Gärten des Jahres 2022. Dieter Kosslick

Gärten des Jahres 2022 - Dieter Kosslick


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      Auch Unkraut wird neu definiert und die toxisch tödlichen Unkrautvernichtungsmittel lösen eine Prozesswelle gegen die Hersteller aus und verderben ihnen die Aktienkurse in Milliardenhöhe. Natürlich sollen jetzt auch die Gärten naturnah aussehen, aber damit es wirklich schön natürlich aussieht, muss schon ein wenig der grüne Daumen bewegt werden. Der Gärtner ist schließlich auch Gestalter der natürlichen Wirklichkeit, genauso wie die professionellen Gartengestalter und Architekten. Sie alle greifen in die Natur ein, indem sie durch ihre konzeptionelle Arbeit und ihr Pflanzenwissen ein Stück Landschaft gestalten, welches die Natur zurück in den Garten holt. Dafür gibt es in diesem Buch großartige Beispiele.

      Gärten als Medium, als Inszenierung und Verwandlung der Natur zur optischen und haptischen Freude, als Rückzugsort und Oase. Wer mehr Platz hat, kann sich an romantisch gestalteten Gartenanlagen und Staudenparadiesen großer Garten- und Parkkünstler orientieren: zum Beispiel Fürst von Pückler-Muskau in Branitz, Muskau und Babelsberg, Peter Joseph Lenné im Berliner Tiergarten und Charlottenhof. Auch beim Englischen Garten in München und seinem Nymphenburger Park von Friedrich Ludwig Sckell.

      Trotz allem: Die früher so beliebten Kiesel- und Waschbetongärten gibt es immer noch wie die pathologischen Rasenmäher. Dem Gänseblümchen, Klatschmohn, der Kornblumen und dem gemeinen Staub bleiben oft keine Chance. Und Beton ist einer der ganz großen Klimasünder und CO2-Emittenten. Der Gartenfuhrpark wird ebenfalls aufgerüstet: Rasenmähertraktoren ersetzen die kindliche Freude des Bobbycarfahrens. Kanonen blasen Blatt und Blüte aus den letzten Winkeln. Hauptsache staubfrei. Elektrisch betriebene Motoren würde man ja weder hören noch riechen. Dass diese Orte sowohl der privaten Gartenmotorisierung wie der öffentlichen, kommunalen Straßen- und Parkpflege den CO2-Ausstoß vermehren, bringt die „Gartenfighter“ nie zum Nachdenken. Die unzulässigen Dezibel-Werte überhören sie geflissentlich.

       Ubi bene, ibi patria

      Diese Natur- und Zurück-zur-Naturbewegung hängt oft mit der Suche nach Heimat und Identität zusammen. „Heimat ist für die meisten Menschen dort, wo die Geschichte ihren Anfang nimmt. Diesem Anfang wohnt ein Zauber inne, der das ganze Leben anhält“, so der Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid in seinem aktuellen Buch „Heimat finden“.

      In dem kleinen schwäbischen Dorf meiner Kindheit waren die Elemente meiner kindlichen Sozialisation die Bäckerei und das dazugehörige Kolonialwarengeschäft(!) in unserem Hause. Ebenso die Kirche, die alte Schule, der Gesangsverein und vor allem der Gemüsegarten, der Lieferando für das täglich selbst gekochte Essen meiner Mutter und ihrem unvergleichlich guten Gedeckten Schwäbischen Apfelkuchen. Gärtnern zur Selbstversorgung, zur Freizeitbeschäftigung und zur Augenweide.

      Gartenarbeit, wie meine Mutter das Gärtnern nannte, als Lebensphilosophie? Mindful Gardening? Der heimatliche Garten hat viel mit der Landschaft zu tun, in die man geboren wird. Die Dahlien in unserem kleinen Garten vergesse ich genauso wenig wie die sensationellen Kakteenblüten in Rot und Orange, atemberaubende Farben und Formen auf dem Fensterbrett unseres 80-jährigen Nachbarn. Heimat, der Ort an dem man sich wohl fühlt, auch in der fernen Erinnerung.

      „Ubi bene, ibi patria“, scherzte unser sächsischer Lateinlehrer. Das heißt auf Sächsisch nicht „Wo die Beine sind, ist auch dein Heimatland“, belehrte er uns, sondern „Wo es gut ist, ist dein Heimatland“.

      So wurde mein zweiter Garten 20 Jahre später im hohen Norden auf den verwilderten Wiesen eines reetgedeckten sehr alten Bauernhauses nach diesen Erinnerungen angelegt. Meine Mutter half noch mit, die schwere Wiese umzugraben – ein ähnlicher Garten wie zu meiner Kindheit, sogar mit einem kleinen Kartoffelacker, wurde angelegt und natürlich Stauden gepflanzt aus Karl Foersters Universum.

      Ein automatischer Blütengarten sollte es werden – seine geniale Erfindung für den faulen Gärtner. Karl Foerster sollte mich von da an durchs Leben begleiten.

