Das schwarze Geheimnis der weißen Dame. Kolja Menning

Das schwarze Geheimnis der weißen Dame - Kolja Menning


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Könnte ich Sie zum Beispiel auf einen Kaffee einladen?«

      Normalerweise wäre Marie nie auf einen derartigen Vorschlag eingegangen. Doch Hauptkommissar Bertillon würde ihre Nummer nur an Menschen herausgeben, denen er vertraute.

      »OK«, antwortete sie daher und warf einen Blick auf die Uhr. »Wo und wann?«

      »Was halten Sie von dem Restaurant Le Caveau du Palais an der Place Dauphine? Falls Ihnen nach mehr als einem Kaffee ist. Es liegt nur ein paar Minuten zu Fuß von Ihrem Kommissariat. Sie wählen die Uhrzeit.«

      »Einverstanden«, willigte Marie ein. »Um halb fünf?«

      Nachdem sie aufgelegt hatte, recherchierte sie Philippe Delacourt. Google kannte mehrere Personen dieses Namens, doch nur eine stach Marie sofort ins Auge. Wenn der Anrufer dieser Philippe Delacourt gewesen war, war auch klar, wieso ihr der Name bekannt vorgekommen war. Delacourt war ein erfolgreicher Financier, der als Investor eines jungen Pariser Modeunternehmens in den letzten Jahren mehrfach in der Presse gewesen war.

      Marie erkannte Delacourt sofort, als sie das Restaurant pünktlich um 16.30 Uhr betrat und ihn an einem isolierten Tisch sitzen sah. Er schien sie ebenfalls zu erkennen, denn als er sie bemerkte, erhob er sich und blickte in ihre Richtung.

      »Frau Bouvier«, begrüßte sie Delacourt, ihr die Hand bietend, »ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich haben.«

      Marie ergriff die dargebotene Hand, während ihr nicht entging, wie Delacourt sie musterte.

      »Setzen Sie sich doch!«, forderte Delacourt sie auf. »Was möchten Sie trinken?«

      »Einen Tee«, antwortete Marie, und während Delacourt sich nach einer Kellnerin umwandte, hatte Marie Gelegenheit, Delacourt ihrerseits zu betrachten. Er war ein beeindruckender Mann. Er mochte Mitte fünfzig sein und verfügte über die Ausstrahlung, die man oft bei geborenen Führungspersönlichkeiten findet. Marie wusste intuitiv, dass ihm Selbstzweifel fremd waren. Delacourt achtete offensichtlich auf sein Äußeres; seine Körperform und Haltung waren die eines Athleten, sein Gesicht war glatt rasiert und seine Züge kantig und männlich. Das perfekt sitzende, volle graue Haar gab ihm zusätzliche Autorität und harmonierte mit einem ebenso perfekt sitzenden grauen Anzug.

      »Wünschen Sie auch zu speisen?«, fragte die Kellnerin, nachdem Marie einen Kräutertee bestellt hatte.

      Delacourt blickte Marie fragend an.

      »Nein, danke«, sagte sie.

      »Und Sie, der Herr?«

      »Dann ich auch nicht«, erwiderte Delacourt. »Aber bringen Sie uns doch bitte eine Flasche Perrier.«

      »Kommt sofort.«

      »Francis – Hauptkommissar Bertillon – ist ein guter Freund von mir«, begann Delacourt, als die Bedienung gegangen war. »Er hat mir gesagt, dass Sie nicht auf langes Geschwafel stehen, also komme ich direkt zur Sache.«

      »Das weiß ich zu schätzen.«

      »Ich hatte mich an Francis gewandt, weil ich Hilfe in einer persönlichen Angelegenheit benötige. Francis scheint große Stücke auf Sie zu halten. Außerdem sagte er, Sie hätten für die nächsten zwei Wochen Urlaub genommen, aber nicht geplant, die Stadt zu verlassen. Deswegen hat er mir empfohlen zu sehen, ob ich Sie für mein Anliegen gewinnen kann. Kurz: Ich möchte Ihnen eine kleine Nebentätigkeit vorschlagen. Selbstverständlich würde ich Sie dafür großzügig entlohnen.«

      Obwohl es nicht unüblich war, dass Polizeibeamte sich ihr Gehalt durch Nebentätigkeiten aufbesserten, hätte Marie ein solches Angebot normalerweise sofort abgelehnt. Sie legte keinen besonderen Wert auf Geld und kam mit dem, was sie hatte, gut aus. Normalerweise. Aber dies traf auf ihre aktuelle Situation nicht zu. Möglicherweise könnte sie schon bald etwas mehr Geld gut gebrauchen. Da kam diese Gelegenheit wie gerufen. Außerdem gab es ihr einen Vorwand, in den kommenden Tagen und Wochen regelmäßig im Kommissariat ein und aus zu gehen, obwohl sie offiziell im Urlaub war. Auch das kam ihr gelegen.

