Federträger. Yves Holland

Federträger - Yves Holland


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aus seiner für das Sonnwendfeuer etwas gestutzten Mähne und legte sich ihm wieder übers linke Auge. Er merkte es nicht einmal und schob sie reflexartig erneut zurück.

      Fandor, der neben ihm stand und an seinem grünen Festtagsumhang nestelte, schaute Thorn abwesend mit großen Augen an.

      „Das Schwert, Mensch!“ Thorn konnte es nicht fassen. Da hatten sie geübt und gekämpft und gerackert und geschwitzt, und Fandor wusste noch nicht einmal, worüber Thorn gerade sprach!

      „Weißt du, ich sprach gerade von der Sonnwendfeier“, sagte Thorn sehr ernst und langsam, und tat so, als ob Fandor ein sabbernder Altelter wäre, der nicht mehr so recht folgen konnte. „Du erinnerst Dich? Deine Schwertgabe ist heute Nacht. Oder hast du heute schon was anderes vor?“ Er grinste hämisch. Fandor hieb ihm den Ellbogen hart in die Rippen, so dass Thorn scharf ausatmete. Ehe Thorn wieder zu Atem kam, lag er schon auf dem Boden, über ihm Fandor, geschmeidig wie eine Tigra, der ihn mit einem stählernen Jagdgriff überrascht hatte. Thorn konnte sich kaum bewegen, so sehr er auch versuchte sich frei zu winden.

      Ihre blauen Gewänder bedeckten sich mit dem feinen gelblichen Staub, der überall im Lager anzufinden war, aber sie hatten beide keine Augen dafür, viel zu aufgeregt waren sie seit Tagen, als dass sie solche Alltäglichkeiten überhaupt wahrnehmen konnten.

      Thorn nieste laut, als Fandor ihn einmal ohne Ansatz blitzschnell überrollte, und beide kugelten quer über den Platz, sehr zur Belustigung einiger kleinerer Kinder, die alle gespannt dem Abend entgegenfieberten und nun vor Entzücken laut quietschten.

      Die beiden Jungen bemerkten plötzlich die Traube der schaulustigen Kinder, die sich um sie herum gebildet hatte.

      Sie stutzten, lachten dann aber ungestüm und befreit auf, während sich ihre immense Spannung im Staub des Festplatzes entlud.

      Die Feierlichkeiten waren den Freien Reitern heilig. Während Prakh von Wolff das riesige, zwanzig Fuß hohe Sonnwendfeuer entzündete, ebbte ein immer stärker werdender Gesang aus fünftausend Kehlen übers Feuer, brandete auf, toste gewaltig über das Land und lobte die Götter der Steppe, Jooba und Donner, für das Überstehen des vergangenen Winters und die reichlichen Gaben der östlichen Steppe.

      Im Rausch des Gesangs, des Mets, der strengen Gerüche des eigens hierfür entzündeten Myrholzes, der großen Hitze des Feuers, das so manchem die Barthaare absengte, und im rituellen Schwertkampf um die Vorherrschaft der Reiter über die Steppe erfuhren Fandor und Thorn gemeinsam ihre Mannwerdung im Kreise der Clans und unter den verstohlenen, stolzen Tränen von Mome Ira, die ihre beiden Jüngsten in dieser Nacht in die raue Erwachsenenwelt entließ.

      Und während im Ritus der geheiligten Nacht unter Donners Sternenzelt Joobas Schwerter übergeben wurden, trugen viele Meilen weiter südlich andere Schwerter mit entsetzlichem Klang den Tod in die östliche Steppe der Freien Reiter hinein.

      Bruder Pak hatte es jetzt auch gesehen. Die Glocken des Stadtturms hatten ihn aus seinem Studierzimmer getrieben, wo er doch tatsächlich von einem kleinen Nickerchen überrumpelt worden war. Er war äußerst irritiert. Die Glocken von Grünberg hatten schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr geläutet, das letzte Mal zur Geburt der Zwillinge des Stadtherrn Olerichs von Grünberg, Malvin und Malvea. Und das war lange vor der Geburt seines Novizen Huson gewesen, der die Glocken heute wohl zum ersten Mal hörte.

      Wo war Huson überhaupt? Bruder Pak runzelte leicht die Stirn und rieb sich langsam über den Nasenrücken. Ach ja, er hatte ihn ja in die Stadt geschickt mit der Nachricht für die Edle Malvea.

      Pak kniff die Augen zusammen und schaute noch einmal aus dem Ausblick heraus nach Süden. Da, ganz weit hinten, sah er eine kleine Rauchsäule über den Bergen aufsteigen. Eins der kleinen Bergdörfer, die sich an die bis zu elftausend Fuß hohen Berge des Himmelsmassivs anschmiegten, musste brennen.

      Was mochte dort wohl geschehen sein? Ein eisiger Schauer überlief Pak. Die Papyrusrolle! Er musste sie unbedingt weiter übersetzen. Hoffentlich hatte die Edle Malvea Zeit für ihn. In der Rolle hieß es doch, dass Rauch über die Berge kommen würde!

