BLICK AUF DEN NIL. Karim Lardi

BLICK AUF DEN NIL - Karim Lardi


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Winkeln seiner Stimme noch immer die Überreste einer bitteren Enttäuschung steckten. Professor Sander fuhr sich mit der Hand durchs Haar und rubbelte sich mit beiden Händen das Gesicht, so als wollte er diese schlechten Erinnerungen ein für allemal wegwischen.

      Einen Moment lang brachte er keinen Ton heraus, bis Laura verwundert fragte:

      „Und die Polizei?!“

      Er schaute sie über seine Brille hinweg an, darauf bedacht, ihr sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. „Nichts! Sie tat nichts“, erwiderte er mit einem leichten Schulterzucken und einem bedauernden Lächeln, das sagen sollte „wen juckt´s?“.

      Professor Sander hatte sich tatsächlich oft persönlich bei der Polizei beschwert, aber „no answer no comment.“ Als er erneut mit Hilfe der Deutschen Botschaft seine Beschwerden vorbrachte und eine ausführliche gerichtliche Untersuchung anleiern wollte, bekam er von der ägyptischen Seite ein kurzangebundenes „Ma tiqlaqusch! Das lasst mal unsere Sorge sein“ zu hören.

      Er schluckte seinen Verdruss hinunter und wartete voller Geduld darauf, dass der Vorgang schneller vonstatten ginge, als man ihm versprochen hatte.

      Seitdem ist viel Wasser den Nil hinuntergeflossen und nahm die Beschwerden unwiederbringlich mit sich. Man hatte nicht den Eindruck, dass die Polizei sich in ihrem Tatendrang überschlug, um irgendetwas herauszufinden.

      Schikane und systematisches Plündern blieben unverändert und niemand scherte sich darum. Dies musste die Fachcommunity immer wieder mit großer Sorge und unendlichem Bedauern zur Kenntnis nehmen.

      Plündern war nun keine Seltenheit mehr in Ägypten, eher wurde sie zu einer gewerbsmäßigen Obsession. Die Lebensbedingungen wurden immer härter und die Menschen immer verzweifelter. Die armen Menschen in den Dörfern hatten die Nase voll und wollten auch endlich mal etwas von den Reichtümern ihres Landes haben.

      Da schienen ihnen selbstverständlich alle Mittel recht zu sein, um irgendwie ihre Misere zu lindern und die Drangsale des Lebens überstehen zu können. Die Not hat eigene Gebote, so sagt man.

      „Wenn die da oben sich gewissenlos über alles hinwegsetzen, warum soll uns hier unten dies verweigert bleiben. Wir nehmen einfach, was uns zusteht und was uns die „Mutter der Welt“ in ihrem Inneren verborgen hält“, dachten sie sich ganz einfach.

      Für diese Menschen war Plündern, als würde jemand seine eigene Wohnung ausrauben: ein abwegiger Gedanke, aber lange kein Verbrechen, das ihnen ein schlechtes Gewissen bereitete oder sie zu schlechten Menschen machen sollte.

      So gruben sie nicht nur in den archäologischen Stätten, sie gruben selbst unter ihren eigenen Häusern, die sich in deren Nähe befanden. Seit einige Hobby-Ausgräber und Glücksritter von den Schätzen einer versunkenen Stadt gesprochen hatten und sichere Informationen über ein sagenhaftes, reiches Königreich, das ausschließlich Goldmünzen und Edelmetall als Währungsbasis hatte, kursierten, ließen sie keinen Stein mehr auf dem anderen. Man hörte nur noch schabende Geräusche und emsiges Klopfen. „Eine winzig kleine Schatulle davon, so klein wie eine Streichholzschachtel, würde reichen, um ein Leben wie ein Pascha zu führen, mit allem was dazu gehört. Wir werden uns im Gold wälzen und uns unseres Lebens erfreuen“, hörte man sie mit leuchtenden Augen tuscheln.

      „Neulich wurde eine ganze Familie tot ausgegraben. Das Haus stürzte über ihnen ein, als sie nach einem erhofften Schatz buddelten. Die ganze Familie wurde verschüttet. Keines der Familienmitglieder konnte lebend gerettet werden. Als die Rettung kam waren sie alle bereits tot. Sie wollten schnell reich werden und der Traum des verborgenen Schatzes, der funkelnden Münzen und Edelsteine war ihnen zum Verhängnis geworden“, erzählte Professor Sander. Das Entsetzen stand ihm unverkennbar ins Gesicht geschrieben.

      „Wie makaber!“, bemerkte Laura betroffen.

      „Gott habe sie alle selig! Das Glück stand ihnen einfach nicht zur Seite. Glück ist wie eine launische Frau, den einen lächelt sie vielversprechend an, dem anderen zeigt sie eine eiskalte Schulter, hörte man einige Nachbarn sagen, die bei der Bergung der Leichen dabei waren. Unbekümmert und ohne jegliches Anzeichen der Reue oder Missbilligung dieser Taten, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt“, erinnerte sich Professor Sander.

