Requiem für West-Berlin. Reginald Rosenfeldt

Requiem für West-Berlin - Reginald Rosenfeldt


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und deshalb gab er die erste Runde lieber selber aus. Geschickt schnippte er die Karten neben die bereitliegenden Brieftaschen und fächerte dann vorsichtig sein Blatt auseinander. Zwei Neunen lächelten ihm verheißungsvoll entgegen, und damit hatte er sich endgültig einen etwas kräftigeren Schluck verdient.

      Das Pils war dank der Balkonlagerung immer noch eiskalt, die Glücksgöttin schien ihm tatsächlich gewogen zu sein, und überhaupt verlief der Abend bisher weitaus besser, als es Kalle befürchtet hatte. Ganz wieder der alte Bruder Leichtfuß, knallte er die Karten auf den Tisch, und präsentierte sie großspurig den Genossen, die tatsächlich nicht mithalten konnten.

      Ihr triumphierend eingestrichenes Geld stärkte Kalles angeknackstes Selbstbewusstsein mächtig, und als er auch noch die nächsten Spiele wie im Rausch gewann, vergaß er endgültig jede Vorsicht. Angeberisch und schwadronierend, reizte er die Partien bis zum Äußersten aus, und ehe er sich versah, war sein Gewinn wie ein Eis am Stil geschmolzen.

      Die verbliebenen Scheine deckten gerade noch die unbeglichenen Schulden, und Horst, der das befriedigt registrierte, bemerkte süffisant: „Das war`s alter Freund, Klappe zu, Affe tot, Ofen endgültig aus! Aber sei nicht traurig, wenn Du die Penunse gleich rüber rückst, kommst Du mit einem blauen Auge davon.“

      Horst Szymanek deutete verächtlich auf den Stapel abgegriffener Geldscheine. „Nun mach schon Sputnik, ist doch nur bedrucktes Papier, also her damit, und dann, see you later Alligator, bis zum nächsten Mal!“

      „Das glaubst Du doch selber nicht!“

      „Ach Kalle, man kann nie wissen!“ In aller Ruhe begann Horst die Banknoten nach ihrem Wert zu sortieren. Mit dem fertigen Packen klopfte er zweimal auf den Tisch, und hielt dann mitten in der Bewegung inne, so als wenn ihn plötzlich ein flüchtiger Einfall erleuchtet hätte. „Für Dich arme Sau ist das ja wirklich eine Menge Kohle. Da muss ein alter Mann schon lange für ackern.“

      Szymanek legte das Geld wieder zurück auf den Tisch und schürzte nachdenklich die Lippen. „Okay, Du hast eine zweite Chance verdient! Ich kann doch nicht einen gewieften Zocker wie Dich, bis aufs Hemd ausplündern! Deshalb Sputnik, alter Raumfahrer, alles wieder auf Anfang, Doppelt oder nichts, frisch nach dem Motto: Wer wagt, gewinnt…“

      Das tückische Angebot begleitete Horst mit einer vielsagenden Handbewegung. „Ich weiß, ich weiß, sag nichts, neulich hat Dich das Glück wirklich nicht geküsst, aber das ändert sich ja vielleicht schon heute Nacht.“

      Auf die Frechheit hin sparte sich Urban zwar die Antwort, aber da er aus den Missgeschicken seines Lebens immer noch nichts gelernt hatte, forderte er Paul auf, endlich zu geben. Der ließ sich natürlich nicht zweimal bitten und schon starrte Kalle der Wahrheit ins Gesicht. Zwei Königinnen verspotteten ihn schamlos, zwei rote, völlig wertlose Schlampen!

      Der erneut gedemütigte Mann fühlte wie ihm der Angstschweiß auszubrechen begann. Panik würgte ihn, und seine Stimme schnappte vor Erregung fast über, als er brüllte: „Noch eine! Gib schon, Du Penner!“

      Der derart beschimpfte überhörte die Beleidigung mit der Nachsicht eines großen Geistes und spielte gelassen die gewünschte Karte aus. Direkt vor den zwei Verräterinnen kam sie zur Ruhe, unschuldig und adrett wie ein frisch bepflanztes Grab. Hübsch anzusehen, mit der Ausstrahlung einer geladenen Pistole, die es galt abzufeuern, sie umzuwenden, und Oh lala, danebengeschossen, die Zielscheibe entpuppte sich als eine Fahrkarte ins Verderben. Auf ihrer Oberfläche grinste spöttisch eine Pik Drei. Eine Kalle endgültig vernichtende, jämmerliche schwarze Drei! „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Soviel unglaubliches Pech konnte ein einzelner Mensch doch gar nicht haben!