      »Worum geht’s?«, fragte sie vorsichtig.

      »Ich möchte zwei Dinge klären, bevor ich Ihnen Details gebe«, erwiderte Delacourt. »Erstens: Ganz gleich, ob Sie den Auftrag annehmen oder nicht, ich benötige Ihr Wort, dass Sie alles, was ich Ihnen sagen werde, für sich behalten.«

      Er blickte Marie an. Diese Forderung war legitim. Also nickte sie.

      »Gut«, fuhr Delacourt fort. »Zweitens sollten wir über Ihr Honorar reden.«

      »Und das wollen Sie nicht tun, nachdem Sie mir gesagt haben, worum es geht«, stellte Marie fest.

      »Ich bevorzuge es, das vorher zu klären«, bestätigte Delacourt.

      Ging es um eine solche Schweinerei, dass Delacourt befürchten musste, sie würde ablehnen, wenn sie nicht durch ein vermutlich großzügiges Honorar geködert wurde?

      »Aber ich treffe keine Entscheidung, bevor ich nicht weiß, worum es geht«, stellte Marie klar.

      »Selbstverständlich nicht«, entgegnete der Financier, und Marie war fürs Erste beruhigt.

      »Zehntausend Euro pro Woche«, fuhr Delacourt fort und blickte Marie an. »Maximal vier Wochen. Wenn wir dann nichts haben, blasen wir die Sache ab.«

      Zehntausend Euro pro Woche, wiederholte Marie in Gedanken. Das war knapp das Fünffache ihres monatlichen Nettogehaltes. Und das möglicherweise mal vier.

      »Und wenn ich Ihren Fall nicht löse?«

      »Das Honorar ist erfolgsunabhängig.«

      »Wer sagt Ihnen, dass ich mich auch bemühen werde?«, wollte Marie wissen.

      Delacourt blickte ihr direkt in die Augen.

      »Francis hat mir versichert, dass Sie eine seriöse Polizistin sind, Frau Bouvier. Ich werde darauf vertrauen, dass es sich nicht mit Ihrer Ehre vereinbaren lässt, einfach nur das Geld zu nehmen und dann Däumchen zu drehen.«

      »Was, wenn ich von mir aus, sagen wir, nach zwei Wochen aufhören will?«, wollte Marie wissen. »Wie Sie selbst sagten, habe ich nur zwei Wochen Urlaub geplant.«

      »Ich bezahle Sie für die Zeit, die Sie sich mit dem Fall beschäftigen. Unabhängig von Erfolg und auch davon, wer entscheidet, die Arbeit abzubrechen. Sie kommen also jederzeit aus der Sache raus. Und ich ebenfalls. Wenn ich den Eindruck habe, dass Sie doch nur herumsitzen und Däumchen drehen, steht es mir zu, die Sache vorzeitig abzubrechen.«

      Marie nickte. Auch das war legitim.

      »Wenn Sie den Fall vor dem 5. Juni lösen«, fügte Delacourt hinzu, »lege ich zwei Tickets für das Herrenfinale von Roland Garros drauf. Loge.«

      »Wieso vor dem 5. Juni?«

      »Weil das der Tag des Finales ist«, erwiderte Delacourt mit dem Anflug eines Lächelns.

      Marie nickte. Sie dachte an ihre Eltern, die seit Jahren davon träumten, einmal Roland Garros zu besuchen.

      In diesem Moment kam das Mineralwasser, was Marie einen Moment zum Nachdenken verschaffte.

      »Na gut«, nahm Marie das Gespräch wieder auf und blickte Delacourt an. »Worum geht es?«

      »Um ein kleineres Wirtschaftsdelikt. Ich weiß von Francis, dass Sie damit keine besondere Erfahrung haben, doch das spielt keine Rolle. Sie werden sehen. Das Unternehmen, um das es geht, heißt Mod’éco. Mode écologique. Gegründet vor sieben Jahren von einer Frau namens Anne Delacourt.«

      »Ihrer Frau?«

      Delacourt nickte. »Anne und ich sind weiterhin verheiratet, leben aber nicht mehr zusammen. Die Gründe spielen keine Rolle. Beruflich kommen wir bestens miteinander aus.«

      Marie nickte, um Delacourt zu signalisieren fortzufahren. Wie relevant die Beziehung der Delacourts war, könnte sie sich später fragen.

      »Es gibt eine rasant wachsende Marktnische für nachhaltige


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