      Die Wiese hinter diesem alten Reetdachhaus war seltsam bepflanzt: auf den fast zwei Hektar Land wuchsen im ersten Frühling endlose Reihen von leuchtenden gelben Narzissen in großen Bündeln in Reih und Glied. Jedenfalls betrug der Abstand zwischen den Reihen beachtliche 5 Meter. Vor dem Haus wuchsen nur vereinzelte Büschel dieser Narzissen, seltsam verteilt über die Wiese. Die Nachbarn klärten uns auf: der Vorbesitzer Heini van Holten trug als einziger Nazi-Uniform im kleinen Dorf und pflanzte zu Ehren seines Partei-Idols ein 10 x 10 m großes Hakenkreuz aus Osterglocken vor dem Haus. Er kam erst Anfang der 50er-Jahre wieder aus der Gefangenschaft zurück. Bis dahin wurde das Hakenkreuz jedes Jahr größer und größer. In seiner Panik riss Heini alle Pflanzen raus und pflanzte sie hinters Haus. Parallel mit großem Abstand, denn Parallelen treffen sich nur in der Unendlichkeit, wie wir aus der Schule wissen. Aber die Natur lebt Geschichte weiter und Zwiebelgewächse wie Osterglocken lassen sich nicht so einfach entfernen.

      Selbst 50 Jahre nach Ende des Krieges erfreuten uns einige stark gewachsene Überbleibsel. Der Garten als Lügendetektor, ein Stück Wahrheit gegen die kollektive Vergesslichkeit und der eigenen Vergangenheit?

      Jedenfalls Vorsicht, Gartengestalter, bei all zu deutlichen Pflanzmotiven.

      Durch einen Nachbarn motiviert – einen ehemaligen Karl-Foerster-Schüler – legten wir unsere Staudenbeete nun nach seinen Prinzipien an.

      Rittersporne mit fantastischen Namen wie 'Flötensolo', 'Nachtauge', 'Größenwahn', nachtblaue-violette 'Kirchenfenster', coelinblaue 'Blue Boys', 'Gletscherwasser' mit klarstem Eiswasser-Blau. Und natürlich Phlox 'Aurora', lachsfarben, und der berühmte 'Bornimer Nachsommer', eine „wüchsige Spätsorte, warmrosa, großblütig und regenfest“. Der kostete übrigens 1975 in der DDR 1,50 DDR-Mark, laut Foersters Staudenkatalog aus dieser Zeit.

      Mehr als 50 Rittersporne hatte Karl Foerster in seinem Programm. Auch heute können noch viele in der ehemaligen „VEB Bornimer Staudenkultur“ in Bornim-Potsdam, Am Raubfang, besichtigt und gekauft werden.

      Die unendliche Vielfalt seiner starken Pflanzen umschlossen bald die schuldlosen Narzissen. Auch in unseren Tagen gibt es einen international bekannt gewordenen Garten. Ein Garten, der die Seelen seiner Besitzer widerspiegelt. Als Donald Trump ins Weiße Haus als Präsident einzog, ließ seine Frau Melania den Rosengarten des Weißen Hauses in Washington neu gestalten. Sie ließ die Zierapfelbäume rausreißen und den wunderschönen Staudengarten mit der ganzen Pracht und Vielfalt heimischer Pflanzen ihrer Vorgängerin Michelle Obama umpflügen. Sie lies „einen Rosengarten des Grauens“ anlegen, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Steinplatten wurden verlegt, Formschnittgehölze gestutzt und „ein seelenloses Stück Rasen“ eingesät. Die Autorin Mareen Linnertz zitiert die Gartenbauarchitektin Gabriella Pape, die den Garten „als ein Symbol der Kontrolle“ beschreibt und die Hoffnung äußert, dass es keine zehn Jahre dauert, bis daraus eine Wildwiese nach dem Regierungswechsel geworden ist.

      Ihr Wunsch könnte schneller in Erfüllung gehen, wenn der neue Präsident Joe Biden auf die fast 75.000 Menschen reagiert, die eine Petition unterschrieben haben, das symbolträchtige Stück Land wieder zurückzubauen. Hoffen wir, dass er die richtigen Gartenarchitekten findet, die einen Garten der Vielfalt, der Unterschiedlichkeit und der Toleranz und Freiheit kreieren. Schon im 15. Jahrhundert philosophierte der erste Architekturtheoretiker Leon Batista Alberti, dass der Garten die Seele des Gartenbesitzers zeigen sollte. Die Kleingartenbesitzerin Tanja sagte es im Bayerischen Fernsehen etwas einfacher: „Man sieht dem Garten an, wie der Gärtner tickt.“

      Als ich im hohen Norden vom Karl-Foerster-Fieber befallen wurde und mit Sammelleidenschaft nach seinen großartigen Büchern, Zeitschriften und Staudenkatalogen suchte, stand ich vor einem fast leeren Bücherregal in einem Hamburger Antiquariat. Ich suchte Exemplare seiner „Gartenliebe“. Es gab nur noch zwei Ausgaben und daneben stand, einsam verloren, ein kleines Büchlein mit schönem Einband aus blauem Rittersporn vor einem kleinen Haus. Titel: „Meine Frau die Gärtnerin“.

      Ich blätterte und freute mich über die schönen Blumenzeichnungen und Staudenaquarelle. Die Autorin kannte ich nicht. Ich nahm das kleine Büchlein mit, alleine sollte es da nicht stehen bleiben. Irgendwann fing ich an zu lesen und erfuhr eine


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