"Blutige Rochade". Thomas Helm


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      Da gab es noch die zweite Kategorie von Franzosen, die er aufwendig recherchierend für seine Dienste gefunden hatte. Die aber präsentierten sich aus anderem Holz geschnitzt.

       Einige waren radikal politisch motiviert. Die meisten hingegen halfen ihm aus purem geschäftlichem Kalkül heraus, um für ihn unerlässliche Brücken zu bauen.

       Auf diese Menschen setzte er jetzt seine Hoffnungen.

      Dennoch konnte und wollte er die Augen nicht vor einem anderen, wenn auch geringen Risiko verschließen.

      Oberst Führmann hatte sich stets mit dem beruflichen Vorleben seiner Mitarbeiter beschäftigt. Vor allen mit den von ihnen absolvierten Einsätzen im NSW. Das tat er mit jedem, bevor er ihn zur »Flamme« holte.

       Seiner tiefgründigen Kenntnis über die bisherigen Tätigkeiten seiner Mitarbeiter waren jedoch Grenzen gesetzt.

      Es lag wohl in der Natur der Sache, dass sich im Ministerium die Abteilungen weitestgehend voneinander abschotteten. Wobei die HVA sich trefflich hervortat.

       Das resultierte bei den meisten Bereichen vorgeblich aus der »proletarischen Wachsamkeit«. Die aber im Grunde genommen zumeist nur ein zutiefst egoistisches Erfolgsstreben bemäntelte.

       Daher flossen an andere Abteilungen nur so viele Informationen, wie es die Erfüllung einer Aufgabe unbedingt erforderte.

       Das betraf vorrangig die Daten von Mitarbeitern, die zuvor bereits an heiklen Aktionen mitgewirkt hatten.

       So etwa an »Aktiven Maßnahmen« in NATO-Staaten.

      »Die Wichser machen schon wieder dicht!«, schrie Führmann eines Tages, wie er sich erinnerte. Der Oberst schäumte nahezu vor Wut, da ihm eine andere Abteilung das angeforderte Datenmaterial vorenthielt.

      Nach einem Blick auf die Uhr ließ sich Bauerfeind von der hübschen, schwarzhaarigen Bedienung einen zweiten Kaffee bringen.

       Er benötigte noch etwas mehr Zeit für seine Überlegungen.

      Sein Partner bei den Einsätzen in Frankreich hieß Erich Ehlert. Ein eigenwilliger Typ, Mitte der Dreißig, Raucher und Trinker. Doch aus den Erfahrungen dieses bulligen Gemütsmenschen zog er hohen Nutzen.

      In Paris arbeiteten beide nicht gemeinsam, sondern parallel und mit unterschiedlichen Aufgaben. Ihre enge Verbindung, die ungeachtet dessen entstand, war nicht nur ungewöhnlich. Sie hätte ihnen schaden können! Denn als eiserne Regel galt immer, dass man im Ausland allein tätig war. Außer, dass man als Paar eingesetzt wurde.

      Dessen ungeachtet erwies ihm Ehlert einen unschätzbaren Dienst. Er beschaffte ihm einen zweiten französischen Pass samt Führerschein. Ebenso die passende Legende. »Damit bist du für alle kommenden Eventualitäten gewappnet!«, sagte der Rostocker bei der Übergabe der Papiere und grinste breit. »Behalte sie unter Verschluss und setzte sie nur bei Gefahr ein!«

      Er wusste von einem Vorkommnis in der HVA, wobei ein Mitarbeiter in Schweden aufgeflogen war. Und das nur, weil seine falsche Identität von seinem Partner verraten wurde. Woraufhin man ihn beim Grenzübertritt schnappte.

       Seit dem trug Ehlert bei seinen Einsätzen in Frankreich immer einen zweiten Satz Papiere bei sich. Die benutzte er bei den Kontrollen an den Grenzen. Von diesen Ausweisen wusste man in der HVA nichts. Er ließ sie in Lyon auf eigene Kappe anfertigen. Dafür nutzte der Rostocker einen seiner undurchsichtig wirkenden Kontakte. Den er ihm später selbst vermittelt hatte.

      Zu dieser Zeit kam in ihm kurz der Verdacht auf, dass Ehlert auf zwei Schultern trüge. Es tat sich in der Folge jedoch nichts, was es bestätigen konnte.

      Als ihn vor drei Tagen der Ruf aus Berlin erreichte, nahm er seine gefälschten französischen Papiere daheim aus dem Versteck. Die packte er ebenfalls in seinen Beutel. Bei den Erinnerungen an Ehlert, die in ihm dabei aufkamen, befiel ihn eine leise Traurigkeit.

      Keiner der Genossen in der HVA und später in der HA, durfte Kenntnis von ihrer freundschaftlichen Beziehung haben. Der Grund dafür lag nicht nur darin begründet, dass beide gegen die Regeln der Konspiration verstießen.

