Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski

Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute - Jürgen Ruszkowski


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einem begegnen kann. Die Häute wurden im Raum verstaut und dann mit Pökel übergossen. Unser Arbeitszeug war nach einer solchen Beladung vollkommen unbrauchbar geworden und Hände und Füße von der Salzlake aufgerissen. Nach getaner Arbeit sprang man erst einmal über Bord, um das quälende Brennen an Händen und Füßen loszuwerden, aber eine reine Freude war das auch nicht, denn im Wasser konnte man Überraschungen erleben. Ich machte eines Tages die unliebsame Bekanntschaft mit einer "Seeschlange". Wir nannten die Dinger so, es sind wohl die Zitteraale gewesen, bei deren Berührung man einen ziemlichen elektrischen Schlag bekommt. Ich spürte die Berührung noch tagelang hinterher, musste auch einige Tage das Bett hüten, weil ich Fieber von der Berührung bekommen hatte.

      In der Nähe von Paysandu war eine deutsch-schweizerische Ansiedlung, wo ungefähr 200 Menschen lebten, die Ziegenzucht betrieben. Es gab dort wohl einige Tausende von Ziegen. Fruchtbares Weideland verschaffte ihnen so einigen Wohlstand. Wir wurden oft von den Siedlern eingeladen. Sie holten uns am Schiff mit ungesattelten Pferden ab. Es hieß draufsteigen, und los ging es im Galopp. So habe ich dann auch reiten gelernt. Ziegenmilch konnten wir trinken, soviel wir wollten. In Schläuchen gaben sie uns noch Milch mit an Bord. Drei Wochen lagen wir da, und es war eine schöne Zeit, bis es eines Tages plötzlich so unsichtig wurde, es sah aus, als wälzten sich dicke Wolkenberge heran. Uns war ganz komisch zumute, und wir konnten es uns nicht erklären, bis dann in der sich verdunkelnden Sonne klar wurde, dass ein Heuschreckenschwarm von erschreckendem Ausmaß über unser Schiff hinweg auf die Siedlung zukam. Jedes Insekt war etwa fünf Zentimeter lang. Es regnete förmlich in Strömen Heuschrecken. Alles, aber auch alles, was gewachsen war, wurde in ganz kurzer Frist von den Tieren aufgefressen, kein Halm blieb stehen. Die ganze Siedlung war damit vernichtet, denn es gab kein Futter mehr für die vielen Ziegen. Bei uns an Deck lagen die Insekten zehn Zentimeter hoch. Die Siedler hatten im Nu alles verloren, was sie sich in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatten. Sie mussten alles verlassen und weiterziehen. Uns fiel der Abschied von den lieben Menschen sehr schwer, aber helfen konnten wir ja auch nicht. 20 Ziegen brachten die Siedler uns noch an Bord, damit wir auf der Reise Frischfleisch hatten. Wenn wir dann irgendwo flussabwärts eine fruchtbare Gegend passierten, kletterten wir an Land, um uns Futter für unsere Milchspender zu besorgen.

      In Buenos Aires besorgte unser Kapitän erst einmal Frischproviant, denn nun sollte die Heimreise angetreten werden mit dem ersten Anlaufhafen Antwerpen. Am 12. Oktober segelten wir über den Ozean der Heimat zu. Über zwei Jahre war ich nun schon unterwegs, und aus dem kleinen Schiffsjungen war inzwischen ein kräftiger Kerl geworden. Die Reise lief auch gut an, mit der Verpflegung waren wir die drei ersten Wochen auch zufrieden, denn der frische Proviant schmeckte natürlich gut. Leider hielt er nicht länger vor, denn Kühlschränke gab es ja noch nicht, und nach drei Wochen mussten wir dann doch wieder nach altem Rezept den eisernen Bestand verbrauchen. Dann sah unser Menü so aus:

      montags – Erbsen mit Salzfleisch

      dienstags – Salzfleisch mit Bohnen

      mittwochs – Salzfleisch mit Erbsen

      donnerstags – Konservenfleisch (genannt "tote Franzosen")

      freitags – Salzspeck mit Bohnen

      sonnabends – Pflaumensuppe mit Stockfisch

      sonntags – "Tote Franzosen" mit getrockneten Kartoffeln.

      Der Stockfisch vom Freitag musste am Tag vorher erst mit einem Holzhammer bearbeitet werden, damit er einigermaßen weich wurde. Das Brot war von der langen Reise inzwischen Hartbrot geworden, und wenn man es morgens essen wollte, musste man es erst ausklopfen, damit die unzähligen Kakerlaken herausfielen.

      Am 23. November 1896 sahen wir dann zum ersten Mal wieder Land, und bald waren wir im englischen Kanal. Durch die Nordsee hatten wir guten Wind, am 2. Dezember erreichten wir Vlissingen und am 3. Dezember Antwerpen. Auf den frischen Proviant freuten wir uns im Augenblick am meisten. Wir fielen darüber her wie die Wölfe und konnten nicht genug davon bekommen.

