Königin der Spiegelkrieger. Werner Karl
und kein verweichlichter römischer Politiker.
Doch da kannte er die Frauen - und besonders Inga - schlecht.
Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Eifersucht donnerte sie ihm entgegen.
»Also ist es wahr, du hast Interesse an ihr«, schrie sie ihn an und dabei liefen ihr plötzlich die Tränen aus den Augen. »Und jetzt, wo Túan tot ist, willst du seinen Platz einnehmen. Das ist ja eine schöne Karriere: vom germanischen Kuhtreiber und römischen Vasallen, hin zum Leibwächter und womöglich König der Picten!«
Für mehrere Augenblicke war Swidger sprachlos. Zum einen, weil er seinen Werdegang niemals in dieser Weise gesehen hätte, zum anderen, weil ganz tief in seinem Innern sich etwas regte, dass ihn Arianrhod tatsächlich nicht allein als Schutzbefohlene betrachten ließ, sondern als … Frau.
Er schluckte hart und versuchte diese Gedanken und Ingas Tränen mit Kopfschütteln abzuwehren. Aber er brachte für lange Sekunden kein Wort über die Lippen.
Je mehr Inga Tränen vergoss und sich nun auf die Liegestatt niederwarf und von heftigem Schluchzen durchgerüttelt wurde, desto mehr zog es ihm den Hals zusammen.
»Es ist meine Schuld, das Túan tot ist. Und ich habe an ihr meine Schuld zu bezahlen. So einfach ist das.«
Seine Stimme hatte sich wieder beruhigt, aber in seinem Innern tobte ein Gefühlssturm, beinahe wie in einer Schlacht. Fast sehnte er sich nach einem Kampf. Wie einfach war es doch dort. Freund und Feind waren klar zu erkennen und es gab keine Zeit für Worte und Überlegungen. Man schlug zu und tötete als Erster. Denn eine zweite Chance bekam man dort selten.
Ein neues Gewicht drückte auf seine innere Last, als er diesen Gedanken hatte.
Und doch hat mir Túan eine zweite Chance gegeben, ein zweites Leben. Ich war tot und auf dem Weg nach Walhall. Aber er hat mich wiedererweckt und mich Inga zurückgegeben.
Er wollte dies der weinenden Frau auf dem Bett sagen, doch weder konnte er die richtigen Worte finden noch einen Ton, der sie beruhigen und in seine Arme führen würde. So stand er eine Weile hilflos da und lauschte ihrem Weinen. Als ihr Schluchzen versiegte und sie nur noch leise weinte, hielt er es nicht mehr aus und drehte sich um und fasste an den Türriegel.
»Wo gehst du hin?«, kam es dumpf aus dem Wust ihrer verwirrten Haare.
Die Hand am Riegel wartete er und suchte selbst nach einer Antwort. Er wusste nicht, wohin er hatte gehen wollen.
»Ich mache einen weiteren Kontrollgang. Die Wachen sollen sich nicht an regelmäßige Besuche gewöhnen. Wenn ich zurück bin, können wir vielleicht ohne Streit miteinander reden.« Aber auch hier war seinen Worten anzuhören, dass er nicht daran glaubte.
Als sie nichts darauf erwiderte, öffnete er die Tür und ging hinaus. Er war schon mehrere Schritte fort, als sie mehr zu sich selbst sagte:
»Dann bin ich vielleicht nicht mehr hier.«
Kapitel VIII
A. D. 183, Juni
Der Wolf hetzt die Meute
Dichte Nebelbänke hüllten die römischen Galeeren wie eine Decke aus weichen Federn ein. Die letzten Legionäre, die sich an Bord ihrer Schiffe begaben, wirkten wie Schattengestalten, die Geistern gleich durch das Zwielicht huschten. Die roten Helmbüsche der Offiziere waren blutrote Tupfer auf dem grauen Laken des frühen Morgens.
Ulpius Marcellus fröstelte trotz der Jahreszeit und zog seinen Umhang dichter um sich zusammen. Er stand mit Sidonius Gavius auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und wartete ungeduldig, bis ein Melder die Bereitschaft auch des letzten Schiffes zum Auslaufen anzeigte. Er gab dem Cornicen einen Wink und der stieß mit kräftigem Blasen in sein Cornu.
Er hatte nicht befohlen, dass die Männer besonders leise sein sollten - denn schließlich lag die Westküste Britanniens noch viele Meilen vor ihnen - und trotzdem bewegten sich die Männer, als achteten sie darauf, keine unnötigen Geräusche zu machen.
»Neptun hüllt uns in einen Schleier«, sagte Ulpius Marcellus und sein Tonfall verriet nicht, ob er dies begrüßte oder bedauerte.
