Requiem für West-Berlin. Reginald Rosenfeldt

Requiem für West-Berlin - Reginald Rosenfeldt


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seines jugendlichen Aussehens hatte er bestimmt schon den vierzigsten Geburtstag gefeiert.

      Der derart taxierte Mann schlug inzwischen den Kragen seines dunkelblauen Wollmantels hoch und stieg vorsichtig die glatten Metallstufen der Gangway hinab. An ihrem Fuß knotete er den locker gebundenen Schal etwas fester, und folgte den vorangegangenen Passagieren durch den Hangar. Die Halle galt zusammen mit dem restlichen Flughafenkomplex für einige Zeit als das größte Gebäude der Welt, und an ihrer Längswand führte eine Steintreppe zur Passkontrolle empor, an der sich aber nur die Transitreisenden ausweisen mussten.

      Der Amerikaner reihte sich hinter die vier Herren ein, die genau wie er in Frankfurt umgestiegen waren, und legte schon nach wenigen Minuten seine Papiere auf den niedrigen Tresen.

      „Herr Trend?“ Der Zollbeamte blickte mit einem unverbindlichen Lächeln hoch. „Sie sind Vertreter für Landwirtschaftliche Maschinen?“

      „Für Traktoren“, verbesserte Trend den Uniformierten. „Ich stelle den neuen Fordson Super Dexta ab Freitag am Funkturm vor.“

      „Ach ja, die „Grüne Woche“, unsere große alljährliche Landwirtschafts-Messe.“ Der Beamte klappte den Pass zu und musterte fragend Trends Aktenkoffer. „Na, mit dem werden Sie ja wohl keinen Trecker nach Berlin schmuggeln wollen?“

      „Der rollt mit der Reichsbahn durch die Zone.“ Trend grinste anzüglich. „Hoffentlich kopieren ihn nicht gleich die Kollegen von der anderen Seite.“

      „Die benutzen nur Fabrikate von ihrem großen sozialistischen Brudervolk.“ Der Zöllner reichte die Papiere zurück und Trend schritt nun durch ein Labyrinth schmuckloser Gänge zur Haupthalle des Flughafens. Die Kassettendecke des gewaltigen Raumes hatten die Alliierten nach dem Krieg tiefer setzen lassen, um den einschüchternden Eindruck der Naziarchitektur etwas abzumildern, und an der Stirnwand hing statt der Swastika ein Symbol des deutschen Wirtschaftswunders.

      Trend ignorierte die Stahlwerbung und stellte sich an die Gepäckausgabe. Das Fließband durchschnitt die Mitte der Halle, und sein Koffer erschien erfreulicherweise als einer der Ersten. Erfreut hob Trend das schwere Stück vom Band und begab sich zum Ausgang.

      Doch bereits nach wenigen Metern trat ein Zivilist an ihn heran, der bisher gelangweilt die Auslagen des Reiseartikelshops betrachtet hatte. Der Mann in dem grünen Cord-Blouson schien sich das ihm ausgehändigte Foto gut eingeprägt zu haben, und auch ansonsten sein Metier zu beherrschen, denn er fragte leise: „Herr Trend?“

      Kein Mister, oder schlimmer noch, Captain Trend, sondern einfach nur ein unauffälliges „Herr“! Very good, das Headquarter hatte einen gewieften deutschen Fahrer geschickt, und Trend folgte ihm zum Parkplatz, wo sie ein dunkelgrauer Mercedes-Benz 300 S erwartete.

      Der schlaksige junge Mann verstaute das Gepäck im Kofferraum und verkündete dann nach einem langen Seitenblick auf die wenigen Passanten: „Ick könnte jetzt, wenn Sie och so weit sind?“

      Trend nickte nur, und nachdem sie eingestiegen waren, zückte der Deutsche seinen Spezialausweis. Das Dokument schien korrekt zu sein, und Trend reichte es mit einem feinen Lächeln zurück. „Danke, Herr Krause. Sie glauben gar nicht wie erfrischend es ist, sich endlich wieder mit einem echten Berliner zu unterhalten. Euer trockener Humor hat mir in Ramstein oft gefehlt.“

      „Dett globe ick gerne! Die Air Base liegt ja im tiefsten Wessi-Land und denen kannste selbst im loofen die Schuhe besohlen.“ Krause grinste frech. „Und bitte, wenn et Ihnen nicht jeniert, für Sie bin ick einfach nur Ulli.“

      „So wollen wir es halten, Ulli.“ Trend machte eine auffordernde Handbewegung und Ulli Krause startete den Motor. Routiniert fädelte er sich in den spärlichen Verkehr ein, während Trend neugierig das Halbrund des Flughafengebäudes musterte. Flüchtig betrachtet, hatte sich seit seinem letzten Besuch im Mai 1946 nicht viel verändert, wenn er einmal davon absah, dass der steinerne Reichsadler jetzt von einer futuristischen Radarantenne ersetzt wurde. Die weiße Kugel auf dem Hallendach war ein wichtiger Bestandteil des amerikanischen Flugüberwachungssystems und für Trend vertrat sie genauso die Präsenz seiner Heimat wie die überall geparkten Straßenkreuzer. Die größtenteils zum Verkauf angebotenen Chevys und Cadillacs warteten geduldig auf neustationierte Soldiers und zwischen den Wagen hockten die eigenwilligen Umrisse der allgegenwärtigen Käfer.

