Königin der Spiegelkrieger. Werner Karl
den Befehl schon erwartet und sich innerlich darauf gefreut. Es machte ihm immer Spaß, wenn sich das ganze Schiff nach seinem Takt richten musste. Wenn es nach ihm ginge, hätte er das Tempo der genau definierten Rammgeschwindigkeit höher angesetzt, da er diese kurzen und seltenen Momente seiner Macht auskostete. Doch wie immer zähmte er seine Begierde und hielt sich strikt an das vorgeschriebene Tempo. Mit scharf akzentuierten Schlägen trieb er die Ruderer an, und beneidete die Männer, die auf Sträflingsgaleeren ihr Leder in das Fleisch der Ruderer peitschen durften. Mit jedem Schlag auf seine Trommel stellte er sich vor, wie das Blut aus aufplatzenden Wunden über die Rücken der Sträflinge spritzte. Nach diesem Feldzug würde er versuchen, sich auf eines dieser köstlichen Schiffe versetzen zu lassen.
Das Flaggschiff stach durch das Wasser wie ein Messer durch gut abgehangenes Fleisch.
Die kleinen Pictenschiffe schienen davonzustieben wie aufgescheuchte Hühner in der Nacht, wenn ein Marder zu Besuch kam. Und wieder wichen sie im letzten Moment aus und schafften es in fast allen Fällen auch aus der Reichweite der Ruderer zu kommen.
Die römischen Galeeren waren mitten unter den Booten der Caledonier, als diese mit Enterhaken nach ihnen warfen und sich an genau bemessenen Seilen mitschleppen ließen. Bevor die Kommandanten begriffen, was die Picten vorhatten, wurden diese von der Strömung ans Heck der Triremen gezogen und holten nun mit beherzten Zügen die Seile ein. Der erste der Picten kletterte bereits an Bord, als die am anderen Schiffsende in falscher Richtung postierte Entermannschaft endlich reagierte und versuchte, sich dem Feind zu nähern.
Doch sie standen zu dicht gestaffelt und es entstand ein heilloses Durcheinander, bei dem sich die Legionäre selbst behinderten. Ihre restlichen Kameraden, die sich auf dem ganzen Schiff verteilt hatten, standen ihnen ebenfalls im Weg und so ging kostbare Zeit verloren.
Die Speere und Pfeile der Picten hielten reiche Ernte und etliche der Krieger sprangen zu den Ruderern hinunter, um dort wie Marder im Hühnerstall ein Massaker anzurichten. Schwerter und Äxte metzelten ein Drittel der Besatzung und Soldaten nieder, bevor die römische Entermannschaft das Vordeck erreichen konnte.
Und nun stand einem gnadenlosen Hauen und Stechen nichts mehr im Wege.
Keine Flammen.
Kein Rauch.
Keine falsche Richtung.
Beide Seiten kochten vor Wut und viele erfahrene Kämpfer agierten mehr wie Berserker, denn wie aus-gebildete Soldaten.
Die römischen Offiziere, die ihren Verstand noch beisammen hatten, brüllten kurze Befehle in den Kampflärm und hatten wenigstens bei einigen Legionären damit Erfolg.
Die Picten jedoch hackten mit ihren Äxten und Krummschwertern in blutrünstiger Raserei auf die besser gepanzerten Gegner und errangen so zu Beginn die Oberhand. Meter um Meter drängten sie die immer noch uneinheitlich kämpfenden Angreifer über das Deck, das zunehmend rutschiger wurde, je mehr Blut sich darauf ergoss.
Ulpius Marcellus war eingekeilt zwischen hartgesichtigen Männern, denen er an den verkniffenen Mienen ansah, dass sie wussten, dass sie nicht nur ihr eigenes Leben zu schützen hatten. Mehr als eine Schlacht war trotz zahlenmäßiger Überlegenheit verloren gegangen, weil der Anführer gefallen war. Und er wusste dies genau. Es trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht und gleichzeitig gab er ihnen recht.
Sidonius Gavius indes stand genau vor ihm und kam in den ersten Minuten des Kampfes den Picten so nahe, dass er ihnen bis auf Armeslänge gegenüberstand. Er tötete einen Mann mit einer fürchterlichen Narbe im Gesicht und fasste neuen Mut, als er kurz darauf einen zweiten Mann mit einem schnellen Schnitt den Kopf vom Hals trennte.
Die Picten fielen wie Gras unter der Sichel und mit einem Mal wandelte sich die anfänglich wütende Raserei der Römer in kaltblütiges Kriegshandwerk.