»Mir wäre lieber, er würde uns den Nebel für die Zeit unserer Ankunft schicken, Herr. Es sind noch rund 40 Seemeilen bis zu unserem vorgesehenen Landepunkt. Das bedeutet mindestens 24 Hora Fahrt, bei dem mäßigen Tempo, dass du befohlen hast.« Es lag kein Vorwurf darin, sondern Besorgnis.
»Und ich habe befohlen, dass die Ruderer sich nicht verausgaben sollen und wir eine Nacht ruhen und dabei nur so stark rudern, dass uns die Strömung nicht abtreibt. Ich weiß, Sidonius, dass dir dies nicht ganz behagt. Aber ich möchte eine ausgeruhte Rudermannschaft haben, wenn wir unser Ziel erreichen. Ich denke nicht, dass uns die Picten so einfach werden anlanden lassen. Sie werden uns schon auf See angreifen, da bin ich mir sicher.«
Sidonius Gavius grinste für einen Wimpernschlag mit Verachtung, dann hatte er seinen Standardausdruck wieder.
»Unsere Hauptstrategie beruht darauf, dass die Picten uns an ihrer Ostküste erwarten und nicht hier in ihrem Rücken. Und trotzdem rechnest du damit, dass sie uns hier entgegenkommen? Außerdem habe ich mich über die Boote der Picten informiert, Herr. Und wie du bemerkt hast, vermeide ich das Wort Schiff. Denn diese Nussschalen, die sie besitzen, sind drei bis vier Mal so klein wie unsere Galeeren, haben nur ein Segel und können vielleicht zehn oder zwölf Mann tragen. Wenn sie uns damit auf See angreifen wollten, müssten sie schon Hunderte davon haben.«
»Vielleicht haben sie so viele, wir wissen es nicht, Sidonius. Und sie kennen diese Gewässer besser als wir, schließlich ist es ihre Heimat. Ich rechne auch mit Überraschungen. Weder Magnus Lucius noch mein direkter Vorgänger Caerellius Priscus hatten mit der Verschlagenheit der Picten gerechnet. Ich habe keine Angst vor einer Schlacht, ob zur See oder auf Land. Das, was mir Sorgen bereitet, ist das, was ich nicht kenne.«
Schon wieder hatte Ulpius Marcellus es geschafft, seinen Untergebenen zu verblüffen. Es war nicht üblich, dass sich ein Kommandeur von Sorgen geplagt zeigte. Sidonius Gavius musste zugeben, dass er entgegen ersten Bedenken langsam anfing, seinen neuen Befehlshaber nicht nur zu respektieren, sondern echte Sympathie für ihn zu empfinden. Andere Anführer hätten wenig Rücksicht auf die Männer genommen und versucht in Rekordzeit - und damit eventuell in weniger als der halben Zeit, die sie nun benötigen würden - die caledonische Küste zu erreichen.
Doch davon ahnte Ulpius Marcellus nichts.
Sidonius nickte bestätigend, sagte aber nichts mehr. Beide Männer lauschten auf den regelmäßigen Takt des symphonieacus und dem folgsamen Schlag der Ruderer.
Als die Sonne aus dem Meer auftauchte und immer rascher den Morgennebel auflöste, murmelte Ulpius Marcellus so leise, dass es der neben ihm stehende Sidonius kaum verstehen konnte:
»Neptun schenkt uns eine ruhige Überfahrt. Mögen die Götter uns weiterhin begleiten.«
Weder er noch der Mann neben ihm sahen die winzigen Boote, die hinter ihnen am Horizont und in den letzten Nebelfetzen verborgen der Flotte folgten.
Der entfernte Verwandte Ulpius Marcellus´, der auf einem dieser kleinen Boote ruderte, war Marcellus Maximus Lupinius. Er hatte untersagt, die Segel zu setzen und befohlen, nur zu rudern. Er hielt sich soweit es nur irgend ging von den Römern entfernt. Die Picten - nein, die Cruithin - hatten seine Vorschläge ohne zu murren als Befehle angenommen. Natürlich war er nicht allein an Bord des Bootes, das man vielleicht als das Flaggschiff der Currach-Flotte hätte bezeichnen können, das aber genauso klein und unscheinbar war, wie all die anderen Boote.
Maelchon mac Cean und Máiri von den Vacomagi waren bei ihm.
Lupus, wie sie ihn nannten, setzte ein zwiespältiges Grinsen auf, das ihn noch mehr wie einen Wolf wirken ließ. Einen alten, grauen Wolf; erfahren in vielen Kämpfen und wie jeder alte Wolf einsam. Sein erstes Rudel - Rom - hatte ihn im Stich gelassen, hielt ihn für verschollen