Maimorde. Angelika Godau

Maimorde - Angelika Godau


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ich glaube, dann klappt es eher.“

      Ihren Protest, dass sie gerne arbeitete, ihr der Job Freude machte, sie ausfüllte, hatte er nicht gelten lassen.

      „Ich glaube aber, dass es dich zu sehr anstrengt und du darum nicht schwanger wirst. Wenn du mich liebst, dann tu mir den Gefallen und hör auf. Ich habe Mandanten genug, wir sind auf deine nicht angewiesen und selbstverwirklichen kannst du dich, wenn du erst unser Kind im Arm hältst. Außerdem, wenn der Kleine erst mal in den Kindergarten geht, kannst du ja halbtags wieder einsteigen.“

      Natürlich hatten auch seine Eltern ihr immer wieder zugesetzt, ihr Egoismus und Herzlosigkeit vorgeworfen. Sie sei schuld am Unglück ihres Sohnes, weil sie nicht wirklich bereit sei, ihm den natürlichen Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Mit der Zeit war sie sich wie ein Monster vorgekommen, nicht normal, irgendwie anders als andere Frauen. Nach einem besonders heftigen Streit, in dem zum ersten Mal das Wort Scheidung gefallen war, hatte sie aufgegeben. Sie bat ihren Chef, den Seniorpartner einer alteingesessenen Kanzlei, um ein Gespräch. Sie kannte Dr. Krübel schon seit sie in den Kindergarten gegangen war, ihre Mutter hatte für ihn als Schreibkraft gearbeitet. Er reagierte entsetzt, als sie ihn bat, ihre Mandanten auf die anderen Anwälte zu verteilen.

      „Melanie, überleg dir das bitte. Du solltest das nicht überstürzen. Du kannst doch nicht vergessen haben, wie schwierig das Studium war, den Stolz deiner Mutter, als du alle Prüfungen bestanden hattest. Willst du das alles wegwerfen? Dein Mann ist doch auch Anwalt, was sagt denn er dazu?“

      Als sie nicht geantwortet hatte, schien er zu ahnen, um was es ging und nickte langsam: „Oh, ich glaube, ich verstehe. Du tust das gar nicht für dich, du tust das für ihn. Dann kann ich dir nur umso eindringlicher raten, es dir noch einmal zu überlegen. Nimm dir meinetwegen eine Auszeit, aber schmeiß jetzt nicht alles hin.“

      Sie hatte nicht auf ihn gehört, blieb fortan zu Hause und verbrachte ihre Tage in endloser Langeweile. Sie hatte Fieber gemessen und Kurven angelegt, kiloweise Obst und Gemüse gegessen und nach dem Sex die Beine in die Luft gehalten, schwanger geworden war sie trotzdem nicht.

      Der einzige, der für sie Verständnis aufgebracht hatte, war Torben, Rogers jüngerer Bruder. Er ließ sich nur selten bei der Familie sehen, tingelte durch die Welt, frei und ungebunden.

      „Heiraten und dann so ein Leben führen, wie all diese Spießer, wie Roger? Das ist nichts für mich, du siehst doch, was dabei herauskommt“, hatte er gelacht. „Du warst mal eine mega Frau, Melanie, eine stolze Rose, die ich bewundert habe. Heute bist du nur noch ein Veilchen, sittsam, bescheiden und rein, ein blasses Blümchen, das keiner mehr sieht. Genau, ich werde dich ab jetzt Veilchen nennen, so lange, bis du dich endlich wehrst und nicht länger von dieser Familie fertigmachen lässt. Glaubst du denn, denen geht es um dich? Für die bist du austauschbar, nur ein Uterus, sie wollen ihren Erben, egal, von wem. Ja, auch Roger, dem ist es schon als Kind nur darum gegangen, unsere Eltern zufrieden zu stellen, der brave, bessere Sohn zu sein. Ein Mann, der seine Frau liebt, guckt nicht zu, wie sie immer unglücklicher wird. Ich an seiner Stelle wäre längst mit dir weggegangen. Verlass ihn und komm mit mir. Ich verspreche, dich nicht damit zu nerven, unbedingt ein Kind zu bekommen.“

      Er hatte gelacht, sein Glas ausgetrunken und war wieder für Monate verschwunden; keiner wusste, wohin. Sie hatte Roger nie von diesen Gesprächen erzähl. Sie wollte nicht noch Öl ins Feuer gießen. Er hielt ohnehin nichts von seinem jüngeren Bruder, für ihn war er ein verantwortungsloser Taugenichts.

