BLICK AUF DEN NIL. Karim Lardi
breiten Lächeln. „Bleiben Sie in Gottes Obhut, Miss! Sie bringen Licht zu uns! Ihre Anwesenheit verleiht ganz Ägypten Glanz!“
Er öffnete das Handschuhfach und stöberte eine Weile darin herum, schließlich förderte er eine zerknitterte Visitenkarte ans Tageslicht. Er gab ihr seine Telefonnummer und bat sie, ihn nicht zu vergessen bei ihrer Rückkehr, seiner „Mertel“ und Germany herzliche Grüße vom ägyptischen Volk und von Abu Huyam Abd-Essabur el-Harankesch, dem attraktivsten Taxifahrer Kairos, auszurichten.
„ I lobe you Germany, Of Wadersee Miss! Esch Lebe Desch… Ankila Mertel! Esch Lebe Desch Gerrar Schnöder, Backenbauer, Merzedes…!“, trällerte er freudestrahlend in seinem besten Deutsch. Dann lachte er fidel aus vollem Halse und skandierte abschließend mit gereckter solidarischer Faust ein dreifaches Es lebe Ägypten!
Sein Lachen war ansteckend. Sie machte ihm die Kampfgeste nach und lächelte etwas neckisch.
Ihr ging gerade das Bild Abu Huyam Abd-Essaburs und „Miss Mertels“ durch den Kopf, wie sie romantisch harmonisch und verträumt durch das Brandenburger Tor Hand in Hand schlendern. Sie fand das Bild witzig und war sicher, sie würde sich bei späterem Nachdenken immer wieder darüber amüsieren. Wenn sie bei der Fernsehsendung „das Paar des Jahrhunderts“ mitmachen, würden sie zweifelsohne den ersten Preis gewinnen.
Abd-Essabur zog an der Zigarette, die seinen Mund nie verließ und stieß den Rauch seitlich aus. Er winkte grob, mit beiden Händen, bevor er in seine widerspenstige Karre einstieg und mit brüllendem Motor und qualmenden Auspuff wegfuhr. Laura winkte zurück. Irgendwie war er ihr ein Stück ans Herz gewachsen. Es war schließlich eine ewige abenteuerliche Fahrt gewesen, vom Flughafen bis nach Zamalek. Sie blieb stehen und vernahm das müde Ächzen des verbeulten Taxis, das den kleinen Irrgarten langsam verließ und wieder Richtung Flughafen rumpelte.
Sie blickte etwas verzweifelt um sich. Sie wusste nicht recht wohin sie sich genau wenden sollte, als sie ein Schlüsselknirschen hörte, sich eine kleine Tür knarrend öffnete. Ein schmächtiger Mann in einem langen abgewetzten gräulichen Gewand, einen hellblauen Turban über seinem Mondgesicht mit buschigem Schnurrbart gewickelt, tauchte hüstelnd auf, sich den Schlaf aus den Augen wischend. Der Pförtner, dachte sie sich. Hier nannte man ihn Bawwab. Diese gehörten wie auch ein Privatfahrer in Kairo zum Statussymbol. Vor jedem Haus stand eine ganze Armada von ihnen. Je mehr vor der Haustür hocken, desto wichtiger sind die Hausherren und desto höher deren soziales Ansehen. Man zeigte seinen Reichtum durch ausreichend Personal.
In einem starken einheimischen Akzent begrüßte er sie freundlichst, er hatte sie bereits erwartet. Bevor sie den Mund aufmachen konnte, griff er, noch halb im Tran, nach ihrem Rucksack. Er öffnete ihr die eiserne Tür und schob sie zusammen mit ihrem Rucksack in den kleinen schmuddeligen Fahrstuhl, der sie ein bisschen an die Fahrkörbe eines Bergwerkes im Ruhrgebiet erinnerte. Der Fahrstuhl ratterte nach oben und hielt abrupt im letzten Stock. Sie gingen ein paar Treppen höher und schon befanden sie sich auf der Dachterrasse. Sie konnte es kaum erwarten, endlich heimzukommen. Sie war zum Umfallen müde und konnte ihre Beine kaum noch spüren.
„Hier ist Ihre Wohnung mit schönem Nilblick“, sagte der Bawwab während er sich an dem Schloss zu schaffen machte und an ihm heftig ruckte und rüttelte, bis es endlich nachgab.
Stolz führte er sie hinein und merkte, dass sie die Nase rümpfte. Beide mussten husten, als sie den Staub und die stark nach Putzmittel riechende Luft einatmeten.
„Maalisch! Maalisch! Es macht Nichts!“, sagte er tröstend mit einem verlegenen Grinsen. „Just polish! Just polish!“, sagte er sanft und schenkte er ihr ein freundliches Lächeln.
Als ihm klar war, dass sie seine Worte nicht mehr aufnahm und die Hand vor den gähnenden Mund hielt, machte er sich davon.
Sie fing sich und in der Tür stehend warf sie ihm noch ein Wort des Dankes hinterher. Dann schloss sie Tür und Fenster und schob den Riegel vor, obwohl der Geruch penetrant war. Den Vorhang ließ sie offen, er war sowieso nur Zierrat. Sie merkte wie die Müdigkeit in ihr hochkroch und eine große Mattigkeit über sie kam. Die Fahrt vom Flughafen kam ihr ewig lang vor, länger als der Flug an sich.