      Bruder Paks Blick wurde hart. Er musste dringend noch heute Abend den Bruder Abt aufsuchen, um ihm von seiner Entdeckung zu berichten. Aber vorher würde er noch einmal versuchen, das Manuskript zu entschlüsseln.

      In dieser Nacht wurde noch lange gefeiert in der Steppe, und kurz bevor der Morgen zu dämmern begann, machte sich langsam Stille um den Festplatz herum breit. Viele Zelte waren aufgeschlagen worden, so dass alle einen Schlafplatz fanden, und endlich lagen auch Thorn und Fandor in ihren Betten aus Fell.

      Neben sich hatten sie ihre neuen Schwerter gebettet, jedes geschützt in einer Scheide aus feinstem Yukleder. Die Schwerter selbst waren reich verziert mit den Schriftzeichen ihrer Sprache, besetzt mit heiligen Sprüchen über Jagdglück und Kampfesmut.

      Fandor, der immer noch nicht ganz davon zu überzeugen war, dass er des Schwerttragens würdig sei, war gegen Ende der Feier sehr schweigsam geworden und hatte immer wieder mit seiner rechten Hand nach dem ihm noch sehr unvertraut auf der Hüfte liegenden Metallgriff getastet.

      Auf dem Rücken in seinem Schlafzelt liegend, hörte er Thorn neben sich schwer und gleichmäßig atmen, konnte aber selbst keinen Schlaf finden. Sie hatten ihm tatsächlich ein Schwert gegeben! Er hatte ein eigenes Schwert. Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er spürte ein leichtes Rauschen in den Ohren, und es drehte sich ihm alles ein wenig. Der gegorene Traubensaft vor dem Zubettgehen war wohl doch des Guten zu viel gewesen.

      Er tastete im Dunkeln nach seinen Schuhen, stand behände auf und schlich so leise aus dem Zelt, dass nicht einmal ein Schuhu etwas von ihm gehört hätte.

      Im Mondlicht lag das Lager groß und gespenstisch vor ihm. Während er so dastand und den Geräuschen lauschte, und abgestandener Geruch von Schweiß und altem Met vermischt mit den schon taufrischen Gerüchen des Morgens seine Nase umwehte, beschloss er, zum Bach zu gehen und sich dort ein wenig hinzulegen, um endlich etwas Ruhe zu finden. Instinktiv tastete er nach seiner Flöte. Sie war, wo sie immer lag, auf seiner Brust, dicht unter seinem Halsansatz.

      Fandor wurde beim Gehen nun doch immer schläfriger, und das leise Plätschern des nahen Wassers beruhigte ihn schon von weitem. Hier, weiter draußen, war die Luft klarer. Dunkelheit hüllte ihn ein, je näher er dem mit Büschen und Bäumen bestandenen Ufer kam. Kaum war er am Bachrand angekommen, unter der großen Weide mit dem bemoosten Boden, legte er sich, den Kopf an den Stamm gelehnt, in eine bequeme Position und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf.

      Plötzlich schreckte er hoch. Sein Herz machte einen Satz. War da ein Geräusch gewesen? Ein kleiner, dunkler, vierbeiniger Jäger huschte ins Schwarz der Nacht, vielleicht ein Marder. Fandor benötigte einen Augenblick, bis er gewahr wurde, wo er war. Er schwebte eine Sekunde zwischen Traum und Erwachen. Ihm war schwindelig. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte.

      Da sah er sie. Vor ihm stand, im fahlen Mondlicht noch unwirklicher als sonst, die Elfenkönigin. Sie beugte sich über ihn und sah ihn mit ihren helllila, fast durchsichtig schimmernden Augen an, dann nahm sie ihm die Kette mit der Flöte vom Hals, und er spürte einen angenehm kühlen Hauch, als ihre Hände ihn fast streiften.

      Sie war ihm so nahe, dass er ein kleines trauriges Lächeln um ihre Mundwinkel zu entdecken glaubte, aber da war der kurze Augenblick auch schon wieder vorüber, und die schlanke hochgewachsene Gestalt mit der unglaublich hellen Haut richtete sich auf und setzte seine Flöte an die kaum zu sehenden Lippen. Das Mondlicht spiegelte sich in ihren auf Fandor gerichteten Augen und in der silbernen Federflöte, die wie gemacht für ihre langen schlanken Finger zu sein schien.

      Während sie ihn unverwandt betrachtete, blies sie eine Melodie für ihn, die so schön und betörend und alles verdrängend war, dass Fandor ein dicker Kloß den Hals hinaufstieg. Fandor vergaß sogar zu atmen und lauschte entzückt. Als die Melodie zu Ende war, setzte sie mit einer weichen Bewegung die Flöte ab und neigte den Kopf langsam zur Seite.

      Leicht verzerrt, wie eine sich an den Felsen brechende Stimme in einer großen Höhle, drangen ihre Worte an Fandors Ohren.

      „Dies


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