Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900
Oswald nichts verraten hat. Er sagte nur: Na, das ist auch ein Gusto! Aber der Papa hat ihn gleich recht angefahren: „Du halt das Maul und denk an deine Schweinereien.“ Das habe ich ihm gegönnt; ich finde ja auch die Dora nicht so großartig, aber schließlich kann sie ja doch einem gefallen. Im Boukett war ein Gedicht, das hat die Dora schnell heimlich herausgerissen, ehe es der Papa gesehen hatte. Es ist sehr schön und als Unterschrift steht: Einer, dem Sie das Weihnachtsfest verschönern! Und als Überschrift: „Festzauber“. Ich finde es geradezu heroisch, dass die Dora sich nicht verrät; sie behauptet auch zu mir, sie weiß es nicht; wenn das nicht eine ihrer Falschheiten ist. Ich glaube, eigentlich eher wird es von dem jungen Perathoner sein, der immer mit ihr läuft am Eis.
28. Dezember: Ich habe gar keine Zeit gehabt zum Schreiben. Ich habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe. Und von der Tante Dora haben wir jede einen Operngucker aus Perlmutter in Pelüschetäschchen bekommen. Wir werden nämlich in alle Schülervorstellungen gehen, wir haben von Papa die Anweisung bekommen; nämlich die hat er selbst geschrieben für alle Vorstellungen im Schuljahr 19.. bis 19.. Ich freue mich furchtbar, denn die Frau Dr. M. kommt auch. Wenn ich nur neben ihr sitzen könnte.
31. Dezember: Ich habe heute alles durchlesen wollen, was ich geschrieben habe. Aber ich bin nicht dazugekommen. Aber im neuen Jahr muss ich wirklich alle Tage schreiben.
Januar 1901
1. Jänner 1901(?): Wenigstens ein paar Sätze muss ich schreiben. Nachmittags waren wir bei Rydbergs eingeladen, und da waren auch die Warth Edle von Wernhoff!! dort. Mit der Lisel habe ich geredet wie gewöhnlich, aber mit dem R. kein Wort. Sie sind früher fort als wir, und da hat mich die Heddy gefragt, was ich mit dem R. gehabt habe. Er hat von mir gesagt: Die schwarze Gans kann mir gestohlen werden. Und dann hat er gesagt, mir kann man alles aufbinden. Ich bin so dumm, dass ich alles glaube. Was das eigentlich heißen soll, weiß ich nicht; denn er hat mir nie etwas aufgebunden. Übrigens werde ich mir nicht den ersten Tag im Jahr durch den verderben lassen. Aber da hat die Hella Recht, wenn man am 1. Jänner einen ordinären Menschen zuerst begegnet, so ist das schon ein schlechter Anfang. Ich begegnete nämlich in der Frühe, wie ich aus dem Tore ging, unseren alten Briefträger, der immer so brummt wenn ihm nicht gleich aufgemacht wird. Ich schaute schnell weg und drüben ging gerade ein feiner junger Herr, aber das nützte nichts mehr, der ordinäre Briefträger war doch der erste.
12. Jänner: Ich ärgere mich furchtbar. Wir dürfen nicht mehr auf Eis gehen, weil die Inspee wieder mit ihren dummen Ohren anfängt und die Mama bildet sich ein, sie hat sich im vorigen Jahr die Mittelohrentzündung am Eis geholt. Also gut, dann soll sie nicht gehen; aber ich? Was kann denn ich dafür, dass sie so empfindlich ist? Der Papa ist sonst wirklich die Gerechtigkeit selber, aber in diesem Falle verstehe ich ihn nicht. Das ist doch einfach lächerlich, das heißt, es ist zu traurig, als dass man sagen kann lächerlich. Ich bin empört. Jedenfalls rede ich gar nichts.
12. Februar: Jetzt habe ich einen ganzen Monat nicht geschrieben, weil ich so viel lernen musste. Und heute haben wir die Zeugnisse bekommen. Im Fleiß habe ich, trotzdem ich so gelernt habe in der letzten Zeit, wieder nur einen Zweier. Die Frau Dr. M. hat eine großartige Ansprache gehalten und hat gesagt: Wie die Saat, so die Ernte. Das ist aber nicht immer wahr. In Naturgeschichte habe ich zweimal nichts gekonnt und habe doch 1 bekommen und in Geschichte habe ich nur einmal nichts gekannt und habe Genügend bekommen. Allerdings kann mich das Fräulein V. nicht leiden, weil ich damals in der Elektrischen nicht gegrüßt habe. Und deshalb hat sie auch im Jänner, wie die Mama nachfragen war, gesagt: „Es fehlt ihr am richtigen Ernst.“ Und damals habe ich gehört, wie der Papa zur Mama gesagt hat: Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind, aber heute hat er mir doch einen Skandal wegen dem Fleißzweier gemacht. Das hat er doch wissen können. Die Dora hat, wie sie behauptet, lauter Einser, aber sie zeigt das Zeugnis nicht. Und was ich nicht sehe, das glaube ich nicht. Und die Mama verrät sie einfach nicht.
