Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900

Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Rita anonym um 1900


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kann sie mir alles sagen und wir werden eine die andere nicht verraten. Und die Inspee, die falsche Katze, weiß das natürlich längst und will es nur nicht sagen. Aber das weiß ich doch nicht, warum der Robert damals bei der Schaukel gesagt hat: Du Närrin, davon kriegt man noch lang kein Kind. Vielleicht weiß es die Hella. Wenn ich Nachmittag ins Turnen gehe, gehe ich vorher zu ihr und frag sie. Gott, ich bin so neugierig.

      10. Oktober: Ich habe eine grässliche Angst, ich war gestern nicht in der Turnstunde. Ich war bei Hella oben, und da habe ich mich ohne Absicht so verspätet, dass ich mich dann nicht getraut habe hinzugehen ins Turnen. Und die Hella hat gesagt, ich soll nur bei ihr bleiben, wir sagen die Rechenaufgabe war so schwer, wir haben sie solange nicht können. Zum Glück haben wir wirklich eine. Aber ich habe zuhause gar nichts gesagt, weil morgen der Oswald wegkommt nach G. zum Herrn Dir. S. Jetzt habe ich geglaubt, ich weiß schon alles und jetzt hat mir die Hella erst wirklich alles gesagt. Das ist grässlich mit der P... Ich kann‘s gar nicht weiter schreiben. Sie sagt, natürlich hat‘s die Inspee schon, schon damals wie ich geschrieben habe, die Inspee braucht nicht baden gehn, wenn sie nicht will; da hat sie es bekommen. Und wie das nur sein muss, da muss man doch immer Angst haben. Ströme von Blut sagt die Hella. Aber da wird ja alles ganz bl... Und darum hat die Inspee immer das Licht abgedreht am Land, wenn sie noch gar nicht ausgezogen war, damit ich nichts sehe. Pfui Teufel, ich hätte auf keinen Fall hingeschaut. Mit 14 Jahre bekommt man es und es dauert bis 20 Jahre. Die Hella sagt, die Franke Berta in unserer Klasse weiß alles. Sie hat ihr in der Rechenstunde auf den Faulenzer geschrieben: Weißt du was P... bedeutet? Und die Hella hat darunter geschrieben, natürlich schon längst. Und dann hat die Franke um 12 Uhr auf sie gewartet, wie die Katholischen Religionsstunde gehabt haben, und sie sind damals mit einander nachhause gegangen. Ich erinnere mich noch ganz gut, ich habe mich sehr geärgert, weil das keine Freundschaft ist. Am Dienstag gehen wir mit der Franke, die Hella hat ihr schon geschrieben unter der Stunde, dass ich alles weiß und sie braucht sich nicht genieren. Die Inspee ahnt etwas, sie schaut immer herüber und lacht höhnisch, sie glaubt wahrscheinlich, nur sie kann es wissen.

       16. Oktober: Morgen ist der Geburtstag vom Papa und von der Dora. Ich ärgere mich jedes Jahr, dass die Dora gerade mit dem Papa zusammen Geburtstag hat. Am meisten ärgert mich eigentlich, dass sie sich so viel darauf einbildet, denn es ist ja wirklich ein bloßer Zufall, wie der Papa immer sagt. Und ich glaube, ihm ist es nicht einmal besonders angenehm. Jeder will doch seinen Geburtstag an einem eigenen Tag haben, nicht mit jemanden anderen zusammen. Und diese Einbildung, die ist schon nimmermehr schön. Übrigens heuer ist es so nichts mit einer ordentlichen Geburtstagsfeier wegen der Geschichte mit dem Oswald. Der Papa ist wütend, und er hat sich auf 2 Tage im Bureau frei gemacht, weil er nach G. gefahren ist, wohin der Oswald kommen soll.

      17. Oktober: Es war doch schöner heute, als ich geglaubt habe. Die ganze Familie Bruckner war da, und da ist natürlich vom Oswald nicht viel geredet worden, nur dass er einen verstauchten Fuß hat, (das ist aber nicht wahr, das weiß ich jetzt bestimmt) und dass er wahrscheinlich nach G. kommt. Und der Oberst B. hat gesagt: Das Beste für einen Bub ist die Militäranstalt, da muss er parieren. Und am Abend hat der Oswald gesagt: Das ist ein Stuss, was der Hella ihr Papa gesagt hat, denn in der Militäranstalt kann man ebenso gut herausgeschmissen werden, wie aus dem Gymnasium. Das sieht man doch am Edgar Groller. Damit hat er sich aber verraten, und die Dora hat auch gleich gesagt: Ah so, herausgeschmissen bist du worden, und wir haben geglaubt, du hast den Fuß verstaucht. Da hat er sich furchtbar geärgert und hat gesagt: Euch Gören, wird man nicht alles auf eure frechen Nasen binden und hat die Tür zugehauen, weil die Mama gerade nicht im Salon war.

       19. Oktober: Wenn wir nur erfahren könnten, was eigentlich mit dem Oswald war. Mit einem Mädchen muss es etwas sein. Aber was der Papa dann von einer verheirateten Frau gesagt hat, das wissen wir nicht. Wahrscheinlich hat ihn eine verheiratete Frau beim Direktor oder beim Klassenvorstand angezeigt, und so ist dann alles herausgekommen. Es tut mir eigentlich furchtbar leid: denn ich denke mir, wie es mir gewesen wäre, wenn alles herausgekommen wäre vom Robert und mir. Jetzt ist es mir ja alles eins. Aber damals im Sommer wäre es mir furchtbar gewesen. Der Oswald spricht fast kein Wort, höchstens noch mit der Mama. Er tut immer, als ob er lesen würde, aber lächerlich, mit einem solchen Liebeskummer liest man doch nicht wirklich. Ich habe der Franke nichts Näheres erzählt, nur dass mein Bruder eine unglückliche Liebe hat und deswegen hier in Wien ist. Und da hat sie uns erzählt, dass sich heuer im Sommer ein Cousin von ihr wegen ihr erschossen hat. In der Zeitung ist gestanden wegen einer Schauspielerin, aber das ist nicht wahr, es war wegen ihr. Sie wird nämlich schon 14 Jahre.