Mann formierte sich neben Mann und unvermittelt standen sie geschlossen an Deck. Eine verkleinerte Form der Schildkröte wälzte sich nun Schritt für Schritt den Picten entgegen und stach einen nach dem anderen nieder. Von unten drangen die Jubelschreie der überlebenden Ruderer herauf und feuerte die Legionäre an.
Marcellus gestattete sich einen schnellen Blick zurück aufs Achterdeck und sah Farzatio mit erhobenen Daumen dort stehen. Der trierarchus schien die Schlacht zu genießen, denn er grinste schweißüberströmt zu ihm herüber. Und in der gleichen Sekunde, als in Ulpius der Ärger über dieses Verhalten aufstieg, erbleichte der Schiffskommandant und ließ seinen Daumen sinken. Aus der Entfernung sah es so aus, als gefriere dem Mann das Grinsen im Gesicht.
Ulpius Marcellus blickte wieder nach vorn.
Doch statt auf den Rücken des vor ihm kämpfenden Sidonius zu blicken, sah er genau in die Augen eines Picten.
Er riss seinen Schild hoch und konnte im letzten Augenblick den mörderischen Schlag einer blutbefleckten Axt abwehren, die kurz zuvor den Schädel eines Legionärs gespalten hatte. Denn der Picte stand breitbeinig über der Leiche, grinste und rief dem Römer durch den Kampflärm zu:
»Nun, Römer, komm näher. Meine Axt lechzt auch nach deinem Schädel.«
Sagte es und hob die tropfende Waffe zum Schlag.
Ulpius stach blind mit seinem Gladius durch die Lücke der Kämpfer vor ihm und traf auf Widerstand. Ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten, zog er zurück und stieß an der gleichen Stelle mit aller Kraft zu. Die Klinge durchstieß eine Brust und die Spitze des Schwertes trat im Rücken des Picten heraus.
Mit röchelndem Gurgeln sank der Mann nieder und sein Blut mischte sich mit dem eines Legionärs, der dort mit starren Augen lag.
Der Statthalter stand nun in der ersten Reihe und kämpfte so verbissen wie die alten Hasen um ihn herum. Sidonius Gavius stand links von ihm. Sein Helm ragte ein wenig aus den anderen heraus und Marcellus sah, wie sein praefectus classis nicht weniger hart kämpfte wie jeder andere Soldat. Noch einmal gelang es ihnen, einige Meter voranzurücken.
Doch dann war endgültig Schluss damit.
Noch während sie kämpften und scheinbar die Picten zurückschlagen konnten, zeigte das Schicksal sein gehässiges Gesicht: Zuerst waren es nur wenige Römer, die Zeit genug hatten, sich ihre Gegner genauer anzusehen. Ausgerechnet ihr Erfolg verschaffte ihnen die Zeit, nicht nur wild um sich zu schlagen, sondern den Feind zu betrachten.
Und das war der Anfang vom Ende.
Gerade eben niedergestreckte Männer standen scheinbar plötzlich wieder lebendig vor ihnen. Das gleiche Gesicht, dieselben blauen Symbole auf der Haut.
Die Römer verstanden nicht, dass geköpfte, amputierte Feinde, die sie sicher getötet zu haben glaubten, erneut vor ihnen standen und sie bedrängten.
Sie wussten nicht, dass es sich dabei um Wiedererweckte handelte, um Spiegelbilder eines Originals, das andere Römer in einer anderen Schlacht schon längst besiegt hatten.
Die Verwirrung wechselte in Entsetzen, als zwei, drei und noch mehr völlig identische Picten vor ihnen standen und ihre Waffen schwangen. Die Abergläubischen unter den Römern riefen ihren Kameraden zu, dass sie von Dämonen angegriffen wurden und Rufe nach Göttern und deren Beistand wurden laut.
Selbst die Offiziere wussten nicht, was sie gegen diese unheimlichen Krieger erwidern sollten und zögerten dort, wo sie hätten agieren müssen. Die Befehle und Kommandos blieben aus, und so begann die Formation zu wanken.
Legionär um Legionär wurde niedergemacht und die hinteren Reihen verstanden nicht, warum ihre Vordermänner sich mit aufgerissenen Augen umdrehten und zu fliehen versuchten.
Nur wenige schafften den Sprung ins Meer.
Und noch weniger blieben an der Wasseroberfläche.
Ulpius Marcellus war einer von ihnen.
Er wurde unter ein Wirrwarr aus Rudern getrieben und konnte sich dort so lange festhalten, bis es ihm gelang, die Verschlüsse seines Brustpanzers zu lösen und ihn in die Tiefe der See sinken zu lassen.
Danach konnte er nur noch mit vor Schreck geweiteten Augen beobachten,