      „So eine verdammte Kacke!“ Der wütende Ausbruch beeindruckte den roten Horst nicht im Geringsten. Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck beugte er sich vor und flüsterte: „Sputnik, begreife es doch endlich! Nicht die Karten haben Dich reingeritten, sondern Deine eigene Dämlichkeit! Du baust nur Mist, allein in den letzten Monaten haben sie Dich auf vier verschiedenen Baustellen gefeuert, die BVG hast Du beschissen, und Deine kümmerliche Penunse verschwendest Du für bescheuerte Bilderheftchen.“

      „Na und? Was wisst Ihr denn schon, ihr lest ja keine Piccolos! Ihr kennt Tibor und Falk doch gar nicht!“ Kalles übereifrige Verteidigung übertönte ein brüllendes Gelächter, dem sich selbst Horst nicht entziehen konnte. Die gute Stimmung kippte allerdings etwas, als Kalle den ihm gegenübersitzenden Genossen mit einem Schlag vom Stuhl fegte und damit seinen Standpunkt unmissverständlich bekräftigte.

      Sichtlich vorsichtiger geworden, unterdrückte Szymanek nun jede weitere, die Situation weiter aufheizende Bemerkung, und kassierte erst einmal das Geld ein. Dann befreite er quasi als Friedensangebot ein Pils von seinem Kronkorken und reichte es Kalle. Ihm zuprostend, nahm er das unterbrochene Gespräch wieder auf und versuchte dabei nicht provozierend zu klingen. „Kalle, Kalle! Du bist manchmal wirklich dämlicher als die Polizei es erlaubt. Dämlich, aber auch überaus hartnäckig!“

      In einer abwehrenden Geste hob Szymanek beide Hände und lächelte begütigend. „So bist Du halt, da kann man nichts machen. Ein bisschen zu Gut für diese Welt, aber andererseits auch ein Mann der Tat. Ein Kerl der das Herz auf dem richtigen Fleck hat, und so einen können wir gut gebrauchen. Glaube mir!“

      „Wer wir?“ Verwirrt verzog Kalle das Gesicht, doch ehe er noch über den tieferen Sinn der Worte nachgrübeln konnte, unterbreitete ihm schon Szymanek ein überraschendes Angebot. „Pass mal auf, ich vergesse jetzt einfach das verdammte Geld, wenn Du mir etwas zur Hand gehst. Leih mir einfach Deine starken Fäuste, und Deine, na sagen wir mal, speziellen Talente für eine kleine Gefälligkeit, einen Freundschaftsdienst unter alten Bekannten.“

      „Ach nee…“ Kalle spannte unwillkürlich die Muskeln an, denn das Gespräch bewegte sich nun in ihm vertrauten Sphären. „Du willst ein Ding drehen? Echt jetzt?“

      „Nenne es wie Du willst! Ich brauche dringend einen Profi, einen Könner, für den auch ein Extrabonus herausspringt! Also, keine Schulden mehr und dafür auch noch fette Kohle bar auf die Kralle!“

      Ja, einen solchen Vorschlag verstand Kalle durchaus, aber leider kam er von einem Mann dem er keinen Zentimeter weit traute. Szymanek, die rote Sau, hatte bisher noch jeden ins offene Messer laufen lassen, wenn es seiner kranken Ideologie irgendwie diente. Dies bedenkend, und sich dabei mächtig schlau vorkommend, leerte Kalle erst einmal das Glas und murmelte dann doch seine Zustimmung. Dabei sprach er so undeutlich, dass es Horst nicht unterlassen konnte, süffisant nachzufragen: „Was nun, ist das jetzt Dein Okay? Entschuldige, aber im Augenblick ist die Akustik ein bisschen schlecht.“

      „Ja, verdammt noch mal! Ihr könnt voll und ganz auf mich zählen!“

      „Werden wir, Sputnik, werden wir, keine Angst, ich steh zu meinem Wort.“ Horst unterließ es vorsichtshalber Kalle die Hand zur Bekräftigung ihres Deals zu schütteln, denn er kannte aus schmerzlicher Erfahrung dessen mörderischen Griff. Stattdessen lockte er lieber mit einem weiteren Trumpf: „Noch eines, diesmal ist es wirklich nur eine kleine Gefälligkeit. Aber wenn Du sie zufriedenstellend erledigst, warten ein paar dickere Dinger auf Dich. Denk mal drüber nach. Und nun…“

      Szymanek erhob sich und öffnete die Tür des überheizten Raumes, „Es ist höchste Zeit, dass Du nach Hause kommst, und Dich ausschläfst. Ich will nicht, dass Du mies drauf bist, wenn wir Dich brauchen.“

      „Du kannst mich mal gerne haben!“ Karl verließ ohne ein weiteres Wort, leicht schwankend die Wohnung. Hinter ihm knallte die Eingangstür zu, dann ertönte im Treppenhaus das Klicken eines mehrmals kräftig gedrückten Lichtschalters, dem sich das Poltern schwerer Schritte anschloss.

      „Was für ein Riesenarschloch“, murmelte Szymanek angewidert, und begab sich auf den Balkon. Fröstelnd lehnte er sich gegen den zugeschneiten Blumenkasten und blickte auf den Bürgersteig hinab. Direkt unter ihm wankte gerade der angeschlagene Riese über die zugefrorenen Pflastersteine, schüttelte sich, und entschwand im Zwielicht der nach dem Cherusker benannten Straße. Für einen Moment geisterte noch sein Schatten durch den Lichtkreis einer Gaslaterne, dann herrschte wieder die gespenstische Stille der vom Winter schon zu lange belagerten Stadt. Die verfluchte,


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