      20. Oktober: Wir gehen jetzt meistens mit der Franke. Sie sagt, sie hat schon wahnsinnig viel erlebt, aber sie kann es uns jetzt noch nicht erzählen, weil wir uns noch nicht gut genug kennen. Bis später einmal. Wahrscheinlich fürchtet sie sich, wir könnten sie verraten. Sie will längstens mit 16 Jahren heiraten. Also in zwei Jahren. Da macht sie natürlich das Lyzeum nicht fertig, sondern tritt schon aus der 3. Klasse aus. Sie hat drei Verehrer, aber sie weiß noch nicht, wen sie wählen wird. Die Hella sagt, ich solle doch nicht alles glauben, das mit den drei Verehrern auf einmal ist bestimmt aufgeschnitten.

      21. Oktober: Die Franke sagt, wenn man blaue Ringe hat, dann hat man es und wenn man ein Kind bekommt, dann hat man es nicht mehr, bis man wieder eins bekommt. Und sie hat uns auch erzählt, wie man es bekommt, aber das glaube ich nicht recht, mir scheint, das weiß sie selber nicht ganz genau. Da ist sie sehr böse geworden und hat gesagt: „Gut, so red ich gar nichts mehr. Wenn ich es so nicht weiß.“ Aber das von Mann und Frau, das versteh ich nicht. Sie sagt, es muss jeden Abend geschehen, sonst bekommen sie kein Kind; wenn sie einen Abend vergessen, so bekommen sie kein Kind. Und darum stehen die Betten ganz nebeneinander. Das nennt man Ehebetten!!! Und es tut so weh, dass man es kaum aushalten kann. Aber man muss, denn der Mann kann einen dazu zwingen. Wieso zwingen, das möchte ich gerne wissen. Aber ich hab nicht gefragt, weil sie sonst geglaubt hätte, ich mache mich lächerlich über sie. Und die Männer haben es auch, aber nur sehr selten. Wir gehen jetzt immer mit der Franke Berta, sie ist ein sehr liebes Mädel, vielleicht darf ich sie am nächsten Sonntag einladen.

      23. Oktober: Heute ist der Papa mit dem Oswald weggefahren. Die Mama hat sehr geweint. Ich habe zum Oswald beim Wegfahren noch schnell gesagt: Ich verstehe, was du leidest. Aber er hat mich nicht verstanden, denn er sagte: Dumme Kröte. Vielleicht hat er es auch nur wegen dem Papa gesagt, der mit einem fürchterlichen Gesicht daneben gestanden ist.

       27. Oktober: Gott, es ist alles wie verhext. Gestern hab ich ungenügend in Geschichte bekommen und heute habe ich in der Rechenschularbeit gar keine Rechnung richtig. Und wir haben gestern noch solange geübt. Ich sag vorläufig nichts zuhause. Aber wegen der Turnstunde neulich, habe ich doch Angst. Wenn mir nur die Mama morgen das Geld mitgibt und nicht selber geht, denn dann erfährt sie es sicher.

      28. Oktober: Heute war die Frau Direktor in der französischen Stunde da und hat mich sehr gelobt. Sie sagt, im Französischen könnte ich in der dritten sein und dann fragt sie mich, ob ich in den anderen Gegenständen auch so gut beschlagen sei. Ich habe nicht sagen wollen, ja und auch nicht nein, und da haben alle Kinder gesagt, ja, sie kann überall alles. Und da hat mir die Frau Direktor auf die Schulter geklopft und hat gesagt: Das hör ich gern. Und wie sie draußen war, habe ich grässlich geweint und die Madame Arnau hat gefragt: Ja was hast du denn? und die Kinder haben gesagt: In der Rechenschularbeit hat sie ungenügend und sie kann doch so gut rechnen. Und da die Madame hat gesagt: „Du wirst dir das ungenügend schon wieder verbessern“.

      30. Oktober: Heute habe ich einen furchtbaren Verdruss gehabt mit dem Fräulein Vischer aus Geschichte. Gestern wie ich mit der Mama in die Elektrische einsteige, sitzt die V. drin. Ich schau weg, damit die Mama sie nicht sieht und sie ihr nicht am Ende sagt, dass ich die dummen Sagen nicht können habe. Und heute wie sie hereinkommt, sagte sie: Lainer, kennst du die Schulordnung? Ich weiß gleich was sie meint und sage: „Ich habe Fräulein gegrüßt in der Elektrischen, aber Fräulein haben gerad nicht hergeschaut“. „Das ist sehr schön, ein Vergehen durch eine Lüge beschönigen zu wollen. Setz dich!“ Ich habe mich sehr geniert, weil mich alle Kinder angesehen haben. Und um 11 Uhr hat die Franke gesagt zu mir: Mach dir nichts draus, sie hat dich auf den Zug, und da wird sie immer was finden. Und sie muss es der Frau Doktor M. gesagt haben, weil sie in der Deutschstunde als freie Redeübung


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