      Am nächsten Tag, d. h. abends, ging es an Land. Wir hatten alle Vorschuss bekommen und hatten somit Geld in der Tasche. Das erste Ziel war das "Siebenmädelhaus", das einige der älteren Besatzungsmitglieder schon kannten. Es war eine kleine Wirtschaft, und der Wirt hatte sieben Töchter, eine schöner als die andere. Da wurde dann gezecht, getanzt und gesungen, und wir Seeleute waren natürlich ausgelassen wie noch nie, denn wir hatten endlich wieder Land unter den Füßen. Um Mitternacht war für uns viel zu früh Feierabend, und wir konnten am nächsten Tag die Zeit nicht abzuwarten, bis wir unsere Heuer wieder ins "Siebenmädelhaus" tragen konnten. Man muss die Freizeit im Hafen ja auch ausnutzen, das ist nun mal Seemannsbrauch.

      Für meine weitere Zukunft hatte ich mir schon einen schönen Plan zurechtgelegt. Ich wollte nämlich als Matrose auf einem englischen Vollschiff anmustern, hauptsächlich, um dort die englische Sprache richtig zu erlernen. Als ich aber meinen Kapitän von diesem Plan unterrichtete, war er empört und wollte erst einmal mit meinem Vater darüber sprechen. Telefon gab es noch nicht, also musste erst einmal hin und her geschrieben werden. Mein Vater verlangte, ich solle erst einmal nach Hause kommen. Meine Enttäuschung war groß, aber das Machtwort des Vaters musste respektiert werden. Da aber das Schiff nicht nach Hamburg fuhr, wurde der Sohn per Bahn nach Hause verfrachtet.

       Wieder daheim

      Die Freude, alle meine Angehörigen nach so langer Zeit wieder zu sehen, war dann aber auch groß, denn ich war immerhin 30 Monate nicht mehr zu Hause gewesen. Die erste Nacht konnte ich nicht einschlafen, und ich sagte meiner Mutter, sie müsse erst einmal ein paar Eimer Wasser gegen das Fenster schütten, damit ich das Gefühl hätte, noch auf dem Schiff zu sein. Die ganze Familie freute sich, dass ich zum Weihnachtsfest zu Hause sein konnte, und ich fand es auch schön. In Cranz war großer Silvesterball, den ich natürlich nicht versäumen durfte. All die kleinen Mädels, die ich noch von der Schulbank her kannte, freuten sich, dass sie mit dem weitgereisten Hannes tanzen konnten. Sie wunderten sich, dass ich tanzen konnte und wollten unbedingt wissen, wo ich es gelernt habe.

      So verging die Zeit bei Muttern ganz zufriedenstellend, aber es zog mich wieder in die weite Welt. Ich suchte mir ein Schiff, wo ich als Matrose anmustern konnte, schon wegen der Heuer, da gab es nämlich den enormen Verdienst von 45 Mark monatlich. Aber ich hatte kein Glück, denn es brach ein Streik aus, und so musste ich notgedrungen noch zu Hause bleiben, denn als Streikbrecher wollte ich auch nicht gerne fahren.

      Es war damals ein ganz besonders strenger Winter. Este und Elbe waren zugefroren, und man konnte ganz bis nach Blankenese rüberlaufen. Um sich die Zeit zu vertreiben, legten wir wieder wie früher Quabbenangeln aus, denn ganz ohne Beschäftigung konnte man doch nicht sein. Als aber Ende Februar der Streik zu Ende war, ging ich sofort zu unserem Heuerbaas und musterte am 1. März 1897 auf der „THEKLA“, dem größten Segelschiff, das wir in Deutschland hatten an. Die Reise ging zur Westküste Südamerikas, um Kap Horn herum.

       Auf See zu neuen Ufern

      Die Thekla war ein Vollschiff, d.h. ein Schiff mit drei voll getakelten Masten, die 60 Meter hoch waren. Sie konnte 4000 Tonnen laden und hatte 42 Mann Besatzung. Am 4. März 1897 ging die Reise los, zwei Schlepper zogen die THEKLA elbabwärts. Wir machten gute Fahrt durch die Nordsee und passierten am 6. März Dover. Bei der Insel Wright drehte der Wind, wir mussten drei Tage auf der Stelle kreuzen und kamen nicht weiter. In Cardiff wurden wir am 16. März von zwei Schleppern an unseren Liegeplatz gebracht. Wie immer folgte die übliche Zollrevision, aber es wurde selbst nach vierstündigem Suchen nichts gefunden, und das Schiff wurde freigegeben.

      Zwölf Tage dauerte es, bis wir unsere Ladung gepresster Kohle an Bord hatten, dann reisten wir weiter durch den Bristolkanal in den Atlantik. Bei gutem Wetter machten wir eine prima Fahrt, zeitweise 17 Knoten, also mehr, als unsere größten Passagierdampfer leisten konnten. Zur Ruhe kamen wir nicht viel, und unsere Arbeitszeit dauerte 14 bis 16 Stunden am Tag. Heute würden sich die Leute schönstens bedanken, wenn man ihnen solche Arbeitszeiten zumuten würde, dabei wurden Überstunden nicht etwa besonders vergütet. Als wir in der Nähe des Äquators waren, bemerkte der Kapitän, dass das Schiff ziemlich steif war, d. h. wir hatten zu viel Ladung im Unterraum. 200 Tonnen Kohlen mussten wir nun aus dem Unterraum ins Zwischendeck bringen,


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