BLICK AUF DEN NIL. Karim Lardi

BLICK AUF DEN NIL - Karim Lardi


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sein, er frage, weil sie nur mit einem kleinen Rucksack unterwegs war.

      Der Taxifahrer erzählte, er fahre für sein Leben gerne Europäer, einzig und allein aus dem Grund, dass sie sehr praktisch reisen. „Keiner in der Welt reist mit so viel Aufwand, wie wir Ägypter. Wir Ägypter, wir sind unglücklich, wenn wir auf unserer Reise nicht die Pyramiden mit uns verlagern. Pyramiden sind immer in irgendeiner Art mit uns, egal wohin wir reisen. Wir sind die Pyramiden und die Pyramiden sind wir. Unzertrennlich!“, sagte er philosophierend und drehte sich langsam zu ihr um, über seine Formulierung lachend.

      „Haben Sie jemals einen Ägypter erlebt, der mit einem einzigen Koffer reist?“, sagte er in fragendem Ton und wandte sich wieder zu ihr. Sie bewegte ihren Kopf hin und her, hielt sich am vorderen Sitz fest und wünschte im Stillen, er würde geradeaus schauen. Der Verkehr war nämlich gerade nicht beruhigend. Alle rasten mit gewaltiger Geschwindigkeit und überholten zackig und gewagt, während der Motor des alten Taxis bedenklich schnaufte und ächzte.

      „Der Karren braucht bald einen neuen Motor! Bald stirbt er ab… bald gibt er den Geist auf…“, sagte er mehr zu sich als zu ihr und schlug mit der Hand ermahnend auf das dünne Lenkrad.

      An den Laternen, entlang der Straße, die den Flughafen mit der Innenstadt verband, hingen gigantische schwarz-weiße Bilder von Präsident Husni Mubarak in seinen jungen Jahren. Voller Stolz schaute er von oben herab als würde er alles aus der unangreifbaren Höhe seiner Macht betrachten.

      „Minnak lillah ya Mubarak, Minnak lillah ya Mubarak!!! Gott seiest du geklagt, Mubarak!!!“, redete der alte Taxifahrermehr mit sich selber und seufzte immer wieder, wenn sie an einer solchen Straßenlaterne vorbeifuhren. Eine große Spur von Frustration war in seiner Stimme mitgeschwungen.

      „Er soll sich zum Teufel scheren! Zum Teufel mit dem Kerl! Mein Blutdruck klettert jedes Mal hoch, wenn ich sein Bild sehe“, sagte er in den Rückspiegel schauend wo er sah, dass Lauras Blicke auf den Plakaten geheftet blieben.

      „Das Regime steht ganz oben am Rande des Abhangs und es ist kurz davor, in die Tiefe zu sausen. Das Hochseil wird langsam dünner und der Abgrund darunter tiefer, bloß es will niemand glauben“, flüsterte er und führte mit zwei Fingern über seinen Mund, als würde er einen Reißverschluss schließen.

      Abd-Essabur hatte gute Gründe zu glauben, dass es, vielleicht in gar nicht allzu ferner Zukunft, so kommen würde.

      „Dieser Mann und sein Klüngel haben uns ruiniert. Sie haben uns versklavt, gedemütigt und ausgewrungen, dreißig Jahre lang leben wir nun schon unter seiner Fuchtel und seiner Knute!“, schnaubte er verächtlich, wobei er in den Flüstermodus verfiel.

      „Stellen Sie sich vor“, erging er sich erneut in einem lawinenartigen Monolog über die Drangsale seines Lebens, „mit 20 Pfund am Tag konnte man früher eine ganze Familie festlich ernähren.“ Er tätschelte sich den Bauch. „Es gab Hähnchen, gefülltes Gemüse, es gab Muskraut mit Kaninchen, und … und am Ende jeden Arbeitstages hatte man sogar kleine Geschenke für die kleinen Kinder mitgebracht. Und heute? Die Reichen schwelgen im Überfluss und von uns wird immer wieder erwartet, den Riemen enger zu schnallen. Wir essen und trinken nach dem Kamelprinzip: Wenn wir die Gelegenheit haben, legen wir für die Hunger- und Durststrecken einen Vorrat an und schaufeln alles in Reichweite in uns hinein, wer weiß, sagen wir uns, ob wir so schnell wieder etwas bekommen. Den Duft von gegrilltem Fleisch kennen wir nur noch aus der Erinnerung. Bald dürfen wir uns mit Kutteln, Hunde- und Eselsfleisch trösten.“

      Er warf Laura einen gequälten Blick zu. „Der Torschi, das eingelegte Essiggemüse und das strohige Brot, treiben dem Volk die Galle hoch. Uns läuft die Galle buchstäblich über. Mich würde es nicht wundern, wenn die Menschen bald übereinander herfallen. Hunger lässt nämlich Wolfszähne wachsen. Möge alles Übel sich von dir fernhalten, Ägypten!“

      Laura fiel es schwer, Worte zu finden. Außerdem ließ er ihr gar keine Zeit zur Besinnung. Es schien auch so als erwartete er gar keine Antwort von ihr, als bräuchte er lediglich ein Ventil für einen langjährigen aufgestauten Zorn. Offensichtlich war er froh über die Gelegenheit, sich das Ganze von der Seele zu reden. So ließ sie ihn für zwei reden. Es war längst nicht alles zu verstehen, aber sinngemäß wusste sie, was ihm schwer auf der Seele lag.