      Während ihrer Zeit in Paris erwies ihm Ehlert auch einen etwas ungewöhnlichen Dienst. Er nahm ihn in der ruchlosen Welt der sexuellen Verführungen unter seine Fittiche.

       Dabei machte er ihn eines Tages mit Susanna bekannt.

      Die schwarzhaarige, großäugige Tochter eines Franzosen und einer Marokkanerin empfing beide in ihrem Apartment. Das befand sich nahe dem Musée du Louvre.

       Der Anblick ihres biegsamen, schlanken Körpers erregte ihn bereits, als sie noch dieses lange, rote Kleid trug.

       Alle drei tranken Champagner, den er sich zuvor nie geleistet hatte.

       Niemals bisher erlebte er eine derart heißblütige Frau. Zumal gemeinsam mit einem anderen Mann.

       Indessen Susanna nackt auf ihm ritt bediente sie Ehlert, der dicht neben ihnen stand mit ihrem kirschroten Mund.

      Später besuchte er sie noch einige Male allein, zahlte stets den geforderten Preis. Was ihm davon blieb, waren die zugewonnenen Erfahrungen und Fertigkeiten, mit denen ein Mann eine Frau bis zur Ekstase befriedigen vermag.

      Die Verbindung mit Ehlert hielt er weiterhin geheim. Auch noch, nachdem der Freund vor mehr als einem Jahr über Großbritannien bei irgendeinem Einsatz tödlich verunglückte.

       Zuvor hatte er ihn nochmals im Ministerium getroffen, wo er aus der Ukraine kommend zum Rapport antreten musste. Er begegnete Ehlert zufällig auf dem Flur. Erstmals seit langer Zeit kreuzten sich dabei ihre Wege.

      Der frühere Partner schien in Eile zu sein. Nachdem er sich misstrauisch umgeschaut hatte, raunte er ihm nur einige Worte zu. »Ich muss weg, fliege morgen über den großen Teich! Doch ich melde mich bei dir, wenn ich zurück bin. Versprochen!« Dann war er weg.

      Am darauf folgenden Tag, dem einundzwanzigsten Dezember Achtundachtzig, explodierte eine Bombe an Bord einer Boeing 747-10 der Pan American World AW. Sie stürzte über Lockerbie in Schottland ab. 270 Menschen fanden den Tod.

       Befand sich Ehlert unter den Opfern? Auch, wenn er fraglos einen anderen Namen trug? Auf diese Frage gab es keine Antwort. Der Freund blieb spurlos verschwunden.

      Bauerfeind war zu einem Entschluss gekommen. Er zahlte, verließ das Café und fuhr in Richtung Stadtgrenze.

       Abendnachrichten

      Hinter dem Nachrichtensprecher hatte man ein Foto eingeblendet. Es zeigte ein Polizeifahrzeug auf einer verschneiten Straße. Davor konnte man zwei am Boden liegende, mit weißen Laken abgedeckte Personen erkennen.

      Der Moderator las vom Blatt: »Hier eine Meldung der Landespolizei aus dem Vorarlberg. Dort wurde heute am frühen Nachmittag, unweit von Feldkirch an der Straße Richtung Göfis, ein Polizeifahrzeug mit laufendem Motor aufgefunden. Neben dem Wägen lagen die Leichen von zwei Polizeibeamten. Diese hätten sich auf einer Dienstfahrt befunden.« Der Kommentator warf einen raschen Blick in die Kamera, bevor er weitersprach. »Die Landespolizei bildete sofort eine Sonderkommission zur Untersuchung dieser Bluttat. Was sich an dieser Straße abspielte, die zu dieser Jahreszeit wenig befahren wird, ist noch unbekannt. Zum Täter sowie zur Ursachen für die Gewalttat hat die Polizei noch keine Erkenntnisse. Gesichert ist nur, dass die Beamten aufgrund einer telefonischen Anzeige ausrückten. Dem gemäß soll in Göfis eine Familienstreitigkeit unter Alkoholeinfluss im Gange gewesen sein. «

      Ebenso, wie der Tankstellenpächter, starrte Bauerfeind interessiert auf den Fernseher. Der hing in Kopfhöhe hinter dem Verkaufstresen.

       Hastig würgte er das letzte Stück des belegten Brötchens herunter. Das hatte er hier zuvor gekauft, um es auch gleich zu essen.

       Obwohl in Eile, musste er vorhin einen kurzen Stopp einlegen. Plötzlich hatte ihn ein heftiges Hungergefühl befallen. Zudem fand er im Wagen nichts zum Trinken.

      Er nickte dem Pächter zu, nahm die Wasserflasche vom Stehtisch und verließ den hell erleuchteten Kundenraum.

       Draußen,


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