BLICK AUF DEN NIL. Karim Lardi

BLICK AUF DEN NIL - Karim Lardi


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ist heute kein Model mehr, das über den Laufsteg gleitet. Kairo stapft. Kairo ist wie eine gealterte Schönheitskönigin, bei der trotz der Zeichen, die die Lebensjahre in ihrem Antlitz hinterlassen hatten, ein Hauch ihrer einstigen Schönheit noch immer durchschimmert. Die Anziehungskraft verschwindet zwar im Gleichschritt mit der Zeit, der Charme und der Zauber des Alters wächst jedoch unaufhaltsam.

      „Schönheit vergeht, Charme besteht“, dachte sich Laura voller Nostalgie.

      Magische Klänge

      In dem Getöse der Stadt fischte sie eine leise Musik heraus, die wie ein Geist von irgendwoher unablässig über ihre Dachterrasse huschte. Zuerst dachte sie, ihre Fantasie spiele ihr einen Streich. Es war eine Musik wie keine andere. Eine Musik, die sie nicht leicht einordnen konnte. Angespannt lauschend erkannte sie die Töne einer Flöte aus einer der Nebenwohnungen, die umfächelt von lauer Morgenluft immer wieder zu ihr rüber drangen und schleichend um sie herum ertönten. Sie schloss ihre müden Augen und ließ sich davon verzaubern. Je mehr sie hörte, desto intensiver spürte sie, wie ein kleines Feuer in ihrem Herzen zum Leben erwachte und langsam im ganzen Körper wohltuende Wärme ausströmte. Die betörende Weise berührte etwas in ihr. Es überkam sie eine nie gekannte tiefe innere Ruhe, die sie nicht genau zu beschreiben vermochte und die weder die Musik eines Beethovens, eines Mozarts noch eines Brahms hervorrufen konnte. Die unnachahmliche schwebende Klangschönheit entrückte sie gänzlich der Gegenwart und allem Irdischen. Es schien, als würde sich ein Fenster öffnen, das sie in eine andere Welt führte, sie im Kreis empor wirbelte, immer höher, hinauf in eine unerreichbare ätherische Weite, wo Menschen wirklich erfahren, was Glück und Harmonie bedeutete.

      Sie konnte es nicht erklären, aber sie fühlte, dass diese melodiösen Töne an sie persönlich gerichtet gewesen waren.

      Langsam wiegten sie sie in einen wohltuenden und unendlich tiefen Schlaf.

      Der Schlüssel zum Glück

      Sie hämmerte mit einem hübschen Klopfer gegen die Tür, erst langsam dann energisch und nach einer Weile ertönten ohne Hast Schritte auf der anderen Seite. Ein junger Bursche in einem einheimischen Gewand öffnete die Tür, lächelte schüchtern und führte sie in ein rundes Wohnzimmer. Ein vom Boden bis zur Decke reichendes Panoramafenster bot ihr einen herrlichen Blick auf die weite, blaue Fläche des Nil.

      Laura verschlug es fast den Atem, als sie den Nil in seiner ganzen Pracht vor ihren Augen sah. Das Haus war von einem wunderschönen, weitläufigen und sonnigen Garten umgeben, in dem Palmen und Mangobäume Schatten spendeten.

      Die scheinbar unberührte Natur mit ihrer unbeschreiblichen exotischen Faszinationskraft war atemberaubend schön. Der Duft von Rosen erfüllte die Luft. Zahlreiche Blumengirlanden schmückten die Wände. Die Weintrauben hingen prall und saftig an den Reben. Granatapfel, Avocado, Mango und viele verschiedene Früchte wuchsen in friedlichem Durcheinander. Die Felder, von denen ein würziger Duft aufstieg, waren mit einem satten Grün überzogen. Überall erstreckten sich weitläufige Rasenflächen, auf denen Schafe grasten. Im Schatten der Oliven-, Granatapfelbäume und der Palmen, die sich schlank und elegant erhoben, rasteten die Fellahs und die Hirten der Zeit unbekümmert. Die entschwundene Vorwelt war da, an Schönheit nicht zu übertreffen.

      In der Ferne erkannte Laura die Sphinx, die plattnasig unbeirrt in die Zukunft schaute. Selbst Napoleons mächtige Kanonenschläge schienen ihr nichts Großes angehabt zu haben. Am Ende, dort wo Horizont und Himmel verschmolzen, ragten die Pyramiden stolz und zusammenhaltend auf.

      Laura folgte dem Jungen, durch mehrere Räume, die mit überquellenden Bücherborden zugestellt waren. Während ihr Blick rasch über die Möbelstücke streifte, fand sie Vieles, das sie beeindruckte und in Erstaunen versetzte. Der klassische, viktorianische und geschmackvolle Einrichtungsstil verriet eine feine Kultiviertheit des Besitzers. Zwischen farbenfrohen Gemälden spielte das Grammophon Carmena Borana und sorgte für eine musikalische Untermalung. Die Wirkung war bestechend.

