Mauern der Macht. Ralf Häcker
mit ihm zu tun gehabt. Trotzdem blieb er ihr als eine äußerst ungepflegte Erscheinung in Erinnerung. Die Leute mochten ihn nicht, fürchteten ihn sogar und auch sie verspürte nach wenigen Blickkontakten eine tiefe Abneigung.
Sie stellte sich ihm vor und bat um einen Termin, da sie ein anliegendes Problem nur mit ihm persönlich besprechen könne. Deshalb, so ihre Entschuldigung, habe sie ihn direkt angerufen. Panev reagierte mit gewohnter Arroganz und spürbarer Geringschätzigkeit, gewährte ihr aber zu ihrer Überraschung, einen Kurzbesuch. Am Sicherheitsdurchlass sollte sie ihn als Besuchten angeben.
Tatjana machte sich sofort auf den Weg, klopfte an seine Tür und vernahm ein beinahe wieder ausladendes „Herein!“ Sie öffnete die Tür, trat bis kurz vor seinen Schreibtisch und stellte sich nochmals vor. Er deutete ihr Platz zu nehmen und ihm kurz ihr Anliegen zu schildern. Um sich nicht in Unwahrheiten zu verstricken, erzählte sie ihm die wirkliche Geschichte. Dabei überraschte es sie, nicht unterbrochen zu werden. Es schien ihr sogar, als sei Panev an sämtlichen Einzelheiten interessiert. Seine zusätzliche Funktion als Sicherheitsverantwortlicher rechtfertigte dieses Interesse. Nachdem er sie die gesamte Zeit während ihrer Schilderung intensiv gemustert hatte, forderte er sie wegen der Komplexität der Sachlage auf tags darauf erneut in seinem Büro zu erscheinen.
Am nächsten Abend, sie hatte den Tag mehr schlecht als recht hinter sich gebracht, stand sie erneut in seiner Tür. Die Anstrengungen der letzten Tage, dazu die anhaltende Schlaflosigkeit, hatten längst Spuren in ihr Gesicht gezeichnet. Sichtbar müde und kraftlos hielt sie auf ihren Stuhl zu, grüßte freundlich und setzte sich ihm gegenüber. Da sie ihm die ganze Sache schon tags zuvor berichtet hatte, fragte sie gleich zu Beginn, ob er ihr das Geforderte aushändigen könne.
Lange schaute er sie an, ohne ein Wort zu sagen. Erst nach langen Sekunden drückender Stille fuhr er sie heftigst an. „Wie war doch gleich Ihr Name? Ach ja richtig, beinahe hätte ich ihn vergessen, Frau Dr. Smirnow! Sie besitzen also allen Ernstes die Unverfrorenheit mein Büro zu betreten und sich zu setzen, ohne dass ich Sie dazu aufgefordert habe! Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind? Stehen Sie gefälligst auf, wenn ich mit Ihnen rede! Ich möchte verdammt noch mal sehen, mit wem ich es zu tun habe!“ Er schrie so laut, dass man ihn auch in den benachbarten Büros problemlos hätte hören können.
Tatjana stand langsam auf und entschuldigte sich. „Ich wollte nicht unhöflich sein, bitte verzeihen Sie.“ Seine nächsten Worte knallten durch den Raum wie ein Befehl. „Treten Sie zur Seite, ich möchte Sie ganz sehen.“
Tatjana kam seiner Aufforderung nach und stellte sich neben den Schreibtisch. Zu ihrer weißen Bluse, trug sie eine graue Hose mit einem schwarzen schmalen Gürtel, dazu farblich passende halbhohe Schuhe und über die Schultern hatte sie ein grob kariertes Sakko gehängt. Trotz dieser für sie so schweren Zeit, war sie, wie stets, äußerst gepflegt und geschmackvoll gekleidet.
Panev schaute sie lange von oben bis unten an und seine Blicke hielten sie fest wie Schraubstöcke. Sein süffisanter Ton sollte kränken und tat es auch. „Sie wollen was von mir? In diesem Aufzug? Ziehen Sie sich erstmal so an, wie man es von einer Frau erwartet, die um einen Gefallen bittet. Ich bin morgen nicht im Haus. Am Donnerstagabend nach Dienstschluss habe ich für Sie Zeit. Wenn Ihnen bis dahin klar ist, wie Sie sich zu kleiden haben, können Sie mich noch mal besuchen. Und jetzt verschwinden Sie!“
Tatjana glaubte es zu wissen. Sie hielt noch einen Moment inne, dann verließ sie den Raum.
Kapitel 6
Zu Hause angekommen ließ sie sich nur noch auf ihr Bett fallen, den einzigen Ort, der ihr Schutz gegeben hatte. Zu sehr hatten sie die Geschehnisse der letzten Tage mitgenommen. Sie mochte nichts mehr essen, konnte nicht lesen, nicht fernsehen und an Entspannung war nicht mehr zu denken. Enormer Zeitdruck nagte an ihr, gönnte ihr keine Ruhe und schenkte ihr keine Pause mehr. Erst am folgenden Donnerstagabend konnte sie Panev treffen und schon am Montag darauf, musste sie Putkin die Ware übergeben. So sehr sie sich vor Panev auch fürchtete, so sehr brauchte sie ihn.
