Federträger. Yves Holland

Federträger - Yves Holland


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in seiner Burg und beherrscht seine riesige Armee allein mit seinen magischen Fähigkeiten. Er herrscht über ein gewaltiges Reich, das sich südlich der ewigen Treibsande über tausende von Meilen erstreckt. Seine Herrschaft ist grausam, und sein Herz ist kalt. Wer sich ihm nicht beugt, stirbt einen grauenvollen Tod.“

      Der Alte hielt inne.

      „Aber das“, er zögerte hörbar. „Aber das“, setzte er rasselnd wieder an, „sind alles nur Geschichten. Ich weiß nicht, ob sie sich so zutragen oder zugetragen haben. Die nördlichen Welten sind seit Jahrhunderten vollkommen abgeschnitten von den riesigen Südlanden. Arloks graue Berge sind unpassierbar, und die Treibsande sollen es auch sein. Obwohl früher immer wieder fahrende Händler und wandernde Stämme Informationen aus dem Süden zu uns gebracht haben, hört man nun nur noch hin und wieder von schwarzen Reitern, die vereinzelt in die Steppe gelangen.“

      Wieder musste der Alte einen Moment innehalten, um Luft zu schnappen. Das laute Reden schien ihn viel Kraft zu kosten.

      „Die Schwarzen sind dem Leben in den Treibsanden nicht gewachsen. Ihre schweren Pferde, ihre schweren Uniformen, das alles ist nicht geeignet für ein Leben im heißen Sand. Zudem kennen sie auch heute die Treibsande noch nicht zu einem Bruchteil. Die Treibsande verändern sich täglich, und Karten über dieses riesige Gebiet gibt es keine. Die Usuru, die dort leben, haben keine Karten. Sie kennen ihre Heimat auch so. Jooba weiß, wie sie das machen, aber sie laufen über die Treibsande, als ob es Wege aus Fels dort gäbe.“

      „Das heißt“, fiel der Mann namens Fas ihm ins Wort, „dass Arlok sich den Norden nie unterworfen hat, weil er so klein und unbedeutend für ihn ist, und er die großen Verluste seiner Armeen scheut.“ Sie hörten Fas laut atmen. „Wenn es nicht nur alles Geschichten sind.“ Fas hörte sich hin- und hergerissen an.

      Thorn und Fandor erkannten Larssos Stimme sofort, als er sie im Zelt erhob. „Und warum schickt Arlok seine Männer nun doch durch die gefährlichen Treibsande zu uns?“

      Gemurmel drang aus dem Thingzelt zu den beiden Jungen heraus.

      „Larssos Frage ist wichtig“, ließ sich nun wieder Prakh von Wolff vernehmen. „Aber wir finden keine Antwort darauf, wenn wir hier sitzen und reden. Wir werden noch auf diesem Thing eine Entscheidung treffen, wie wir weiter vorgehen werden. Doch nun lasst uns eine Pause machen. Der Tag ist weit vorangeschritten, und ich rieche bereits das Abendessen. Das Thing wird morgen fortgeführt.“ Und mit einigen rituellen Worten hob er die Versammlung auf.

      In der Tat war es schon spät, und die Dämmerung setzte langsam ein, aber weder Fandor noch Thorn hatten darauf geachtet, so gespannt hatten sie unter der Zelthaut gelegen und gelauscht. Hastig rappelten sie sich auf und humpelten schnell hinter die am nächsten gelegenen Schlafzelte. Fandor war ein Bein eingeschlafen, aber das war wahrhaftig das einzige, was an ihm schlief. „Thorn, hast Du gewusst, dass es diesen Arlok wirklich gibt?“

      Die beiden klopften sich den Staub aus den Kleidern und reihten sich unauffällig in die Reihen der Männer und Frauen ein, die sich langsam auf dem Festplatz einfanden, um die lecker duftenden üppigen Reste des gestrigen Festessens zu verspeisen.

      Plötzlich merkte auch Fandor, wie hungrig er war. Das Thing musste Stunden gedauert haben, aber sie waren wie gebannt unter der Plane gelegen und hatten nur Ohren für die Clanberichte gehabt.

      „Nein, eigentlich nicht. Ich habe ... nun ja, ich dachte immer, es gab ihn einmal, aber er wäre schon seit Urzeiten tot.“ Thorns Augen leuchteten. „Und nun heißt es, er lebt, und seine Männer fallen in unser Land ein!“

      Sie ließen sich etwas von dem gegrillten Haml auftun und streckten sich mit ihrem Essen ein Stück abseits auf einer Wiese aus.

      Thorn kaute und redete gleichzeitig. „Weißt du, was das heißt, Fandor?“ Fandor machte nicht den Eindruck, als ob er irgendetwas wüsste. Thorn fuchtelte aufgeregt mit einer vor Fett triefenden Keule dicht vor Fandors Gesicht herum. „Das heißt, dass du und ich, wir beide, bald in den Krieg ziehen werden!“ Fandor starrte seinen Freund an.