      „Not macht viel Verbotenes erlaubt. Welchen Preis sind die Menschen bereit zu zahlen, auf der Suche nach den Schätzen dieser Welt?“, fragte Laura etwas verlegen mit gezwungener Heiterkeit, um seine Verärgerung etwas zu mildern.

      Er ging auf ihren heiteren Ton nicht ein. Er gab sich Mühe, leichthin zu sprechen, doch seine Stimme versagte. Sie klang kummervoll und gereizt.

      Schweigend gingen sie einige Augenblicke weiter, ehe er mit gespielter Gelassenheit Laura einen kurzen entschuldigenden Seitenblick zu warf.

      „Sorry, es ist nicht richtig von mir, dass ich Ihnen gleich am ersten Tag die Ohren volljammere, aber es wäre noch schlimmer, wenn ich die hässliche und harte Seite des Jobs verschwiege. Ausgrabungsstätten sind einfach kein Ponyhof“, sagte er in dem schwachen Bemühen, seine Frustration zu kaschieren.

      Mit diesen Worten gingen sie zurück zu Sanders Haus, das zwischen den welligen Dünen lag. Man konnte erkennen, dass er trotz allen Ärgers, nicht ungern hier war. Laura sah, wie er sich auf der Terrasse seiner Wohnung still, mit übereinandergeschlagenen Beinen, an dem atemberaubenden Sonnenuntergang über dem Nil erfreute. In einer Atmosphäre von Wein und Zigarrenrauch glitt sein Blick über saftgrüne Palmen Richtung Horizont, wo Sonne, Nil und Himmel sanft zu verschmelzen schienen. Es war fast zu intensiv, um echt zu sein und bot ein unglaublich romantisches Gemälde dar, als würde man den makellosen Körper seiner Geliebten betrachten. Kein Wunder, dass es den gebürtigen Deutschen an den Nil verschlagen hatte.

      „Ein recht angenehmes Leben haben Sie hier!“, sagte sie zu ihm amüsiert, aber doch herzlich und er schien das gern zu hören.

      Professor Sander schätzte seine Zeit in Ägypten alles in allem als die glücklichste seines Lebens, so erzählte er Laura. Er hatte etliche Länder bereist und er kannte wunderschöne Orte, aber keiner berührte ihn so sehr wie das Land am Nil. Wenn der Vollmond am Sternenhimmel stand, der Wind im Laubwerk der Palmen wisperte und er einen guten Wein trank, dann war alles für ihn wie verzaubert. Ein Balsam für seine strapazierte westliche Seele. „Der Himmel auf Erden. Dem Charme des Nil muss man einfach erliegen“, sagte er, die Augen vor Wohlbehagen glänzend.

      Bereits als Student, sehnte er sich nach Ländern jenseits von Europa. Ihm war damals bewusst gewesen, dass er auf viele Fragen keine Antwort hatte, aber eine wusste er ganz genau: der Sinn des Lebens ist, den Schlüssel zum Glück zu finden und für ihn war der Orient der Ort, wo dieser Schlüssel versteckt lag.

      Schon damals hatten ihn der Nil und das Leben an dessen Ufer fasziniert. Seiher gab es kein Entrinnen mehr; für ihn hatten das vorgenormte Leben und die materialistische Welt des Westens jeglichen Zauber verloren. Der Nil war die Quelle der schrankenlosen Freiheiten geworden. Wie tief er in einer Welt voller Zwänge und Ruhelosigkeit steckte und wie sinnlos und hohl sich diese Welt anfühlte, bemerkte er erst, als er das erste Mal den Nil entlangschipperte. Wie im sanften Schoß einer Mutter, so geborgen fühlte er sich auf seinem Boot im Nil. Das stetige Flüstern des Windes in den Segeln beruhigte seine Sinne. Es erfüllte ihn mit Wohlgefühl, eine nie gekannte Wärme umspülte sein Herz.

      Es war schlechthin die spannendste und zugleich lohnendste Reise seines Lebens, denn sie war eine Reise zu sich selbst. Hier fühlte er sich grenzenlos glücklich. Hier hatte er die innere Ruhe erlangt, die in der westlichen Welt umso unwiederbringlicher schwand, je mehr er ihr hinterherjagte.

      Er machte die beglückende Erfahrung, dass er plötzlich nicht mehr mit sich und der Welt unzufrieden war. Der Nil hatte ihn durch seine Sanftheit mit beidem ausgesöhnt.

      Das erklärte auch seine besondere Vorliebe für seine Arbeit. „Die Grabungen sind mein Leben. Je tiefer ich in der Erde grabe, desto näher komme ich meinem Sehnsuchtsbild von Liebe, Nestwärme und glückseligem Dasein in einer von der Moderne ungeschändeten Welt. Ich kam nicht wegen der Arbeit in die Ausgrabungsstätten, sondern aus Liebe zur Liebe“, stellte er klar.

      Laura


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