Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
an Bord waren natürlich die Händler. Ich verkaufte meine Schlange für 80 Mark und meinen Affen für 40 Mark. An den beiden Tieren hatte ich 110 Mark verdient, das war vielleicht ein Geschäft!
Nun musterte ich wieder ab, und mein nächster Weg führte mich wie immer nach Cranz. Schönes Geld hatte ich verdient, und das Goldgeld sah auch viel wertvoller aus, man konnte so schön damit klimpern. Ich hatte zwar an Heuer nur 264 Mark verdient, fühlte mich aber reich. Mein Vater holte mich am Cranzer Dampfer ab und war ausnahmsweise einmal sehr spendabel, er gab einen Grog aus. So etwas wurde früher besonders hoch angerechnet. Ich war sehr stolz, mit meinem Vater zusammen im Gasthaus zu sitzen und Grog zu trinken. Nach dieser Reise folgte wieder ein unfreiwilliger Heimaturlaub, denn man streikte mal zur Abwechslung wieder und zwar sechs Wochen lang, aber auch diese Zeit ging vorüber, und ich musterte bei Laisz an.
Vollmatrose auf der "PAMELIA"
PAMELIA nannte sich das Schiff, 3.000 Tonnen Ladefähigkeit hatte es. Es war als Bark getakelt, d. h. zwei volle Masten mit Rahsegeln und ein Mast mit Gaffelsegel. Am 21. Juli 1898 erfolgte die Anmusterung als Vollmatrose mit 60 Mark Heuer im Monat. Unser Schiff hatte 24 Mann Besatzung und fuhr nach Santos (Brasilien). Nun hieß es wieder von Hamburg Abschied nehmen, und am 26. Juli passierten wir Dover. Im Kanal hatten wir Gegenwind, und im Atlantik waren die ersten Tage stürmisch, und dauernd mussten die Segel los- und festgemacht werden. Unser Kapitän war dazu noch ein sehr unfreundlicher, herrischer Mann und bei der Besatzung denkbar unbeliebt. Das Essen ließ zu wünschen übrig, also schmeckte die Arbeit auch nicht. Fünf neue Täuflinge hatten wir am Äquator, die Taufe war für die, die diese Prozedur schon kannten, immer wieder eine Gaudi.
Am 10. September erreichten wir Santos, und dort mussten wir acht Tage bleiben, weil wir das Entladen nur mit eigenen Leuten schaffen mussten, außerdem waren noch drei Mann ausgerückt, denen es an Bord nicht mehr gefiel. Der Kapitän war darüber schrecklich aufgeregt, setzte Himmel und Hölle und die Polizei in Bewegung, um die Ausreißer wieder einzufangen. Nach fünf Tagen hatte die Polizei die Ausreißer auch tatsächlich in Sao Paulo, einer deutschen Siedlung in der Nähe von Santos, aufgegriffen und an Bord gebracht. Das Donnerwetter war nicht von schlechten Eltern, aber die Leute waren zu verstehen, denn an Bord war es wirklich fast nicht auszuhalten.
Damals war Sao Paulo eine Siedlung von 3.000 Einwohnern, heute ist Sao Paulo eine Großstadt. Von deutschen Familien wurde ich oftmals eingeladen. Sie holten mich dann mit Pferden ab, bis zur Siedlung musste man dann noch 30 Kilometer reiten. Das Essen bei den Siedlern war nach dem ewigen Schlangenfraß an Bord geradezu ein Festgeschenk, und ich langte feste zu. Die Ansiedler mochten mich wohl gerne leiden, sie versuchten wenigstens, mich zu überreden, bei ihnen zu bleiben. Sie versprachen sogar, mich zu verstecken. In den schönsten Farben malten sie mir die Zukunft aus, aber ich konnte mich doch nicht entschließen, meine geliebten Schiffsplanken zu verlassen. Auf der PAMELIA brauchte ich ja auf Dauer nicht zu bleiben. Die Siedler bedauerten meinen Entschluss sehr, mir fiel der Abschied von ihnen gar nicht leicht, aber ich war nun einmal Seemann. Wer weiß, vielleicht hätte ich wirklich dort einmal mein Glück machen können, denn die Stadt hatte in den darauffolgenden Jahren einen enormen Aufstieg.
Mit Sandballast und einer Ladung Mate setzten wir unsere Reise fort und waren am 28. September in Valparaiso. Die See war gut, und so kamen wir schnell bis Kap Horn. Da es Frühling war, hatten wir meistens gutes Wetter und konnten innerhalb der Falklandinseln gehen und dadurch einen ziemlichen Weg abschneiden. Kap Horn passierten wir am 13. Oktober 1898 bei ganz klarem Wetter, es war das einzige Mal, dass ich Kap Horn richtig gesehen habe. Man bleibt sonst immer in ziemlich respektvollem Abstand von dieser berüchtigten Ecke. Der Kap-Horn-Fahrer sagt immer, wenn er gut ums Kap Horn kommt, hat er Glück gehabt oder der liebe Gott hat geholfen. Der Wind war südlich, und so segelten wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Kilometern nach Valparaiso, wo wir am 24. Oktober eintrafen.