So kickte sie ihre Schuhe weg und ließ sich auf das kleine quietschende Bett niedersinken. Sofort fiel sie in einen unendlich tiefen Schlaf.
Nile View
Sie erwachte erst gegen Mittag mit rasenden Kopfschmerzen in ihrem verschwitzten Bett. Draußen rauschten die Klimaanlagen der Nachbarn. An heißen Tagen kann man nirgendwo in Kairo diesem Lärm entkommen. Von allen Seiten her erklangen dann auch noch wütende Hupsignale und das Motorendröhnen vorbeirasender Autos, Gehämmere und Geklopfe. Diese Kakophonie zusammen mit dem Gebrüll der Bawwabs und Polizisten gellten in ihrem Kopf und machten ihn zu einem Hexenkessel, in dem alles brodelte.
Der lange Flug steckte ihr noch in den Gliedern. Es dauerte eine Weile, bis ihre Erinnerungen zurückkehrten und sich ihr Kopf nach und nach klärte.
Wie in aller Welt können die Menschen diesen Lärm aushalten!?
Sie blickte sich um. Ihr kleines Zimmer war spartanisch eingerichtet, mit kahlen weißen Wänden und abgenutzten Dielen. Es hatte alles, was eine angehende Wissenschaftlerin so braucht: ein kleines Bett, einen Stuhl, einen Tisch und ein Regal. Eine kleine Kochnische, ein Spülbecken und eine separate Toilette waren auch dabei.
Laura stand langsam auf und öffnete, wenn auch noch total zermürbt, hoffnungsfroh das Fenster, durch dessen Gitter einige Kabel gezogen waren. Ihr Zimmer führte auf eine große Terrasse, auf der ein Meer von Kabeln, Fernsehantennen und Satellitenschüssel aller möglichen Größen installiert war.
Es kam ihr alles ganz unwirklich vor, als hätte man sie auf einem fremden Planeten ausgesetzt. Über der Stadt lag ein beißender Geruch von verbranntem Reisstroh und Müll. Kairo hatte wieder gerülpst. Es war sehr trübe und man sah keine Sonne. In der Ecke stand eine alte Kommode unter einer kleinen Pergola. An der unverputzten Wand hing ein kleiner uralter Fernseher. Daneben war ein Käfig voller Tauben, um den räudige Katzen im Taubenmist lungerten. In der Mitte der Terrasse standen ein mit Tuch bedeckter Allzwecktisch und ein paar wurmstichige Stühle. Überall lagen Strohmatten und von langen Dienstjahren ausgeblichene Kopfkissen.
Ihr Blick schweifte eine Weile über die Dächer, die wie ein graues Häusermeer aussahen. Wie erstarrt stand sie da und verspürte eine gewisse Enttäuschung. Voller Hoffnung suchte sie mit den Augen nach dem versprochenen Nilblick. Und je länger sie suchte, desto düsterer und enttäuschter wurde ihre Miene. Langsam spürte sie, wie ihre gesamten Orientträume wie ein angestochener Luftballon schrumpften. Dort hinten, wo sich eine Öffnung zwischen den hohen Gebäuden auftat, da erschien ihr ein kleines silbern schimmerndes Stück Wasser! Ansonsten blickte sie nur über ein Meer von heruntergekommenen, farblosen Wohnblöcken. Sie schienen alle schwer in Mitleidenschaft gezogenen zu sein.
An vielen Stellen fiel der Putz von ihnen ab und manche standen einfach im nackten Mauerwerk da. Auf den Flachdächern lagen Unmengen alten Gerümpels, ohne dass irgendjemand es für nötig hielt, irgendetwas aufzuräumen. Kleine Mädchen spielten unbekümmert und ahnungslos Blindekuh, Jungs tollten herum und befehdeten sich einander mit Stöcken. Sie hörte die plappernden Stimmen der Frauen, die gerade die Wäsche auswrangen und aufhängten und alte Teppiche klopften. Sie sah wie der Staub in die Luft wirbelte. Sie winkten ihr freundlich zu und lachten herzlich.
Laura beschloss, nicht schwermütig zu werden und einfach erstmal alles auf sich zukommen zu lassen. Die Tatsache, für den Anfang eine Bleibe zu haben, wenn auch spartanisch ausgestattet, spendete ihr irgendwie etwas Trost. Sie war froh, denn das entlastete ihr dünnes Portemonnaie erheblich und ersparte ihr die zermürbende Sucherei und den nervenaufreibenden Ärger mit Maklern und Hausbesitzern, die denken jeder Europäer sei ein zweibeiniger Geldautomat. Am schlimmsten trugen die Expatriates zu diesem Bild bei. Sie galten als penibel und sehr wählerisch. Alle suchten und wollten stattliche, herrschaftliche Häuser oder Wohnungen, von denen man in alle vier Himmelsrichtungen blicken konnte, weitläufige Gärten, am liebsten noch mit Swimmingpool und waren bereit, dafür schwindelerregende Preise zu