      „German cars“, dachte Trend und blickte unwillkürlich auf den Stern am Kühler des Dienstwagens. Der Mercedes Benz unterschied sich doch erheblich von dem treuen Willys MB, mit dem er vor siebzehn Jahren den Flugplatz verlassen hatte. Damals chauffierte er den Jeep mit widerstrebenden Gefühlen um die leere Fläche, auf der sich heutzutage das Luftbrückendenkmal erhob. Die riesige Betonkralle bestand im Wesentlichen aus drei nach Westen gerichteten, abgerundeten Pfeilern, die unübersehbar die drei Luftkorridore symbolisierten.

      „Ditt is dett Denkmal für eure Rosinenbomberpiloten!“ Krause wandte nicht den Blick von dem vor ihm fahrenden Opel Kadett. „Wissen se wie wir Berliner ditt Ding nennen?“ Trend schüttelte verneinend den Kopf und Ulli verkündet stolz: „Die Hungerharke!“

      „Fantastisch! Ihr verliert selbst in diesen schwierigen Zeiten nicht den Humor!“

      „Wat bleibt uns och anderes übrig!“ Trend nickte anerkennend und zog eine Packung US-Camel aus der Manteltasche. Ohne zu fragen, klopfte er zwei filterlose Zigaretten aus dem Zellophan, zündete sie an, und reichte eine Krause. Dann lehnte er sich zurück und betrachtete schweigend die vorbeigleitende Stadt. Fast in jeder Straße sah er die Resultate hektischer Bautätigkeit. Die von den Flammen des Krieges graugeschwärzten Fassaden waren größtenteils schon frisch verputzt und auf den letzten Ruinengrundstücken wuchsen schmucklose Neubauten dem Himmel entgegen.

      Aber trotz der enormen Aufbruchsstimmung, die Trend fast körperlich zu spüren vermeinte, bemerkte er in den Gesichtern der vorbeihastenden Menschen auch eine unbestimmbare Traurigkeit. Jene überspielte, trotzige Melancholie, der er bisher nur in belagerten Städten begegnet war, und die ihn gegen seinen Willen flüstern lies: „Frontstadt-Blues.“

      „Doch nich bei uns, Chef! Der Insulaner verliert die Ruhe nich!“ Krause grinste schief. „Schließlich hat niemand vor eine Mauer zu bauen!“ Ulbrichts traurige Lüge imitierte er im besten sächsisch und ballte die linke Faust zum kommunistischen Gruß. „Ditt is nach der Blockade jetzt dett zweitemal, dass die uns rankriegen wollen, wird Zeit dett euer J.F.K. endlich zu uns steht!“

      „Der Präsident hat West-Berlin nicht vergessen!“

      „Na, wollen war`s hoffen! Immerhin sind wir die Speerspitze im jroßen Agentenpoker!“ Trend deutete mit einer unmerklichen Kopfbewegung erneut seine Zustimmung an, da Krauses Bemerkung durchaus den Tatsachen entsprach. In West-Berlin operierten tatsächlich alle im Ausland agierenden US-Dienste, denn die ummauerte Stadt war die einzige freie Insel in einem tiefroten Meer. Ein exklusiver Horchposten, der dank der Abhöranlage auf dem Teufelsberg, illegalen Spionageflügen, und einem Heer von informellen Mitarbeitern den kommunistischen Sattelitenstaaten pausenlos auf die Finger sah.

      Den größten Teil der ziemlich unverschleierten Aktivitäten koordinierte das amerikanische Hauptquartier, das neben den jeweiligen Dienststellen auch die teuerste Telefonabhörzentrale Berlins, schalldichte Verhörräume und mit dem „Out Post“ sogar ein eigenes Kino besaß. Trend kannte das in Dahlem liegende Gelände allerdings nur vom Hörensagen, und so beobachtete er weiter aufmerksam die vorbeigleitende Stadt

      Krause, der seinen Blick allerdings missverstand, versuchte ihn zu beruhigen: „Ein bisschen dauert`s noch, die versprochene Stadtautobahn is nur auf dem Papier fertig, und durch die normalen Straßen… na, Sie sehen`s ja selber!“

      „Schon gut, Ulli. Die warten nicht unbedingt auf mich.“ Trend hatte es wirklich nicht besonders eilig nach Dahlem zu kommen. Der Bezirk befand sich im Süden der Stadt, und zählte zu den sogenannten vornehmeren Gegenden. Das für die Weddinger Arbeiter und die Kreuzberger Intelektuellen eher negativ belegte Image, verdankte Dahlem seinen größtenteils von Villen und Privatgrundstücken geprägten Straßenzügen.

      Zu dem gutbürgerlichen Stadtbild gesellte sich auch der Campus der Freien Universität und


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