Maimorde. Angelika Godau
nie Kinder, du wolltest Karriere machen. Hat wohl auch nicht so geklappt hat, wie du gedacht hast, sonst hättest du deinen Job nicht einfach hingeschmissen. Jetzt geh unter die Dusche und sorg dafür, dass du zumindest heute Abend einigermaßen präsentabel aussiehst. Und noch was, solltest du dich betrinken und die Leute anpöbeln, werfe ich dich eigenhändig aus dem Haus. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!“
Carolin Kreutzer winkte ab, noch bevor ihre Schwiegertochter den Mund zu einer Erwiderung aufmachen konnte, drehte sich um und verließ den Raum. Vor der Tür blieb sie stehen, legte eine Hand auf ihr Herz und holte tief Luft. Das hatte verdammt gutgetan. Endlich hatte sie ausgesprochen, was sie schon lange dachte. Melanie war einfach nicht die passende Frau für ihren Sohn. Ja gut, sie war Juristin und einmal recht hübsch gewesen, aber sie kam aus keinem guten Stall, war labil und hatte nicht gelernt, sich in ihren Kreisen zu bewegen. Seit zehn Jahren jammerte sie über ihre Kinderlosigkeit und rannte von Arzt zu Arzt, wenn sie nicht gerade vollkommen betrunken im Bett lag. Roger war wirklich zu vielem bereit gewesen, hatte klaglos Spermatogramme machen lassen und seiner Frau bei diversen Inseminationen die Hand gehalten. Er hatte mit ihr gehofft und getrauert, wenn es wieder einmal nicht funktioniert hatte. Er war mit ihr sogar bis nach Amerika geflogen. Erst als sie begonnen hatte, immer obskurere Heiler aufzusuchen, Schamanen, Gesundbeter und Handaufleger, die alle nur an ihrem Geld interessiert waren, hatte er sich geweigert. Als sie begriff, dass sie ihn nicht mehr umstimmen konnte, hatte sie angefangen zu trinken. Erst nur hin und wieder, aber mittlerweile war sie selten ganz nüchtern. Sie ließ sich gehen, hatte weder ihre Zunge noch ihre Wortwahl unter Kontrolle und vergaß allzu oft, wo sie sich befand und wer sie war. Nein, sie würde Melanie keine Träne nachweinen, im Gegenteil, sie war entschlossen, ihren Sohn zu ermutigen, sich von ihr zu trennen. Die Peinlichkeiten und das Gerede wegen einer Scheidung waren in diesem Fall das kleinere Übel.
Melanie Kreutzer stand bewegungslos mitten im Raum und starrte ihrer Schwiegermutter nach. Die hatte sie in der Diele abgefangen, kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich derartige Vorwürfe anhören musste, aber so deutlich war sie noch nie geworden. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Flaschen in der Bar, riss sich zusammen und wandte sich ab. Langsam stieg sie die lange Wendeltreppe mit dem kostbaren, geschnitzten Geländer hoch und ging in ihr Zimmer.
Vor dem großen Spiegel ihres Kleiderschranks blieb sie stehen und betrachtete sich kritisch. Es stimmte, sie sah schlecht aus und ihre Haare brauchten dringend einen Friseur. Sie fuhr sich mit den Händen über die Hüften und dann über ihren Bauch, bevor sie sich seufzend auf das breite Bett fallen ließ, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und über ihre Situation nachdachte.
Ihre Schwiegermutter hatte keine Ahnung, die sah nur, was sie sehen wollte. Roger war nicht das Opfer, er war der Täter. Jahrelang hatte sie alles getan, um seinen immer zwanghafter werdenden Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Unzählige schmerzhafte, demütigende Untersuchungen und Eingriffe hatte sie über sich ergehen lassen. Sich immer öfter als Versagerin gefühlt, weil einfach nichts klappen wollte. Rogers Beitrag war dagegen lächerlich gewesen, auch wenn er sich von seinen Eltern wie ein Held feiern ließ.
Als sie ihn vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte, war es für sie die große Liebe gewesen. Dass seine Eltern, und dabei besonders Carolin, über seine Wahl alles andere als begeistert waren, hatte ihr Glück kaum getrübt. Kreutzers gehörten zu den reichsten Familien, der ansonsten eher armen Pfalz und vererbten ihr Vermögen von einer Generation zur nächsten. Für sie war es daher selbstverständlich, dass ihr ältester Sohn sich eine Frau suchen würde, deren Eltern das ebenso hielten. Umso entsetzter waren sie, als Roger ihnen ein Mädchen präsentierte, dessen Eltern geschieden waren und deren Mutter sich das Studium buchstäblich vom Munde abgespart hatte. Dass die angehende Schwiegertochter einen hervorragenden Abschluss vorweisen konnte und einer vielversprechenden Zukunft als Anwältin entgegensah, interessierte sie nicht sonderlich.