      Stolz holte er aus seinem alten Portemonnaie ein Bild heraus und seine Stimme nahm plötzlich den nachdenklichen Tonfall von jemandem an, der in einen alten schönen Traum versank: „Nasser!“, sagte er ehrfürchtig und legte den ganzen Stolz Ägyptens in seine Stimme. Eine Weile herrschte Stille, als würde er eine gebührende Schweigeminute einhalten, dann nahm er einen tiefen Atemzug, der einen gewichtigen Satz ankündigte.

      „Ach Nasser! Dein Land braucht dich jetzt….“ In seiner Stimme schwangen alte rührselige Erinnerungen und so viel ermattete Sehnsucht. „Mich erfasst Wehmut, wenn ich an die alten Zeiten denke…“, setzte er nostalgisch fort und verstummte wieder mitten im Satz, schüttelte den Kopf, bevor er sich wieder seinen lauten Träumen hingab.

      „Viele gescheite Leute bei uns sind heutzutage der Meinung, und denen stimme ich zu, dass wir einen neuen Gamal Abdel-Nasser brauchen.“

      Er erzählte über Nasser als ob er ihn persönlich kannte und ihm nahestand. Wie einen geschätzten Arbeitskameraden: „Wir sagten zu Nasser…. Nasser sagte zu uns.“ Er verstand es, diese Geschichten so lebendig zu erzählen, dass Laura fast glaubte, sie selbst miterlebt zu haben.

      „Der unsterbliche Anführer, der das ägyptische Volk verehrte und dessen Puls, Schlag für Schlag, fühlte. Das Inbild glühender Vaterlandsliebe und symbolischer Hoffnungsträger aller Ägypter: Fellachen, Arbeiter, Soldaten und einfache Menschen, wie ich. Zu seiner Zeit platzten wir vor Stolz. Der Ägypter trug den Kopf hoch. Sehr hoch, sooooo!“, sagte er voller Stolz und streckte seinen Kopf in die Höhe.

      „Und heute?“, sagte er mit deutlichem Abscheu in der Stimme und machte eine Gebärde des Bedauerns, die auf den desolaten Zustand deuten soll. „Alle wollen bloß weg. Der moderne Auszug aus Ägypten!“ Er seufzte geräuschvoll und fuchtelte mit einer zusammengefalteten Zeitung, die auf dem Nebensitz lag, herum. „Junge Männer in ihrer ersten Blüte verirren sich in der libyschen Wüste und begeben sich in den Rachen des Todes, verfangen sich in dem heimtückischen Netz, das die ruchlosen und gewissenlosen Schlepper um sie herum spannen. „Schauen Sie!“, sagte er in herablassendem Tonfall und zeigte auf ein Bild von gestrandeten Leichen: „Selbst das Mittelmeer will sie nicht mehr und spukt sie aus wie bittere Früchte. Sie alle träumten davon, dass noch manch freundlicher Hafen auf sie wartete, mit immerwährendem Frühling. Hier gibt es keinen Frühling.“

      Er hielt kurz inne, um dann schäumend weiter zu schimpfen. Laura schüttelte mitfühlend den Kopf. Er sprach von Doktoren, die mit ihm schichtenwechselnd Taxi fahren nur um sich ihre armseligen Hungerlöhne aufzubessern, wenn sie nicht gerade arbeitslos waren. Er sprach von Menschen, die ihre Organe verkaufen, um ihren kleinen Familien ein würdiges Leben bieten zu können.

      Laura schüttelte bedauernd den Kopf, wusste aber nicht recht, wie sie den armen alten Taxifahrer trösten oder beruhigen konnte.

      „Schwer vorstellbar, unglaublich“, sagte sie leise.

      „Eine Unverschämtheit! Das ist unentschuldbar…“, sagte er heiser.

      Er verstummte mitten im Satz und verfiel für einen kurzen Moment etwas beruhigt in träumerisches Schweigen. Im Radio des keuchenden Taxis lief gerade eine religiöse Morgensendung. Hingerissen lauschte er den Erzählungen, den Arm aus dem Fenster hängend, während Laura gerade noch den völlig verrauschten Ton mitbekommen konnte.

      „Geduld ist schön. Wenn man im Leben geduldig wartet, kommt alles zu einem, als wäre es ein Stück von einem selbst. Wenn nicht diesseits, dann im Jenseits doppelt und dreifach… Das irdische Dasein sei nichts anderes als ein Acker für das Jenseits und Geduld ist sein Bewässerungskanal. Wer Geduld übt, dem gibt das Leben alles, was er begehrt“, sagte zuversichtlich der Prediger, der ein profundes Wissen über die Bewohner, die Geographie, die Schätze und die Animationsangebote des Jenseits zeigte.

      Abd-Essabur lauschte angestrengt,


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