      Der Junge führte sie in ein großes Arbeitszimmer mit prall gefüllten Bücherregalen, in denen Bände von Nachschlagwerken und leicht angestaubte Karten lagen. Ein ergrauter Mann mit Halbbrille, Mitte Siebzig, saß am Tisch, auf dem eine Menge rätselhafter Pläne lagen. Er erklärte und skizzierte auf einem Block einen Plan, während junge Praktikanten und Assistenten im Halbkreis um ihn herumsaßen und aufmerksam zuhörten. Er entsprach ungefähr der Vorstellung, die sie sich von ihm ausgemalt hatte. Seine Haare und seine um die Augen herumliegenden feinen Fältchen verliehen ihm die Ausstrahlung einer wissenschaftlichen Autorität und das Aussehen eines erfahrenen Professors, der seine Arbeit zu lieben schien.

      Als Laura hereinkam, blickte er sich über den Rand seiner Halbbrille hinweg um und winkte sie herbei. Ohne seine Erklärungen zu unterbrechen, holte er mit dem Arm aus und deutete durch ein Zeichen an, dass sie schnell Platz nehmen soll, um an einer Sensation teilzunehmen, während einer seiner Assistenten ihm gerade einige Akten auf den Tisch legte.

      Professor Sander war firm und sachkundig in seinem Fachgebiet und kannte sich erwartungsgemäß in der Szene gut aus. Es schien kein Thema zu geben, über das er nichts zu sagen hatte. Er verfügte über ein umfangreiches Wissen. Archäologie war nur eines seiner zahlreichen Wissensgebiete. Denn er war darüber hinaus ein vielseitiger und auf allen Gebieten der Ägyptologie und Orientalistik tätiger Gelehrter. Er liebte seine Arbeit leidenschaftlich und ging erstaunlich fürsorglich mit seinen Studenten um. Er hegte großes Interesse für ihre Ausbildung und all ihre Fragen. Die Ausbildung des Nachwuchses und die Förderung ihrer Kreativität waren ihm ein Anliegen von eminenter Bedeutung.

      Er setzte großes Vertrauen in sie und führte sie geschickt in die Geheimnisse der ägyptischen Archäologie ein. Das war eine der Ursachen, weshalb sie wiederum solch liebevolle Verehrung und die herzlichste Hochachtung für ihn hegten und weshalb die Zahl der Praktikanten aus aller Welt von Jahr zu Jahr wuchs.

      „Die Archäologie“, sagte er voller Zuversicht „benötigt in nächster Zukunft viele begabte und findige junge Wissenschaftler“. Es ist bei weitem noch nicht alles erforscht. Vieles liegt noch im Verborgenen. Auch heute werden immer wieder neue Königsgräber entdeckt und die Fundamente von verloren geglaubten Pyramiden wiedergefunden. Der ägyptische Boden wird bei einigen Generationen von Archäologen für viele Überraschungen sorgen.

      Es herrschte Ruhe, während er einen Blick auf die Akten warf. Die blauen Augen verengten sich plötzlich zu zwei schmalen Schlitzen, als täte die Schrift in den Augen weh.

      Hastig rückte er seine Brille zurecht und sagte voller Stolz:

      „So wie es den Anschein hat, haben wir es endlich Mal mit einer Sensation zu tun!“

      „Seht euch das gut an!“, sagte er fast außer sich vor Begeisterung, „Was für ein Gewinn! Es ist, wenn ich es in ein einziges Wort fassen soll, Wahnsinn!“

      Ein Hauch von Bewunderung hatte sich auf das Flüstern der Studenten gelegt. Dann folgten erstaunte Ohs und Rufe der Erleichterung.

      Es ging um eine der spektakulärsten Fahndungsaktionen der letzten Jahrzehnte. Gestern war der Ermittlungsgruppe „Wüstenfuchs“ der europäischen Kriminalpolizei (EKP) ein Erfolg gelungen. Hochwertige archäologische Fundstücke in ungewöhnlicher Menge und von einem enormen Schwarzmarktwert haben Zollfahnder am Frankfurter Flughafen entdeckt. Sie wurden vorerst in einer Lagerhalle sichergestellt. Die langwierigen Ermittlungen hatten einen Hehlerring ausgehoben, der seit Jahren in ganz großem Stil gestohlene archäologische Funde angekauft hatte. Die Ermittler sprachen von hochrangigen Persönlichkeiten, die als Kopf dieses großangelegten Ringes gelten. Bei dem Einsatz wurden zwei Prominente festgenommen. Gegen weitere Tatverdächtige erging Haftbefehl. Die Arbeit der Ermittler war noch nicht beendet. Man könne davon ausgehen, dass der Täterkreis noch größer als anfangs angenommen war. Professor Sander vermutete, dass es sich bei den jetzigen Festgenommenen um die Spitze eines Eisberges handelte. Dank der guten internationalen Zusammenarbeit konnten nicht nur zahlreiche Fundstücke gesichert, sondern zugleich die Route des international organisierten Schmuggels archäologischer Fundstücke festgemacht


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