      „Torben lebt nur auf Kosten anderer. Würden die Eltern ihn nicht ständig finanziell unterstützen, müsste er wohl unter einer Brücke campieren. Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, in dem jeder nur das tun kann, was ihm Spaß macht. Aber so war er schon immer. Während ich im Studium geackert habe, ist er durch Nepal getrampt, hat in obskuren Ashrams nach dem Sinn des Lebens gesucht und sich einen Scheiß um die Familie geschert. Er taucht auch heute nur auf, wenn er wieder einmal pleite ist.“

      Darum hatte sie die Worte von Torben verdrängt und schließlich sogar getan, was sie bisher vehement abgelehnt hatte: Sich von Andreas Brandt untersuchen lassen. Er war der Mann ihrer besten Freundin Julia und auch mit Roger und ihr selbst befreundet. Sogar ihr Schwiegervater kannte ihn schon aus alten Studientagen. Daher war ihr der Gedanke peinlich gewesen, auch wenn er als Koryphäe auf dem Gebiet der ungewollten Kinderlosigkeit galt. Es war Roger gewesen, seine Verzweiflung, seine dauernden Vorwürfe, die sie am Ende doch in seine Praxis gebracht hatten. Nach einem kurzen Blick in die dicke Akte vorausgegangener Untersuchungen, hatte er genickt und sie dann schnell und geschickt untersucht. Seine Worte hallten bis heute in ihrem Kopf nach.

      „Melanie“, hatte er gesagt, und seine Stimme war so emotionslos gewesen, als würde er über das Wetter reden. „Melanie, lass uns nicht lange drum herumreden, wir wissen beide, dass du eigentlich kein Kind willst. Es ist nicht dein Körper, es ist dein Unterbewusstsein, das sich weigert, eines zu empfangen. Daran kann man arbeiten, hast du schon einmal über eine Therapie nachgedacht?“

      Sie hatte genickt und geschwiegen, auch wenn sie ihn am liebsten geschlagen hätte. Woher nahm er sich das Recht, eine solche Diagnose zu stellen? Hatte er die leiseste Ahnung davon, wie sehr Roger sie mit seinem zwanghaften Kinderwunsch unter Druck setzte? Bestimmt nicht. Vermutlich hatte ihr Mann sich noch darüber beklagt, dass seine böse Frau hinter seinem Rücken die Pille schluckte und er sich somit vollkommen vergeblich abrackerte. Nein, alle waren sich einig, sie war diejenige, mit der etwas nicht stimmte und die zum Psychiater gehörte. Einen Augenblick war sie versucht gewesen, es einfach herauszuschreien.

      „Ja, es stimmt, ich bin ein Monster. Keine richtige Frau, weil ich viel lieber Karriere machen möchte, als Kinder zu kriegen. Und diesen ganzen Schwachsinn hier, den mache ich nur für Roger und meine beschissenen Schwiegereltern.“

      Davor bewahrt hatte sie nur die Gewissheit, dass er sie nicht verstehen, höchstens für hysterisch halten würde. Zu Hause angekommen, hatte sie einen doppelten Wodka runtergekippt und einen zweiten gleich hinterher. Erstaunt darüber, dass sie sich danach umso vieles leichter fühlte, war sie dazu übergegangen, regelmäßig nach dem Abendessen ein, zwei Gläser zu trinken. Roger, der immer mehr arbeitete und immer später nach Hause kam, hatte vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt und ihr Vorhaltungen gemacht.

      „Melanie, du solltest nicht so viel trinken. Was, wenn du schwanger wirst und das Kind damit schädigst?“

      Sie hatte genickt, versprochen nicht mehr zu trinken und es nicht gehalten. Im Gegenteil, ihre endlosen Tage, das Genörgel ihrer Schwiegermutter und die Enttäuschung ihres Mannes brachten sie immer öfter dazu, schon morgens anzufangen. An einem Abend, sie hatte mehr als gewöhnlich getrunken, weil sie wieder einmal mit Carolin aneinandergeraten war, war es zum Eklat gekommen. Er hatte nach ihr gegriffen und doch tatsächlich: „Na, dann wollen wir mal“ gesagt.

      „Hör auf“, hatte sie geschrien, „hör sofort auf, mich rammeln zu wollen, nur um ja keine Gelegenheit zu verpassen, deinen Samen in ein zufällig vorbeikommendes Ei zu spritzen.“

      Er hatte sich von ihr abgewandt und geantwortet, sie sei frigide, ihre Eier längst vertrocknet und ihm sei die Lust, sie zu ficken, schon lange vergangen. Jede Katze könne Junge kriegen, nur sie kein Kind. Er hatte sein Bettzeug gepackt und war aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen.

      Zuerst war sie erleichtert gewesen, aber mit der Zeit ertrug sie diesen Zustand immer weniger. Sie würde sich scheiden lassen, in ihren Beruf zurückkehren, endlich das tun, was sie gern tat. Sie brauchte die Kreutzers nicht, keinen von ihnen. Mit jedem Glas nahm ihre Entschlossenheit zu, aber wenn sie am nächsten Morgen verkatert und mit höllischen Kopfschmerzen aufwachte, verließ sie der Mut. Von ihrem früheren Selbstbewusstsein, ihrem Vertrauen in sich selbst, war nichts mehr übriggeblieben. Sie fühlte sich leer und diffus schuldig. Das war so unerträglich, dass sie immer größere Mengen Wodka brauchte. Irgendwann kam ihr der Verdacht, Roger schliefe mit anderen Frauen. Darüber hatten sie mehr als nur einen hässlichen Streit gehabt. Sie hatte geweint und geschrien, er geleugnet. Als er sie dabei erwischt hatte, wie sie seine Manteltaschen nach Beweisen durchsuchte, hatte er gedroht, sie in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Sie leide unter Paranoia, sei hysterisch und er habe sie langsam endgültig satt. Er stieß sie zurück,


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