Dämonentreue. Dagny Kraas
und nach waren sie so immer mächtiger geworden.
Die Furcht der Menschen vor ihnen hatte auch auf ihrer Heimatinsel Gantuigh selbst mehr und mehr zugenommen. So waren die T‘han T‘hau, immer weiter von den Menschen getrennt, die sie einst geschaffen hatten, zu einem eigenen Volk geworden, das auch seine eigenen Könige hatte.
Als Cridan acht Jahre alt war, hatte der damalige König Skatarhak ihn als Ziehsohn zu sich genommen und herangezogen. Weitere acht Jahre später hatte Cridan sich bereits einen Namen als ehrgeiziger und erfolgreicher Krieger gemacht und war schließlich als jüngster ficha‘thar aller Zeiten an Skatarhaks Seite getreten.
Der ficha‘thar war der engste und wichtigste Vertraute eines Königs, ein Mann, dessen Meinung beim König mehr als die jedes anderen zählte, den er anhörte und dem er ausgewählte Aufgaben übertrug. Zu diesen Aufgaben gehörte auch die Durchführung der von Skatarhak gefällten Urteile in den Gerichten:
Das Volk der T‘han T‘hau bestand aus harten, streitlustigen und unbeugsamen Kriegern – es brauchte einen starken König, um sie zu beherrschen, und unerbittliche Konsequenz bei Nichtachtung der Regeln und Gesetze.
Skatarhak war gerecht, aber streng und gnadenlos gewesen, und unter seiner Führung hatte sich die ohnehin schon bestehende Kluft zwischen den immer stärker werdenden T‘han T‘hau und den Menschen von Gantuigh, die versuchten, die gefürchteten Dämonen durch immer schärfere Auflagen und Verbote zu beschränken, weiter und weiter verstärkt.
Skatarhak, der von einer Herrschaft der T‘han T‘hau über die Menschen träumte und dem die verzweifelten Versuche von Gantuighs Herrschern, die Kontrolle über die T‘han T‘hau zu erhalten, ein Dorn im Auge waren, war zunehmend besessener und grausamer geworden, seine Strafen drakonisch und ohne jegliches Erbarmen. Sein stetig wachsender Jähzorn und Hass hatte nicht einmal mehr vor Cridan haltgemacht.
Cridan hatte den Wandel seines Ziehvaters und Königs mitansehen und seine Wutanfälle ertragen müssen, ohne etwas tun zu können, verpflichtete ihn sein Treueid doch dazu, an dessen Seite zu bleiben.
Doch als Skatarhak einen Zwischenfall dazu nutzen wollte, Krieg zwischen den Menschen und den T‘han T‘hau zu entfesseln, hatten sich ihre Wege getrennt: Cridan, der ebenso wie Skatarhaks Sohn und Erbe Ratiko‘khar den Wahnsinn hinter Skatarhaks Unterfangen erkannt hatte, war für seinen Versuch, den Krieg zu verhindern, schwer bestraft und mit Ratiko‘khar gemeinsam verbannt worden.
Viele Jahre hatten sie sich mit den Gefolgsmännern von Tiko, wie Ratiko‘khar unter seinen Freunden genannt wurde, in den Sümpfen des Kontinents versteckt, bis sie eines Tages, nach elf Jahren im Exil, ein Bote nach Gantuigh zurückgeholt hatte.
Doch sie fanden nichts mehr so vor wie früher. Skatarhak war tot, gefallen in dem Krieg, den er selbst begonnen hatte, und alle T‘han T‘hau, derer man hatte habhaft werden können, waren hingerichtet worden. Von ihrem einst so mächtigen Volk waren nur noch versprengte Reste übrig geblieben, und in ihrer Heimat, in die sie zurückkehren wollten, waren sie verhasste Feinde.
Ausgerechnet Mar‘Tian, Skatarhaks ältester Sohn und Bluterbe, ein Bastard zwischen T‘han T‘hau und Menschen, war es gewesen, der die Menschen im großen Krieg angeführt hatte und das Volk der T‘han T‘hau hatte vernichten wollen, obwohl er ihm doch selbst zumindest zu einem Teil angehörte.
Der Schlächter der Dämonen, wie man Mar‘Tian seitdem nannte, war nach dem Krieg für sechs Jahre Herrscher über Gantuigh gewesen und hatte anschließend nicht nur den Posten des obersten Heerführers wieder übernommen, sondern auch den eines politischen Beraters.
Es schien Cridan bis heute unglaublich, doch es war Tiko gelungen, Mar‘Tian von seiner Ehrlichkeit und einem Neuanfang zwischen Menschen und T‘han T‘hau zu überzeugen. Gemeinsam arbeiteten sie seitdem daran, die beiden Völker Gantuighs wieder zu vereinen.
Tiko hatte sich seinem älteren Halbbruder Mar‘Tian unterworfen, und nach anfänglichem Misstrauen hatte Mar‘Tian, der nun König über die T‘han T‘hau geworden war, alles daran gesetzt, die sogenannten Dämonen wieder in Gantuighs Gesellschaft einzubringen.