      Bruder Pak schob das Gespräch mit dem Abt nun schon einen geschlagenen Tag vor sich her. Er wollte einfach nicht mit einem solch stümperhaft übersetzten Stück Papyrus vor seinen Ordens-Oberen treten. Schließlich war er, Pak, hier der Experte für die alten Kata-Dialekte. Da sollte die Rolle schon einwandfrei übersetzt sein, bevor sein Abt sie zu sehen bekam. Das war er sich schuldig.

      Bruder Pak war sehr erfreut gewesen, als die Edle Malvea an diesem Vormittag in die Bibliothek gestürmt war. Sie schien sehr aufgebracht zu sein, teilte ihm jedoch nicht mit, weswegen. Er fragte auch nicht nach, da er über ihr Kommen so erfreut war, dass er sie sogleich mit der Papyrusrolle überrumpelte. Und Malvea schien mindestens genauso interessiert und ehrgeizig zu sein wie er, was dieses muffige Stück alter Schrift anging.

      Pak lehnte sich zurück und sah erstaunt, dass es schon auf den Abend zuging. Malvea und er mussten den ganzen Tag die Rolle studiert haben, ohne eine Pause zu machen, ohne etwas zu essen und ohne auch nur einmal aus dem Ausblick zu sehen. Die Stadt und das Kloster lagen ruhig da. Niemand hatte heute die Glocken geläutet, und der ausgeschickte Teil der Stadtgarde, der gegen Mittag die Stadtmauern hinter sich gelassen hatte, wurde frühestens in drei Tagen zurückerwartet. Bruder Pak hatte noch nicht einmal die Zeit gefunden, sich mit Malvea über die Angriffe und was man in der Stadt darüber redete, auszutauschen.

      Malvea blickte nun ebenfalls von der Schriftrolle auf. Auch sie schien überrascht, wie spät es schon war. Sie lächelt befreit.

      „Bruder Pak, mit dieser Rolle habt Ihr mir den Tag zum Guten gerettet. Ich war heute früh so erbost, dass mein Vater Malvin mit der Stadtgarde ausgeschickt hat und es mir verwehrt hat mitzureiten, dass ich sogar einen Weinkrug an die Wand seines Arbeitszimmers geschleudert habe.“ Sie lachte hell, und ihre schönen Augen funkelten.

      „Und nun seht selbst! Gebt mir ein altes vergammeltes Stück Papyrus, und ich habe keinen Grund mehr, mit der Welt zu hadern.“ Bruder Pak lachte laut auf. „Nun, Edle Malvea, unsere wahre Leidenschaft scheint in den alten Schriften zu liegen und doch nicht im Hier und Jetzt.“

      Malveas Gesicht verfinsterte sich leicht. „Das stimmt nicht ganz, Bruder Pak, und Ihr wisst es. Mein Vater lässt mich bei Euch studieren, was ich will, und der Kampfunterricht bei Bruder Timme liegt mir genauso sehr am Herzen wie das Studium der alten Sprachen.“

      Bruder Paks Lippen zuckten leicht. „Na ja. Ich weiß nicht, ob Euer Vater es so gern sähe, dass Ihr zur Kämpferin ausgebildet werdet...“

      „Er hat mir gesagt, ich könne mir die Gebiete selbst aussuchen, die mich interessieren“, unterbrach Malvea störrisch und aufbrausend.

      „Ob er aber damit rechnet, dass Ihr gerade Schwertkampf, Bogen und Speer trainiert, und nicht Kräuter und Heilpflanzen, da bin ich mir nicht sicher.“ Pak musste nun doch schmunzeln, versuchte aber, dies hinter seiner Hand zu verbergen, die wie von selbst in seinen Bart griff und damit seine verräterisch zuckenden Mundwinkel umschloss.

      „Wenn er sich so wenig mit mir befasst, dass ihm nicht klar ist, wo meine Interessen liegen, dann ist das sein Problem.“ Malvea verschränkte die Arme vor der Brust, und leichte Wut kochte in ihr hoch, wie so oft, wenn das Gespräch auf ihren Vater kam.

      Sie blickte trotzig Richtung Himmelsmassiv. „Malvin würde nur zu gerne seine Kampfübungen zugunsten von anderen Studien aufgeben, aber Vater würde das nie zulassen. Von Malvin als Erbe der Herren von Grünberg wird erwartet, dass er ein guter Kämpfer und streitbar ist, von mir wird im Gegenteil erwartet, dass ich mich in alles füge. Warum ist das so? Warum kann man nicht jeden so leben lassen, wie er es für richtig hält? Malvin wäre sicher ein sehr guter Heiler geworden.“

      Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn, und nur mühsam konnte sie ihre Lautstärke kontrollieren. Sie hasste es, wie dieses Thema sie immer wieder aufzuwühlen imstande war.

      „Manche Dinge, Edle Malvea, sind eben einfach so, wie sie sind.“ Pak trat näher an sie heran, seine Stimme beruhigend und beneidenswert kühl angesichts ihrer erhitzten Wangen.

      „Malvin


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