Maimorde. Angelika Godau

Maimorde - Angelika Godau


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lange nicht mehr. Immer öfter gelang es ihr nicht einmal, in der Öffentlichkeit den Schein aufrecht zu erhalten.

      Ausgerechnet am 70. Geburtstag ihres Schwiegervaters war es dann zum Eklat gekommen. Während der Feier im Golfclub, zu der aus dem Nichts heraus auch Torben erschienen war, hatte sie sich mit Roger gestritten. Ein Wort hatte das andere ergeben, und ein Wodka war dem nächsten gefolgt, bis sie irgendwann schwer betrunken über ihre eigenen Füße gefallen und nicht mehr hochgekommen war. Am Boden liegend hatte sie Roger lallend angeklagt, eine andere zu haben. Alle Gäste hatten es mitbekommen und betreten zugeschaut, wie ihr Mann sie hochgezogen und zum Auto geschleppt hatte.

      Zwei Tage später fuhr er sie in eine elegante, diskrete, und weit entfernt von Bad Dürkheim liegende Klinik. Es war ihre erste, vierwöchige Entziehungskur. Außer Torben, der zu ein paar kurzen Besuchen gekommen war, hatte sie niemanden von der Familie zu sehen bekommen.

      „Ach Veilchen, jedes Mal, wenn ich nach Deutschland komme, ist weniger von der Frau übrig, die ich gekannt habe. Willst du dich umbringen, oder was wird das? Hör auf mit der Sauferei, nimm dein Leben wieder selbst in die Hand und ergreif die Flucht. Mach´s wie ich, hau ab, bring möglichst viele Kilometer zwischen dich und den Kreutzerclan. Ich helfe dir, du musst es nur sagen.“

      Sie hatte ihm zugehört, genickt und gewusst, dass sie nicht mehr die Kraft finden würde, etwas zu ändern.

      Auch der Erfolg des Entzugs hatte nicht lange angehalten, schon zwei Wochen nach ihrer Entlassung war sie rückfällig geworden. Rogers Schweigen, die bösen Blicke ihrer Schwiegermutter und jeder Blick in den Spiegel waren zu viel für sie gewesen. Sie traute sich kaum noch aus dem Haus, mied jeden Kontakt, trank oft bis zur Bewusstlosigkeit. Ihr Aussehen war ihr längst gleichgültig, sie ließ sich gehen, lief in ausgebeulten Jogginghosen und schlabbrigen T-Shirts herum. Obwohl sie kaum noch regelmäßige Mahlzeiten kannte, nahm sie Kilo um Kilo zu. Roger sah sie nur noch selten, er ging früh aus dem Haus, wenn sie noch ihren Rausch ausschlief und kam zurück, wenn sie längst wieder lallend auf ihrem Bett lag. Jahre waren so vergangen und dann hatte Roger ihr eröffnet, dass er sich scheiden lassen würde.

      „Das weißt du doch selbst“, hatte er gesagt, „unsere Ehe ist am Ende. Wir haben keine Kinder und uns nichts mehr zu sagen. Meine Eltern sind verzweifelt, weil es keinen Erben für die Kanzlei gibt, und ich will mir nicht den Rest meines Lebens ihre Vorwürfe anhören müssen. Du bist glücklich mit deinen Flaschen, du wirst mich daher kaum vermissen. Ich werde dich finanziell nicht hängen lassen, das versteht sich von selbst. Allerdings knüpfe ich das an die Bedingung, dass du aus dieser Gegend verschwindest. Wir haben genug Mandanten durch dein peinliches Benehmen in der Öffentlichkeit verloren.“

      Schweigend hatte sie ihm zugehört. Sie wusste, dass nichts, was sie jetzt sagen konnte, ihn umstimmen würde. Sie hatte bereits zu viel getrunken und in ihrem Kopf herrschte Chaos. Erst am nächsten Morgen war sie in der Lage gewesen, den Kampf aufzunehmen. Über ein Jahrzehnt hatte diese Familie alles getan, ihr Selbstwertgefühl zu zerstören, indem man sie auf die Fähigkeit reduziert hatte, ein Kind zu gebären. Nie hatte sie den Satz ihres Schwiegervaters vergessen, Eine Kuh, die keine Milch gibt, kommt zum Abdecker. Roger hatte ihm nur halbherzig widersprochen und sie war weinend auf ihr Zimmer geflüchtet. Jetzt, mit vierzig, alkoholabhängig und ohne Job, wollte er sie also loswerden. Vermutlich, um mit einer anderen den Wunsch seiner Eltern nach einem Erben zu erfüllen. Nein, das würde sie nicht zulassen, sich nicht einfach beiseiteschieben lassen. Julia musste ihr helfen, ihre alte Freundin aus Kindertagen wusste sicher, was sie jetzt tun konnte, wie sie sich verhalten sollte. Frisch geduscht und halbwegs zurechtgemacht war sie am nächsten Morgen zu ihr gefahren, hatte sie um Verzeihung bitten wollen, dass sie sich so lange nicht bei ihr gemeldet hatte. Es war anders gekommen, banal und so billig, dass sie fast laut aufgelacht hätte. Ihr Ehemann und ihre beste Freundin trieben es auf der edlen Kücheninsel. Julia hatte die Beine fest um Rogers Hals geschlungen und beide waren so vertieft, dass sie die Zuschauerin am Fenster überhaupt nicht bemerkten.