Iquique, das 830 Seemeilen weiter war, mussten wir auch noch anlaufen. Unser Schiff wurde dort zwischen all den großen Schiffen im Hafen vertaut, vorne beide Anker ausgeworfen und hinten an einer Boje festgemacht. 18 Schiffe aller Nationen waren im Hafen, um Salpeter zu laden, denn etwas anderes gab es dort nicht. Bis zum 10. Dezember 1898 dauerte es, bis wir unser Schiff beladen hatten, denn es waren zu viele Schiffe da, da hieß es Schlange stehen.
Das Auslaufen aus dem Hafen von Iquique beschrieb ich schon einmal, und so wurden wir auch dieses Mal mit drei Hurras auf die Reise geschickt, eine Reise, die für uns immer die schönste war, denn es ging Kurs Heimat und in diesem Fall sogar direkt nach Hamburg. Genau am heiligen Abend passierten wir Kap Horn, der Wettergott bescherte uns einigermaßen gutes Wetter (es war dort gerade Sommerzeit), und so konnten wir das Christfest mit Kaffee und Kuchen, den wir „Panzerplatten“ nannten, feiern. Zum Abschluss spendierte der Kapitän wahrhaftig noch einen Grog. Er hatte auch wohl so etwas wie Weihnachtsstimmung, sonst hätte das bestimmt nicht passieren können. Sogar das Essen war in diesen Tagen bedeutend besser als gewöhnlich, es gab für jeden Mann ein halbes Pfund Schinken, Kekse aus Dosen und Butterkuchen. Den aber verstand der Koch nicht zu backen, es wurden immer wieder Panzerplatten. Silvester um 24 Uhr gab es Punsch und wieder brach ein neues Jahr an, eines von den vielen meiner langen Fahrenszeit.
So langsam mussten wir daran denken, unser Schiff wieder auf Hochglanz zu polieren. Da wurden die Farbtöpfe herausgeholt, denn auf der Elbe musste das Schiff wie eine Luxusjacht aussehen. Den Äquator hatten wir schon hinter uns gelassen, am 24. März 1899 passierten wir Lizard, die SW-Ecke Englands. Zwei Tage vor Lizard kletterten wir schon auf den höchsten Mast (60 Meter hoch), um auszugucken, ob bereits Land in Sicht sei. Wer zuerst Land sah, bekam ein paar Schnäpse. Auf einmal schrie einer: "Land in Sicht". Endlich mal wieder Land zu sehen, das war schon ein Erlebnis. Am 2. April 1899 waren wir glücklich wieder in Hamburg, und Hannes musterte so schnell wie möglich ab, mit 450 Mark Heuer in der Tasche. In Cranz wurde ich schon erwartet, aber ein Seemann kann nicht lange rasten und lange an Land zu bleiben ist nicht Seemannsart.
Mit Passagieren nach Levante
Also musterte ich wieder auf einem anderen Schiff an. Es war die "PERA", ein Fracht- und Passagierdampfer, der 80 Fahrgäste mitnehmen konnte und Tourenfahrten nach der Levante machte. 60 Passagiere fuhren mit, als am 26. April 1899 die Reise losging. Das Wetter war gut und die Gäste guter Laune, in der Hauptsache deshalb, weil sie noch nicht seekrank waren. Der Dampfer lief bei gutem Wetter 13 bis 14 Kilometer, das war in der damaligen Zeit eine sehr große Fahrt.
Am 28. April kamen wir in Le Havre an. Früh um sechs Uhr kam dann die schwarze Gang an Bord. Schwarze Gang war ein anderer Name für den Zoll, der ja bei Auslandsreisenden ein ungern gesehener Gast ist. Sie fanden aber nichts, vielleicht waren aber auch die Verstecke zu gut, wer kann das heute noch wissen. Das meiste unserer Ladung war für Griechenland bestimmt und zwar für Patras, Korinth, Piräus, Athen und Saloniki, der Rest der Ladung ging nach Smyrna und Konstantinopel, Rumänien, Konstanza, Odessa und Batum. Das Schiff war wunderbar eingerichtet und damals eines der besten Schiffe Deutschlands. Bei Kap Finistere und Gibraltar wurden Flaggensignale gegeben, die Nachrichten wurden dann an die Reederei weitergeleitet. Drahtlose Telegrafie gab es ja an Bord noch nicht, heute ist das alles selbstverständlich.
Am 12. Mai 1899 waren wir dann in der Nähe von Algier, zwei Tage später sahen wir Malta, und da es gerade Tag wurde, konnten wir die Insel gut sehen. Die Passagiere waren natürlich alle an Deck, sie wollten für ihr Geld auch etwas haben. Wir fuhren deshalb auch ganz dicht an Malta vorbei. Durch den griechischen Archipel ging die Fahrt dann weiter, und abends waren wir in Patraa. Einen Tag hatten wir dort Aufenthalt, durch den Kanal von Korinth dampften wir nach Korinth. Der Kanal ist an einigen Stellen so eng, dass sich zwei Schiffe nicht begegnen können. Dass aus Korinth die Korinthen kommen, weiß inzwischen wohl jedes Kind, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass wir dort Korinthen und Rosinen als Ladung übernahmen. Die Gegend ist wunderschön, und da wir an einem Sonntag dort waren, hatten wir auch Gelegenheit, mal an Land zu gehen und einen Ausflug in die Umgebung zu machen. Mit einem Eselsgespann kamen wir wieder zurück, übrigens wurde die Ladung auch mit Eselgespannen an Bord gebracht.
Die Fahrt ging