören niederknien, aber das habe ich nicht tun wollen und da hat er mich beinahe umgeworfen. Und schließlich musste ich ihm die Hand drauf geben und ein Busserl. Das habe ich ihm schon eher gegeben, denn an einem Busserl ist nichts dabei, aber niederknien, nein das tue ich absolut nicht. Aber ich habe mich schrecklich gefürchtet, weil wir ganz allein im Garten waren und weil er mich so beim Hals packte und niederdrückte. Das vom Verein hat er mir nämlich ganz allein erzählt, weil er sagte: Deinen Namen darf ich nicht mehr einritzen, denn zwei Namen geht gegen unsere Gesetze, aber dafür sollst du gegen deinen Schwur wissen, was ich im geheimen bin und denke.
Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, weil mir immer von dem Verein träumte. Ob es im Lyzeum auch solche Vereine gibt und ob die Dora auch bei einem ist und einen Namen eingeritzt hat. Aber ganz ausziehen ist doch grässlich, noch dazu vor seinen Mitschülerinnen. Vielleicht ist das bei den Vereinen der Lyzealschülerinnen weggelassen. Aber ich würde auch nicht sagen, dass ich mir den Namen Robert einritzen will.
15. August: Gestern erzählte mir der Robert, dass es auch Vereine von Buben gibt, wo sehr unanständige Sachen geschehen, aber bei ihnen darf das nicht sein. Aber er sagte nicht was. Ich sagte, ich finde das Ganzausziehen schrecklich; aber er sagte, das ist gar nichts, das muss sein, wenn einer dem anderen vertrauen soll, wenn nur nichts Unanständiges geschieht. Ich möchte sehr gerne wissen, was. Ob der Oswald es weiß, und ob er bei einem solchen Vereine oder einem anständigen ist und ob der Papa dabei war. Wenn ich nur draufkommen könnte. Aber fragen darf ich nicht, weil ich sonst den Robert verrate. Wenn er mich sieht, presst er mir immer so das linke Handgelenk, ohne dass es wer sieht. Er sagte, das ist die Mahnung, dass ich schweigen muss. Aber es wäre wirklich nicht notwendig, denn ich verrate ihn auf keinen Fall. Er sagte: Der Schmerz soll dich an mich binden. Wenn er das sagt, so werden seine Augen ganz dunkel, förmlich schwarz, obwohl er eigentlich graue Augen hat und riesig groß. Besonders am Abend, wenn wir auseinander gehen, schaut das grässlich aus. Mir träumt immer von ihm.
18. August: Gestern abends war ein herrliches Kaiserfest mit Illumination. Wir kamen erst um ½1 Uhr nachhause. Zuerst gingen wir zum Parkkonzert und zur Beleuchtung. Von den Höhen schossen sie herunter und Höhenfeuer brannten überall; es war förmlich schaurig, obwohl es wunderbar war. Mir schnapperten ein paarmal die Zähne, ich weiß nicht aus Angst, dass etwas geschieht, oder was. Dann kam der R. zu mir und erzählte mir riesig viel. Er will unbedingt Offizier werden. Aber da braucht er eigentlich gar nicht so viel lernen, da lernt er alles jetzt umsonst. Er sagt, das macht nichts, das gibt ein riesiges Übergewicht. Ich finde nicht, dass er etwas blöd ausschaut, das sagt der Oswald nur, damit ich mich recht ärgere. Auf einmal waren wir von den anderen ganz getrennt und da setzten wir uns auf eine Bank und warteten auf sie. Derweil fragte ich