Requiem für West-Berlin. Reginald Rosenfeldt

Requiem für West-Berlin - Reginald Rosenfeldt


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Hornbrillen und unübersehbaren Wohlstandsbäuchen. Dunkle Filzhütte mit schmaler Krempe krönten die einem deutschen Komiker frappierend ähnlichsehenden Gestalten, und zwischen ihnen flanierte das deutsche Fräuleinwunder. Die langbeinigen Blondinen mit den hochtoupierten Brigitte Bardot Frisuren überprüften routiniert ihr Spiegelbild in der Glasscheibe, während hinter ihren schlanken Figuren das Heer der unvermeidlichen Blechkäfer die Joachimstaler Straße verstopfte.

      VW, BMW, Mercedes, großzügige Geschenke des deutschen Wirtschaftswunders an die Welt; amüsiert löste Trend den Blick von der rastlosen Karawane und studierte die unmittelbare Umgebung. Trotz des Vormittags füllte die Bierstube schon eine ansehnliche Gästeschar, die bereits einen beängstigenden Geräuschpegel erreicht hatte. Das ständige Gebrabbel übertönte selbst die Gespräche der unmittelbaren Nachbartische, doch erfreulicherweise schien sich niemand daran zu stören.

      „Hier kümmert sich jeder nur um seinen eigenen Kram!“ Der V-Mann legte endlich den Löffel zur Seite und beugte sich etwas vor. „Spaß beiseite, lassen sie mich gleich eines klarstellen, ich kommuniziere nur mit Ihnen persönlich; wenn Sie Ihre smarten Freunde mit ins Boot bringen, ist das Geschäft geplatzt! Also, keine Agenturen, welchen Couleurs auch immer, only you and I, advanced information’s just for cash!”

      „So ist es gedacht.“ Trend zündete sich nun doch eine Camel an und blies den Rauch höflicherweise in die andere Richtung. „Das liebe ich so an euch Deutschen. Ihr kommt immer direkt auf den Punkt, ohne jedes Vorgeplänkel! Klar und deutlich, einfach preußisch.“

      „Nicht doch, Preußen habt ihr uns gründlich ausgetrieben, jetzt regiert hier wie überall auf der Welt der Yankee-Doodle. Da muss man sich halt anpassen.“

      „Darin ward Ihr schon immer sehr fix.“ Trend ersparte sich jeden weiteren Kommentar der ihm noch auf der Zunge lag, und erklärte in einem bewusst geschäftsmäßigen Ton: „Also, zurück zum Procedere. Die Berichte sind allein mir zugänglich, es wird weder offizielle Akten noch Quellenangaben geben, keine Memos oder Einbeziehung Dritter, only need to know Basis!“

      „Allright, Business as usual! OK, jetzt müssen Sie mich nur noch davon überzeugen, dass sich der Deal auch lohnt.“ Der Mann rieb in einer bezeichnenden Geste Daumen und Zeigefinger aneinander. „Bedenken Sie mein erhebliches Risiko…“

      Die arrogante Geste entlockte Trend ein schmales Lächeln, und er sah für einen Moment vor sich, wie der schäbige Kerl heimlich Akten und Karteikarten kopierte. Wahrscheinlich arbeitete er im Polizeipräsidium oder in der Senatsverwaltung; auf alle Fälle saß er direkt an der Quelle und seine Beute verkaufte er an den Meistbietenden. Der Typ war nichts anderes als ein mieser Verräter, ein schmutziges, aber notwendiges Werkzeug, das er ohne Reue jederzeit fallen lassen würde.

      Trend drückte die Zigarette aus, und zog aus dem neben der Menage stehenden Plastikständer einen Bierdeckel. Auf den Rand schrieb er mit seinem Lamy eine Zahl und schob das Angebot über den Tisch. Die offerierte Summe schien dem V-Mann durchaus angemessen zu erscheinen, denn er nickte unmerklich, und stellte lakonisch fest: „In Ordnung! Das ist zumindest eine Verhandlungsbasis.“

      „Schön, dass wir uns einig sind. Deshalb, jetzt konkret, die Bezahlung richtet sich jeweils nach dem Wert der Informationen, und in speziellen Fällen ist ein Extrabonus mit drin.“

      „Davon gehe ich doch aus, es erwartet Sie schließlich Premiumqualität.“

      „Gut, das zu hören!“ Trend sah förmlich, wie es hinter der Stirn des Spitzels zu arbeiten begann. Zweifellos stellte er sich immer wieder jene Frage, die ihn bestimmt schon seit Stunden quälte.

      „Welche speziellen Informationen erwartet der Ami überhaupt von mir?“ Der smarte Bursche lieferte bis jetzt keinen einzigen Hinweis auf seine Intentionen, aber das ändert sich sicher bald. Und bis dahin muss Mr. Cool eben mit nichtklassifizierten, irrelevanten Daten gefüttert werden.