„Am Ende zählt nur, aus welchem Stall jemand kommt“, beendete ihr Schwiegervater jede Diskussion. Roger und sie hatten über derart antiquierte Ansichten gelacht, waren jung und zumindest ihr war Geld völlig egal gewesen. Sie hatten von einer gemeinsamen Kanzlei geträumt, vom eigenen Haus und waren sich ihrer ewig währenden Liebe sicher gewesen. Nächtelang konnten sie über Mandanten oder juristische Fragen fachsimpeln, sich zwischendurch lieben und danach weiter diskutieren. Oftmals bis zum Morgengrauen. Ob sie jemals über eigene Kinder gesprochen hatten, daran erinnerte sie sich nicht mehr, auch nicht, ob sie selbst den Wunsch nach Kindern gehabt hatte. Ihre eigene Kindheit war von der Enttäuschung der Mutter geprägt, die von ihrem Freund verlassen worden war, kaum dass er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Regelmäßig hatte sie darüber geklagt, wie schwer ihr Leben war, wie jeder Mann das Interesse an ihr verlor, nur weil sie ein Kind hatte. Daran erinnerte sie sich gut, und auch an das diffuse Gefühl von Schuld, so als könne sie etwas dafür, dass die Mutter unglücklich war. Trotzdem hätte sie sicherlich Kinder gewollt, irgendwann, aber erst nachdem sie sich als Anwältin einen Namen gemacht, mit Roger zusammen brisante Fälle bearbeitet hatte. Das erste Jahr ihrer Ehe war genauso verlaufen, wie sie es sich erträumt hatte, aber dann fragten seine Eltern immer öfter, wann es denn endlich so weit sei. Anfangs hatte Roger lachend erwidert, sie müssten noch etwas üben, aber irgendwann hatte auch er damit angefangen.
„Andere Frauen sind auch berufstätig und bekommen Kinder, das ist doch heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Meine Mutter ist da und wird dich sicher unterstützen. Ach komm, Melli, lass und ein Baby bekommen.“
Sie war dazu noch nicht bereit gewesen, und je mehr er sie bedrängte, umso weniger konnte sie es sich vorstellen. Ein Kind in die Welt zu setzen, um die Schwiegereltern zufrieden zu stellen, fand sie lächerlich. Sie war eine großartige Anwältin und plötzlich drehte sich die Welt nur noch darum, wann sie endlich schwanger wurde. Alles in ihr hatte sich dagegen gesträubt, und sie nahm heimlich weiterhin die Pille. Natürlich war es ihre Schwiegermutter gewesen, diese misstrauische, alte Hexe, die dahinterkam und umgehend ihren Sohn informierte. Anstatt sich darüber zu empören, dass seine Mutter in ihren Schubladen schnüffelte, war er nur sauer auf sie gewesen. Hinterhältigkeit, Berechnung und Karrieregeilheit hatte er ihr vorgeworfen. Aus rein egoistischen Motiven würde sie ihm das Recht, Vater zu werden, verweigern. Nicht einmal den beschissenen Hinweis, dass er genug Geld verdiente, um eine Familie ernähren zu können, hatte er sich verkniffen. Sie hatte sich nicht verteidigt, warum nur nicht? Warum hatte sie nicht ausgesprochen, wie anmaßend und unverschämt sie sein Verhalten fand? Weil er sie nicht verstanden hätte? Warum war hatte sie ihn nicht verlassen, irgendwo weit weg ein anderes, eigenes Leben begonnen. Sie hatte es nicht getan, weil sie ihn immer noch liebte und auch, weil irgendwo, ganz tief in ihrem Inneren eine Stimme ihm Recht gab.
Es war normal, dass er sich Kinder wünschte, es war die Bestimmung einer Frau Kinder zu bekommen, eine liebevolle Mutter zu sein, ihren Ehemann glücklich zu machen. Sie schämte sich, dass sie so egoistisch war, lieber ihrem Beruf nachgehen zu wollen. Wochenlang war er damals mit vorwurfsvoller Miene durchs Haus gelaufen, kaum dass er ein Wort mit ihr gewechselt hatte. Jeder ihrer Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen, wurde von ihm abgeblockt. Irgendwann hatte sie kapituliert, sich eingeredet, ein Kind müsse nicht das Ende ihrer Karriere bedeuten, ein Kind würde sie und Roger wieder näher zusammenbringen. Ihrer einzigen Bedingung, ein eigenes Haus, damit sie nicht länger mit den Schwiegereltern unter einem Dach leben mussten, hatte er sofort zugestimmt.
Fünf Jahre später wohnten sie immer noch zusammen und das eigene Haus war längst kein Thema mehr zwischen ihnen. Dafür umso öfter ihre Kinderlosigkeit. Anfangs war es nur eine leichte, allmonatliche Enttäuschung gewesen, aber nach und nach war ein Drama daraus geworden. Ihr Liebesleben, einst prickelnd und leidenschaftlich, wurde für ihn zur Manie und für sie zu einer lästigen Pflicht. Roger wollte nicht einsehen, dass man auch ohne Kinder ein glückliches Leben führen konnte. Jeder Versuch, mit ihm darüber zu reden, endete auf die gleiche Art.
„Du weißt doch genau, wie sehr ich mir ein Kind wünsche, und meine Eltern hätten so gern einen Enkel und späteren Erben für die Kanzlei. Bitte Melli, lass es uns weiter versuchen.“
Leider änderten die Besuche bei den verschiedensten Ärzten nichts, sie waren aus medizinischer Sicht beide gesund und gemeinsamen Kindern stand, außer der Tatsache, dass sie keine bekamen,