15. Februar: Der Papa ist wütend, weil der Oswald ein Nichtgenügend hat im Griechisch. Eigentlich ist das Griechisch ganz unnötig; denn niemand braucht es, außer die Leute in Griechenland, und dorthin geht doch der Oswald ohnehin nie, wenn er auch auf den Landesgerichtsrat studiert wie der Papa. Die Dora lernt natürlich Latein; na, das tue ich mir nicht an. Die Hella hat keine besonderen Noten, und ihr Papa tobte!!! Er verlangt, sie soll die Beste sein. Aber sie ist gar nicht so erpicht darauf und sagt: Man muss nicht alles haben. Wenn sie im zweiten Halbjahr nicht lauter Einser hat, darf sie nicht weiter gehen ins Lyz. Sie muss in die Bürgerschule gehen. Dann bringt sie sich um. Der Papa ist auch sehr komisch; wozu hat man denn Geschichtenbücher, als dass man sie liest. Gestern lese ich im Töchteralbum und der Papa kommt herein und sagt: Du, lies lieber im Geschichtsbüchel als im Geschichtenbuch und schlägt mir das Buch zu. Ich habe einen solchen Zorn gehabt, dass ich mich schon um 7 Uhr ohne Nachtmahl ins Bett gelegt habe.
20. Februar: Heute begegnete ich der Goldfee. Sie redete mich an und fragte, warum ich nicht aufs Eis komme. Das Kostümfest am 14. sei großartig gewesen. Ich sagte: Denken Sie sich Fräulein, meine Schwester hatte im vorigen Jahr Mittelohrentzündung, und deshalb dürfen wir beide heuer nicht aufs Eis. Sie lachte furchtbar und sagte so entzückend süß: Ja, die böse Schwester. Sie ist einfach göttlich: Ein rehbraunes Kostüm mit feinem Pelz, ich glaube Zobel, besetzt und einen riesigen braunen Kastorhut mit Schinébändern, hochfein. Und dann diese Augen und der Mund. Ich glaube, sie wird den Herrn heiraten, der immer mit ihr gelaufen ist. Wenn wir im Herbst wieder neue Winterkleider bekommen, lasse ich mir ein rehbraunes mit Pelz machen, wir müssen doch nicht immer gleich angezogen sein. Die Hella und die Lizzi sind nie gleich angezogen.
8. März: Mit der Franke spreche ich nie mehr ein Wort; eine solche Falschheit. Ich habe solche Kopfschmerzen, weil ich die ganze Stunde geweint habe. Sie schreibt der Hella und mir in der Rechenstunde auf: Ein Verhältnis heißt ganz etwas anderes. Und das Fräulein schaut gerade her und sagt: Wem hast du zugenickt? Und sie sagt: Der Lainer. Weil sie gelacht hat über das Wort „Verhältnis“. Das war aber wirklich nicht wahr. Ich habe zuerst an gar nichts gedacht und erst wie ich den Zettel lese, fällt der Hella und mir ein, was Verhältnis heißt. Nach der Stunde ruft uns das Fräulein St. hinunter ins Professorenzimmer und sagt der Frau Dr. M., dass wir, die Franke und ich, so gelacht haben über das Wort „Verhältnis“. Und die Frau Dr. M. sagt: Was gibt es denn da zu lachen; rechnet lieber ordentlich. Und das Fräulein sagt: Schämt Euch, in der ersten Klasse sollt Ihr solche Sachen gar nicht wissen. Ich werde mir Eure Mutter vorladen. In der Deutschstunde hat die Frau Dr. M. einen Spruch als Aufsatz gegeben: Rein das Herz und wahr das Wort, klar die Stirn und frei das Aug, das sei des Menschen Hort, oder so ähnlich; ich muss es mir von der Hella abschreiben, denn ich habe die ganze Stunde geweint.
10. März: Heute hat sich die Franke herausreden wollen; aber die Hella und ich haben ihr gleich gesagt, wir reden nicht mehr mit ihr. Und sie soll nur dran denken, was für Sachen sie uns gesagt hat. Und da hat sie alles abgeleugnet und gesagt, wir haben ohnehin schon alles gewusst. Wir sollen uns nur nicht so verstellen. Das ist eine Gemeinheit. Wir haben eigentlich gar nichts gewusst und sie hat uns alles gesagt. Und schon oft hat die Hella zu mir gesagt, sie wollte, dass wir gar nichts wüssten. Weil sie immer Angst hat, sich zu verraten. Und dann, weil sie oft an so etwas denkt, wenn sie lernen soll. Das ist bei mir gerade ebenso. Und manchmal träumen einem auch solche Sachen, wenn man gerade Nachmittag davon geredet hat. Aber es ist doch besser, wenn man alles weiß.
22. März: Ich komme so selten zum Schreiben, erstens haben wir sehr viel zu lernen und zweitens freut es mich nicht mehr, seit der Papa das gesagt hat. Wie ich das letzte Mal geschrieben habe, das war an einem Samstag nachmittags, da kommt der Papa herein und sagt: Kommt Kinder, wir fahren nach Schönbrunn. Das ist Euch gesünder als Tagebuchkritzeln, das Ihr dann höchstens irgendwo liegen lasst. Also hat die Mama es doch dem Papa gesagt in den Ferien. Das hätte ich nie geglaubt von der Mama, denn ich hatte sie gebeten, sie soll mir schwören, dass sie's niemanden sagt. Und sie hat gesagt: Bei so etwas schwört man nicht; aber ich sage es auch so niemandem. Und jetzt muss sie es doch gesagt haben, obwohl sie es mir versprochen hatte, nichts zu sagen. Da ist ja die Falschheit von der Franke nichts dagegen, denn die kennen wir doch erst seit heuer, aber dass die Mama das tut, das hätte ich nie