      Mit fest zusammengebissenen Zähnen war sie in einen abgelegenen Wingert gefahren, hatte dort das Auto abgestellt, und dann Wut und Enttäuschung so laut herausgeschrien, dass eine Schar Krähen erschrocken aufflog und krächzend das Weite suchte. Danach hatte sie sich zusammengerissen und einen Plan ausgedacht, den sie am Abend Roger präsentieren konnte.

      Geduscht, zurechtgemacht und vollkommen nüchtern, hatte sie ihm erklärt, sie wolle noch einmal in diese Klinik nach Zweibrücken gehen und sich danach einen Job suchen. Sobald sie den gefunden habe, sei sie bereit, der Scheidung zuzustimmen. Er hatte sie verwundert angeschaut, die Schultern gezuckt und zugestimmt.

      Während ihres Aufenthaltes wälzte sie in langen Nächten Pläne, brachte Julia auf hundert verschiedene Arten um, konfrontierte Roger mit dem, was sie gesehen hatte. Sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf, während sie sich real auf die profanste Art rächte, die man sich denken kann, sie ging mit dem Pfleger Björn Henning ins Bett.

      In ihren Therapiesitzungen wiederholte sie in einer Endlosschleife, dass ihr Mann sie mit der besten Freundin betrog, um dann irgendwann, zu ihrer Verwunderung feststellen zu müssen, dass ihre Wut auf Roger verschwunden war. Nach drei Wochen war sie überzeugt, dass Julia die alleinige Schuld traf. Männer waren leicht verführbar und sie selbst hatte ihn mit ihrer Trinkerei in die bereitwillig geöffneten Arme ihrer besten Freundin getrieben. Diese falsche Schlange wollte ihr den Mann wegnehmen, aber das würde sie nicht zulassen, egal, was sie dafür tun musste.

      Als sie schließlich nach Hause zurückkehrte, war ihre Verzweiflung gänzlich kühler Planung gewichen. Die erste Zeit hatte Roger sie argwöhnisch beobachtet, war aber nach einer Weile zugänglicher geworden und irgendwann gelang es ihr, ihn zu verführen. Dabei war etwas von der früheren Nähe zwischen ihnen entstanden und sie noch einmal auf seinen Kinderwunsch zu sprechen gekommen. Ein einziger Satz nur, aber Rogers Reaktion war unerwartet heftig gewesen. Er hatte sich abrupt auf den Rücken gedreht, eine Weile geschwiegen und dann gesagt: „Melanie, hör auf mit diesem Thema, ein für alle Mal! Ich habe jahrelang alles dafür getan, dass du schwanger wirst. Du weißt doch, wie wichtig ein Erbe für uns alle gewesen wäre. Jetzt ist der Zug abgefahren, jetzt will ich nicht mehr. Du hast zehn Jahre lang tagtäglich getrunken, das hinterlässt Spuren, wer weiß also, was dabei herauskäme? Das Risiko ist mir viel zu groß. Wenn du weiterhin auf Alkohol verzichtest, kann es von mir aus so bleiben, wie es jetzt ist.“

      Nach einem Blick in ihr Gesicht hatte er sich ihr zugewandt und ungeduldig gesagt: „Melanie, ich meine das bitter ernst.

      Es ist schon schlimm genug für mich, dass ich nie Vater werden darf, keinen Erben für eine so renommierte Kanzlei wie die unsere habe, aber noch schlimmer wäre es … Mensch, Melli, jetzt tu doch bloß nicht so, als würdest du nicht verstehen, wovon ich rede. Du bist Alkoholikerin und solltest du es tatsächlich noch schaffen, ein Kind zu bekommen, wäre es vermutlich geistig behindert. Welch eine Ironie des Schicksals. Wir hätten zwar einen Erben und doch wieder nicht. Nein, schlag dir das aus dem Kopf und lass uns dieses Thema ein für alle Mal beenden.“

      Sie hatte genickt und versucht, ihn erneut zu stimulieren, aber er hatte sie abgewehrt, sich umgedreht und war wortlos eingeschlafen. Gedemütigt, zurückgewiesen und wütend war sie aufgestanden, hinunter ins Wohnzimmer gegangen und hatte eine halbe Flasche Wodka geleert.

      Als ihre Regel ausblieb, hatte sie das nicht weiter beunruhigt, aber als auch zwei Wochen über die Zeit hinaus nichts passierte, war sie schließlich ins entfernte Neustadt gefahren und hatte in drei verschiedenen Apotheken je einen Schwangerschaftstest gekauft. Verständnislos hatte sie auf der Toilette einer Autobahnraststätte gesessen und auf die positiven Ergebnisse gestarrt. Panisch hatte sie Andreas Brandt angerufen und um einen umgehenden Privattermin gebeten. Warum sie das getan hatte, warum sie nicht zu einem anderen Arzt gegangen war, verstand sie danach selbst nicht mehr.

      Sie hätte mit seiner Reaktion rechnen müssen, aber musste er gleich den Teufel an die Wand malen, bevor er überhaupt etwas wusste? Warum hatte er nicht einfach die Klappe halten können? Warum hatten nicht all die vielen Ärzte, zu denen Roger sie geschleppt hatte, einfach die Klappe halten können? Was wussten die denn? Nichts wussten die und doch hatten sie in ihren weißen Kitteln hinter ihren Scheißschreibtischen gesessen und sie gedemütigt.


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