Requiem für West-Berlin. Reginald Rosenfeldt

Requiem für West-Berlin - Reginald Rosenfeldt


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in den zweiten Clubsessel setzte, bestand Trends erster Eindruck aus einem Paar übereinandergeschlagener, wohlgeformter Beine. Erfreut wollte er die Zivilistin etwas intensiver betrachten, doch de Lisle ließ ihm dazu keine Zeit. „Ich darf Sie mit Captain Jeffrey Archer, unserem Kontaktmann zu den Streitkräften, bekanntmachen.“

      „Captain, Es ist mir eine Ehre.“ Die Haltung des baumlangen Offiziers war tadellos, seine Uniform korrekt, und dennoch erinnerte er Trend unwillkürlich an das verhasste Klischee des typischen Amerikaners: Ein viel zu groß geratener Junge, der tapfer einen Cowboy imitierte und dabei nur zufällig unter die Erwachsenen geraten war.

      Trend wusste aus den in Frankfurt studierten Akten, dass Archer seinen 32. Geburtstag im letzten Oktober gefeiert hatte, und 83 Kilo bei 1,94 Meter Körpergröße wog. Seine athletische Gestalt krönte ein hellblonder Bürstenschnitt, den die spöttischen Berliner „Koreapeitsche“ zu nennen pflegten, und unter den militärisch kurzgeschnittenen Stoppeln verbreitete ein permanent lächelnder Mund Optimismus. Als Archer sich dann auch noch zu einer stereotypen Begrüßungsformel bequemte, erklang ein weicher Südstaatenakzent: „Schön Sie hier zu haben, Captain Trend. Wir können jeden zusätzlichen Mann gut gebrauchen, unsere Freunde auf der anderen Seite der Mauer sind in letzter Zeit unerfreulich aktiv geworden.“

      „Genau dasselbe habe ich mir beim Flug über die Sowjetzone auch gedacht. Es tummeln sich einfach zu viele rote Haie vor unseren Stränden.“ John Trend ergriff die ihm entgegengestreckte Hand und erwiderte ihren kräftigen Druck mit etwas mehr Kraft als er normalerweise einzusetzen pflegte.

      Major De Lisle, der das instinktive, gegenseitige Abtasten sehr wohl bemerkt hatte, hüstelte dezent, und nachdem er so erneut die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Beteiligten besaß, blickte er die gelassen abwartende Frau an. „Miss Fisher, ich möchte Ihnen Captain Trend vorstellen. Captain, das ist Miss Fisher, unser Verbindungsoffizier zu den West-Berliner Behörden. Egal, mit welchen Problemen sie von den pedantischen Deutschen auch in Zukunft gequält werden, wenden Sie sich vertrauensvoll an Miss Fisher, ihre Kontakte sind einfach unglaublich.“

      „Gut, das zu hören, darauf komme ich doch gerne zurück! Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit, Frau Fisher.“

      „Susan! Nennen Sie mich einfach Susan! Mit Miss Fisher redet mich nur der Major an!“

      „Dann wollen wir es so halten, Susan.“ Trend schüttelte vorsichtig die ihm dargebotene Hand und betrachtete dabei unauffällig sein attraktives Gegenüber. Susan Fisher besaß eine zierliche, aber gutproportionierte Figur, die ihr enges Kostüm bestens zur Geltung brachte. Eine zweireihige Perlenkette umschmeichelte die schlanke Säule ihres Halses und die rötlich schimmernde Haarpracht trug sie in einem kinnlangen Schnitt mit Außenwelle. Die dezente Frisur umrahmte ein herzförmiges Gesicht, in dem ein grünes Augenpaar amüsiert funkelte.

      Lächelnd, und ohne verlegen zu wirken, glitt Susans herausfordernder Blick sekundenlang über Trend hinweg, ohne dass er ihr das Resultat der Begutachtung anmerken konnte. „Noch einmal, willkommen in Berlin Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich vielleicht etwas erfrischen wollen, bevor Sie sich durch die trockenen Aktenberge wühlen.“

      Mit einer anmutigen Drehung ihres Kopfes wandte sich Susan an de Lisle. „Major, da ich letztendlich für die Wohnung des Captains verantwortlich bin, würde ich ihn gerne begleiten und mich höchstpersönlich davon überzeugen, dass Sergeant Carter alle Aufträge korrekt erledigt hat.“

      „Gewiss, gewiss, eine gute Idee, machen Sie es so.“ Der Major schien mit seinen Gedanken schon in höheren geistigen Sphären zu weilen, denn er nickte Trend nur kurz zu, ohne ihn noch wirklich wahrzunehmen. „Also denn, Welcome, wir sehen uns, sobald Sie sich eingerichtet haben.“

      In de Lisles Bariton schwang unüberhörbar der Befehl zum Verlassen des Büros mit, und seine Crew befolgte ihn umgehend. Archer öffnete die Tür, und Susan und Trend schritten an ihm vorbei in den Vorraum. Neben dem Schreibtisch der Ordonanz blieb die junge Frau stehen und schenkte Trend ein aufmunterndes Lächeln. „Keine Angst, wir haben es nicht weit. Die für Sie bereitgestellte Wohnung liegt nur wenige Fahrminuten von hier entfernt, sie ist leider nichts besonderes, eine möblierte Unterkunft eben, aber dennoch Ihre eigene Privatsphäre.“ Susan räusperte sich verlegen. „Ich denke, sie wird ihnen gefallen.“

      „Da bin ich mir absolut sicher!“ John Trend rückte mit dem Zeigefinger seine Brille zurecht, bedachte Captain Archer mit einem neutralen Blick, und folgte dann ohne zu zögern Susans klackenden Schritten in die beginnende Dämmerung.