      Seine Überlegungen in die Tat umsetzend, wischte sich der Spitzel einen Krümel von der Lippe, und deutete auf die Tageszeitung. „Haben Sie die Überschriften gesehen? Nein, wirklich nicht? Also, ich verstehe einfach nicht euren jungen Präsidenten, wie kann der sich nur so in die Nesseln setzen?“

      Trend sparte sich jede Erwiderung und sein Gegenüber begann nun ein harmloses Gespräch, in dem er sich dem Sport, der aus seiner Sicht anscheinend nur aus Fußball bestand, und der grauen Welt im Allgemeinen widmete. Zwischen den vielen Worten lauerten versteckte Anspielungen, die wohl einen Vorgeschmack auf das angeblich so spektakuläre Material bieten sollten, das für Trend aber bereits zum belanglosen Datenmüll gehörte. Die geheimen Briefkästen und Kurierrouten verstaubten seit Monaten in seinen Akten, und das galt auch für die Kampfübungen der roten Brigaden in den NVA Ausbildungslagern.

      Dementsprechend unbeeindruckt, nahm Trend die Informationen mit einem mechanischen Lächeln entgegen, und erst als die sinnlose Litanei sich immer mehr in abstrusen Details verlor, beschloss er die Notbremse zu ziehen. Mit einem gedämpften Knall landete seine flache Hand auf dem Tisch, und nach einem Blick auf die anderen, ihn völlig ignorierenden Gäste, drohte seine befehlsgewohnte Stimme: „Schluss jetzt! Das ist doch alles Dreck von Vorgestern, drehen Sie den gefälligst Ihren eigenen Leuten an! Die schlucken das bestimmt brav hinunter, zumindest solange, bis sie erfahren welchen Mist sie für ihr teures Geld erhalten.“

      Wie es Trend nicht anders erwartet hatte, tangierte die unverhüllte Drohung den Spitzel nicht im Geringsten. Unbeeindruckt konterte er erstaunlich leise: „Schon gut, beenden wir die Spielchen! Sie benötigen exklusive Informationen? Dann lassen Sie gefälligst die Katze aus dem Sack!“

      Mit dem Statement hatte der Kontaktmann unmissverständlich seinen Standpunkt klargestellt. Gelassen wartete er nun darauf, dass endlich die knallende Peitsche gegen das Zuckerbrot ausgetauscht wurde, und Trend enttäuschte ihn nicht. Eine Sonderprovision in Aussicht stellend, präzisierte er seine Forderungen: „Um es auf den Punkt zu bringen! Mich interessiert nicht die kommunistische Maschine im Allgemeinen, sondern eine spezielle Killerbrigade. Liefern Sie mir jedes noch so unwichtige Detail über die sauberen Genossen, wasserdicht verpackt, mit allen Extras!“

      „No problem, mein Service umfasst das gesamte Programm: Alle Decknamen, plus den realen Identitäten, plus den Organisationsstrukturen, plus den konspirativen Treffpunkten, und natürlich, die obligatorischen Basics.“

      „Bullshit! Vergessen Sie den anonymen Kram! Ich will die Brigade Herrmann! Auf einem silbernen Tablett, und durchgecheckt bis zum kommunistischen Urgroßvater mütterlicherseits!“

      „Herrmann?“ Für den Bruchteil einer Sekunde tickte das rechte Augenlid des V-Mannes nervös hinter der Metallbrille. Trend, der das erfreut zur Kenntnis nahm, lächelte ihm begütigend zu. „Aber, aber! Der Auftrag muss Ihnen doch leicht fallen, schließlich spielen Sie seit Jahren den Judas in Herrmanns kleiner Laienschar.“

      Trend erhob sich und während er den Mantel zuknöpfte, fügte er süffisant hinzu: Dachten Sie wirklich, die Agentur weiß das nicht?“

      „Ich bitte Sie, warum hat mich wohl sonst Ihr reizendes Fräulein kontaktiert? Schöne Grüße übrigens…“

      „Die bestelle ich doch gerne!“ In aller Ruhe steckte Trend die Camel und das Zippo ein und musterte unauffällig sein Gegenüber. Wie ein Röntgenstrahl glitt sein Blick über die untersetzte Gestalt, registrierte die auffällige Narbe auf dem linken Handrücken, das billige Kassengestell, die streng zurückgekämmten, sandfarbenen Haare. Alles in allem, saß vor ihm ein braver Wohlstandsbürger, der, nicht anders als die meisten Deutschen, die Vergangenheit einfach wie eine zerschlissene Schlangenhaut abgestreift hatte.

      Trend schlug den Mantelkragen hoch und präzisierte noch einmal seine Order: „Ich erwarte die ersten Daten akkurat in fünf Tagen. Gleiche Uhrzeit, aber diesmal im Aschinger Neukölln. Akzeptiert?“

      „Was immer Sie sagen!“ Ein unverschämtes Grinsen spielte um die Mundwinkel des Spitzels, als er scheinheilig hinzufügte: „Na, das geschäftliche haben wir ja nun hinreichend geklärt. Wie wäre es, wenn Sie jetzt ein „Helles“ spendieren?“

      Auf so viel Dreistigkeit sparte sich Trend die


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