Am Mittwochabend packte sie widerwillig den schwarzen Minirock, den sie sich zwei Jahre zuvor für die Geburttagsfeier einer Freundin gekauft hatte, in eine kleine Reisetasche. Kombiniert mit einem tief ausgeschnittenen, hellblauen Body, schwarzen Schuhen und Strümpfen, empfand sie ihr eigenes Spiegelbild als durchaus verführerisch. Einzig der Gedanke, sich Panev derart präsentieren zu müssen, verwandelte den Respekt an der eigenen Person in Abneigung. Zu hoffen, einem ihr widerwärtigen Menschen in den eigenen liebgewonnenen Kleidern gefallen zu müssen, löste Abscheu aus.
Zu ihrer eigenen Überraschung konnte sie in dieser Nacht besser schlafen, als in den vorangegangenen Nächten und ein seit Tagen ungewohnter Hunger, ließ am Morgen sogar ein kleines Frühstück zu. Auch den Arbeitstag bewältigte sie, dank eines halbstündigen Bandausfalls, leichter als von ihr angenommen. Die Koordination der Wiederinbetriebnahme des Bandes brachte ihr Ablenkung und Zeitgewinn. Erst am Nachmittag, als der Dienstschluss nahte, wurde sie zusehends nervöser.
Als sämtliche Mitarbeiter die Firma verlassen hatten, ging sie in ihr Büro, um sich umzuziehen. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel, rief sie Panev an und fragte mit zittriger Stimme, ob sie jetzt zu ihm kommen dürfe.
„Wenn Sie sich beeilen, ansonsten bin ich weg!“ Ohne auch nur einen Augenblick zu verlieren, eilte sie zu ihm. Sie klopfte an seiner Tür, öffnete aber erst nach Aufforderung. An diesem Abend trat sie nicht bis an den Schreibtisch heran, sondern wartete gleich hinter der Tür, bis er ihr einen Platz zuwies. „Da hinüber!“ befahl er und deutete auf den Platz, auf den er sie auch zwei Tage zuvor beordert hatte.
Er zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und nahm ein halb gefülltes, oben verschlossenes Reagenzglas an sich. Selbstzufrieden betrachtete er es, als sei es ein Kunstobjekt oder eine Trophäe von besonderem Wert. Lächelnd schwenkte er es vor ihren Augen und fragte mit süffisanter Stimme: „Wissen Sie, was das ist?“ „Ich nehme an, der Stoff, den Sie für mich besorgt haben.“ „Richtig, es ist der Stoff – aber ich weiß noch nicht, ob ich ihn für Sie besorgt habe. Wir hatten eine Abmachung, mal sehen, ob auch Sie Ihren Teil erfüllt haben?“ Er musterte sie wortlos von oben bis unten und machte sich dabei die Zeit zum Verbündeten. Jede Sekunde des Angestarrtwerdens, schrumpft das eigene Selbstbewusstsein und macht einen ein Stück erbärmlicher.
„So wie Sie aussehen, können Sie sich als Sekretärin bewerben! Leider brauche ich keine! Und falls ich eine bräuchte, dann ganz gewiss nicht Sie! Sie sind schlicht und einfach zu dumm! Sie wollen, oder sagen wir besser, Sie brauchen etwas von mir, was nur ich Ihnen besorgen kann. Aber statt sich in einem angemessenen Outfit zu präsentieren, stellen Sie sich vor mich, wie eine x-beliebige Verkäuferin aus einem Ramschladen!“ Tatjana packte ihr letztes Häuflein an Selbstachtung und schaute ihn entschlossen an. „Sagen Sie mir, was ich anziehen und wie ich aussehen soll. Ich werde es tun, so wie Sie es wünschen, aber geben Sie mir bitte das Gläschen.“ Panev lachte verächtlich: „Sie fragen mich, wie Sie aussehen sollen? Ich werde Ihnen sagen, wie Sie aussehen sollen, - Sie sollen aussehen wie eine Nutte! Wie eine ordinäre billige Nutte, haben Sie das verdammt noch mal verstanden! Ansonsten können Sie sich Ihr Reagenzglas weiß Gott wohin schieben!“
Mit leiser Stimme versuchte sie ihn zu beruhigen. „Bitte geben Sie mir etwas Zeit. Ich gehe schnell in das Kaufhaus gegenüber und kaufe mir die Sachen, die Sie wünschen. In einer Stunde könnte ich wieder hier sein.“
„Ich habe heute keine Zeit mehr. Kommen Sie morgen Abend wieder.“ Er wusste, dies würde die letzte Möglichkeit für Tatjana sein, noch rechtzeitig an das Gewünschte zu kommen. Ganz gezielt setzte er seine Macht ein, um mit ihr zu spielen. Er hasste Frauen und hatte durch Tatjana endlich die Gelegenheit dazu, es einer von ihnen demonstrieren zu können.
Noch am gleichen Abend betrat sie einen in der Rotlichtszene einschlägig bekannten Dessousshop. Schon das Betreten des Ladens löste Unbehagen in ihr aus. Glücklicherweise war die einzige Verkäuferin in diesem Geschäft gerade mit einer anderen Kundin beschäftigt. So blieb es Tatjana wenigstens erspart, ihre Wünsche formulieren oder gar beschreiben zu müssen. Rasch nahm sie eine ihr von Plakatwänden gekannte Mindestausstattung