      3.

      Kalle Sputnik saß im Hinterzimmer des „Schwarzen Kater“ und spielte 17 + 4, oder wie es die Amis nannten: Black Jack. Im Gegensatz zur offiziellen Variante drosch er sein Blatt aber ohne einen „Bankhalter“, und ließ auch ansonsten nur die eigenen, vor Jahren aufgestellten Regeln gelten. Schweiß und verschüttetes Bier verklebten die Karten in seiner Hand, und der Austragungsort der Partie war nicht weniger deprimierend. Neben dem Kachelofen stapelten sich Schultheiss-Bierkästen, die knarrenden Stühle hatten selbst die bangen Bombennächte überlebt, und auch der restliche Raum wirkte genauso schäbig wie die hier versammelten Individuen.

      Die fünf Schwachköpfe machten es Urban nun auch wirklich leicht. Behäbig, und entsetzlich umständlich kämpften sie sich durch die lächerlichen Runden, und erinnerten den gewieften Zocker dabei immer mehr an die drei kleinen Schweinchen. Die Vorbilder der infantilen Menagerie tummelten sich auf den Seiten der Micky Maus-Hefte, und insbesondere Kuliecke und seine Saufkumpane ähnelten frappierend den tollpatschigen Borstentieren.

      Der fette Kuliecke hielt sich nämlich genau wie eines der Comicgeschöpfe für besonders schlau und ausgebufft. Dabei erstarrte sein feistes Gesicht immer dann, wenn es richtig brenzlig wurde, zu einem panischen Pokerface, das Kalle förmlich entgegenschrie: „Die Karten haben mich am Arsch!“

      Kulieckes Kumpel vom Bau, der blöde Petersen, konnte seine Gefühle allerdings noch weniger gut verbergen, denn bei jeder aufgenommenen Lusche verzog er unwillig den Mund, oder knallte wütend die Karten auf den Tisch. Die drei restlichen Mitspieler verhielten sich dagegen den Umständen entsprechend, und nicht nur deshalb betrachtete sie Kalle als bloße Staffage für seine glückliche Hand.

      Rainer, der dürre, kettenrauchende Gardinenverkäufer aus dem Hertie in der Karl-Marx-Straße besaß das sorglose Gemüt von Schweinchen Fiedler, und die beiden senilen Rentner imitierten mit ihrem schrillen Gezänk zweifellos A- und B-Hörnchen. Die stetige Kabbelei hinderte sie aber nicht daran, unverdrossen weiterzuspielen und vor allem brav ihre anwachsenden Schulden zu begleichen.

      Ja, dieser Abend verwöhnte Karl Urban. Neben seiner rechten Hand stapelte sich das gewonnene Geld, und vor ihm wartete eine Flasche „Mampe Halb und Halb“. Den an ihrem Hals baumelnden kleinen Elefanten hatte er schon eingesteckt, denn die vierjährige Tochter seiner Nachbarin sammelte leidenschaftlich die weißen Plastiktiere.

      „Auf Fortuna, Jungs! Irgendwann küsst sie auch Euch, also runter mit der Plörre.“ Gutgelaunt prostete Kalle mit dem Magenbitter in die Runde und setzte zufrieden das Glas ab. So gut wie heute war es schon lange nicht mehr gelaufen, er hatte eine unglaubliche Glückssträhne, was konnte da noch schiefgehen?

      „Na, Urban, zockst Du wieder Deine Kumpels ab?“ Die heisere Stimme durchtrennte wie ein rostiges Messer Kalles dumpfe Wolke aus Selbsttäuschung und übersteigertem Ego. Unwillig blickte er auf und bemerkte erst jetzt, dass ein Neuankömmling den Raum betreten hatte.

      Den untersetzten Mann wärmte ein dunkelblauer Caban, auf dem der Schnee feuchte Flecke hinterlassen hatte, und seinen Kopf schützte eine Pudelmütze, die er gerade bedächtig abnahm. Unter der wollenen Mütze kam eine dichte Haarmähne zum Vorschein, die ihn zusammen mit dem ungepflegten Schnauzbart eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem jungen Stalin verlieh.

      Genau wie auf den noch vor zehn Jahren in der DDR aufgestellten Bannern, dominierte das scheinbar sympathische Gesicht ein eingefrorenes väterliches Lächeln, dessen Verlogenheit Karl Urban nicht zum ersten Mal bis aufs Blut reizte.

      „Szymanek, Du rote Sau, Dich haben Sie


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