Es war ein gigantisches, kräftezehrendes Vorhaben, an deren Umsetzung sie beinahe gescheitert waren, als Tikos Schwester versucht hatte, die Situation für sich zu nutzen und den Frieden auf Gantuigh zu hintertreiben. Inth Silia hatte in ihrer Gier und Machtbesessenheit nicht nur Lug und Trug genutzt, sondern war auch vor Mord nicht zurückgeschreckt.
Cridan selbst hatte als Leibwächter von Mar‘Tians Ehefrau Béo einen Anschlag aus dem Hinterhalt damals nur knapp überlebt. Sein von Verletzungen zerstörtes Schuppenkleid war in unvergleichlicher Weise nachgewachsen: Statt der grün-golden glänzenden Hornplatten, deren glatte Oberfläche einen seidigen Schimmer besessen hatte, trug er nun einen Panzer aus dunkelblauen Schuppen, deren stahlharte Kanten Ähnlichkeit mit einer Säge aufwiesen und deren feine Riffelung das Licht beinahe zu verschlucken schien. Hatte er vorher schon aufgrund seiner enormen Körpergröße und Kraft zwischen den Kriegern der T‘han T‘hau herausgeragt, war er seitdem auch in Farbe und Beschaffenheit seiner Schuppen einzigartig unter seinesgleichen.
Als seine Wunden verheilt gewesen waren, hatte Cridan als ficha‘thar für seinen König Mar‘Tian die abtrünnigen T‘han T‘hau um Inth Silia in den Bergen der Insel aufgestöbert, ihre Anführer getötet und die verbliebenen Dämonen unter die Herrschaft ihres rechtmäßigen Königs zurückgeführt.
Das war jetzt fast ein Jahr her, und seitdem herrschte Frieden. Es war zwar ein vorsichtiger, noch etwas misstrauischer Frieden, aber es war einer, und mit dem Erhalt der Bürgerrechte waren die T‘han T‘hau zu anerkannten Mitgliedern der Gesellschaft geworden. Mit dem zugleich neugewonnen Wahlrecht hatten sie ebenso wie die überwältigende Mehrheit der restlichen Inselbevölkerung Mar‘Tian nicht nur als ihren König anerkannt, sondern ihn auch erneut zum Herrscher über Gantuigh gewählt.
Cridan, der zuvor schon als Leibwächter Béos und als ficha‘thar des Königs viel Zeit in der Hauptstadt L‘hunival und der Burg zugebracht hatte, wohnte nun seit über einem Jahr hier, genauso wie Marud‘shat, seine Ziehschwester und Freundin; Raggal, den er als Schüler angenommen hatte, und eine Handvoll von Tikos Kindern. Einige weitere T‘han T‘hau lebten in der Stadt bei hochrangigen Mitgliedern des herrschaftlichen Hofes.
Sie alle waren als Garant für den Frieden hier, ebenso wie die Männer und Frauen der Menschen, die zwischen den Dämonen in ihrer Siedlung lebten. Zu ihnen gehörte unter etlichen anderen auch Béos Tochter Ajula, die sich in einen jungen T‘han T‘hau verliebt hatte und ihm gefolgt war.
Mar‘Tian hatte darauf bestanden, dass Cridan sich neben seinen Aufgaben als ficha‘thar, die derzeit eher wenig Zeit beanspruchten, weiterhin um Béos Sicherheit kümmerte. Dies tat er – und einer der Wege, sich darum zu kümmern, war ihr beizubringen, sich bestmöglich zu verteidigen. Hin und wieder nutzte Cridan die Zeit, sowohl Raggal als auch Béo zu unterrichten.
Raggal war ein junger T‘han T‘hau in den Zwanzigern, und er war beileibe kein Anfänger mehr gewesen, als er Cridan darum gebeten hatte, dessen Schüler sein zu dürfen. Doch Cridan war es nur Recht so, hatte er doch am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, als Kind schon für die Laufbahn eines ficha‘thar erzogen zu werden.
Er war sich zwar immer noch nicht sicher, ob er einen Nachfolger brauchen würde oder gar, ob er überhaupt in der Lage und willens war, einen solchen auszubilden, doch davon abgesehen machte es ihm Spaß, Raggal die Dinge beizubringen, die er wusste.
Alles in allem mochte Cridan sein Leben in der Burg. Er hatte sich zwar immer noch nicht ganz daran gewöhnt, sesshaft zu sein, doch er wusste, dass er am richtigen Ort war. Sein Platz war hier, neben Mar‘Tian und vor allem auch neben Béo.
Er hätte es niemals zugegeben, aber er liebte seine Königin. Er liebte sie dafür, dass sie in ihm mehr sah als einen Dämon oder einen ficha‘thar, und dass sie ihn ihre Zuneigung und Wertschätzung spüren ließ. Wenn sie mit ihm lachte, ihm vertraulich die Hand auf den Arm oder die Schulter legte, ihm von ihren Sorgen erzählte oder ihm eines ihrer offenen Lächeln schenkte, dann wusste er, dass es keinen besseren