Gärten des Jahres 2022. Dieter Kosslick
Doch benötigte er das Honorar dringend und das Buch musste fristgemäß abgeliefert werden.
So änderte sich plötzlich mitten im Buch der Schreibstil und das Sujet. Seine Frau schrieb das Buch zu Ende, und da sie nicht die Abenteuererfahrung ihres Mannes hatte, beschrieb sie den Garten des Nachbarn. Präzise, im Detail, jede Staude, jede Blüte. Mir kamen einige dieser Pflanzen und auch der Garten bekannt vor. Während meiner Foerster-Euphorie besuchte ich öfters seinen automatischen Senkgarten und sein Staudenparadies und heutiges Weltkulturerbe in Bornim. Dort kaufte ich Foerster-Stauden für meinen Garten und lernte auch seine Tochter kennen.
Durch sie erfuhr ich, dass das Autorenehepaar ihr kleines Häuschen direkt neben Karl Foersters Staudenparadies hatte und „Meine Frau die Gärtnerin“ genau den Garten ihres Vaters beschrieb. Aus welchem Zufall ausgerechnet die schriftstellerischen Werke zweier Nachbarn Jahrzehnte später auf einem Regalbrett eines Antiquariats gelandet sind, wird wohl niemals aufgeklärt werden. Am einfachsten wohl, weil sie unter Gartenbücher rubriziert wurden, oder am fantasievollsten, weil sie zusammengehörten, wie alle Nachbars Gärten.
Dieses wohl unfreiwillig erzwungene Buchsujet der Frau des Autoren wurde aus der Not geboren und beweist, wie inspirierend Garten und Blumen für Geschichten sein können. Nachbars Garten als Buch – und sogar als Drehbuch? Die Filmwelt liebt Parks als Locations und Symbole. Viele Filme der Filmgeschichte beziehen ihre Spannung, den Suspense und ihre Mystik aus Gärten und Parks. Nina Gerlach beschreibt in ihrem Buch „Gartenkunst im Spielfilm“ viele Filme, die den Garten als Motiv haben oder im Garten spielen. Es gibt immer einen Zusammenhang zwischen Gartendesign, beziehungsweise der Gartenanlagen, und der Geschichte, die im Film erzählt wird.
Wie die Präsidentengärten in Washington, spiegeln Gärten und Garten immer auch die politischen Systeme. „Der französische Barockgarten, wie ihn Le Notre für Ludwig XIV. in Versailles gestaltete, war Sinnbild einer hierarchischen Staats- und Weltordnung. Im Gegenzug war der Landschaftsgarten, der – getragen von den Ideen der Aufklärung und des Sensualismus – um 1720 in England entstand, Ausdruck einer geistesgeschichtlichen Revolution und Symbol bürgerlicher Freiheit“ schreibt die Filmwissenschaftlerin Fabienne Liptay in „Bildraum und Erzählraum“.
So spielt Peter Greenaways verzwickter, erotischer Thriller „Der Kontrakt des Zeichners“ in einem Barockgarten die Hauptrolle. In „Park und Filmkulisse“ deutet die Filmwissenschaftlerin und Gärtnertochter Dorothee Wenner Greenaways Film als „allegorischen Kampf zwischen zwei rivalisierenden Gartentheorien“. Als sich am Schluss des Films „der französische Barockgarten … in einen englischen Landschaftsgarten verwandelt, haben sich auch die Herrschaftsverhältnisse … umgekehrt: die Verschwörung der Frauen hat die patriarchale Ordnung unterwandert.“
Und in Antonionis „BLOW UP“ wird ein gespenstisch angeleuchteter Park der Ort des Verbrechens und seiner Aufklärung. Der Garten als Tatort im wahrsten Sinne des Wortes mit einfachen Regeln: im akkuratesten Garten lauert das gemeinste Verbrechen. Kino, Parks und Gärten haben viele Gemeinsamkeiten. Sie sind im weitesten Sinne Entertainment. Noch mal Hans von Trotha. In seinem Buch „Der Englische Garten“ beschreibt er den Landschaftsgarten als „(…) das erste Medium einer Wirkungsästhetik.“
Und Filme können wiederum wie die künstlich angelegten Gärten des 18. Jahrhunderts sein. So klug konstruiert und angelegt, dass nirgendwo Grenzen zu erkennen sind. Sie verschmelzen mit der Natur, sind nicht wahr, aber berauschend. Sie simulieren unendliche Perspektiven und Blicke – und sie initiieren ein Gefühl von Freiheit.
Landschaftskunst und Filmkunst, Gärtner, Gartenarbeiter und Regisseurin haben viele Gemeinsamkeiten. So war Peter Joseph Lenné ein Landschaftsregisseur, wie auch Karl Foerster ein Gartenregisseur war. Beide haben auf sehr unterschiedliche Art die Stadt- und Landschaftsarchitektur und die Menschen mit ihren Utopien, ihren Lebens-, Erholungszeit- und Denkräumen unschätzbar bereichert.
Paradiesisch
In unserem jetzigen, kleinen Stadtgarten und Balkon foerstert es schon wieder mit Storchenschnäbeln und sibirischem Vergissmeinnicht. Sogar zwei Feigenbäume gedeihen im geschützten Hof und bringen reichlich Ernte für die beliebte Mallorquinische Feigentarte. Und der Spalier-Apfel schenkt uns regelmäßig fast 20 knackige Äpfel. Die Rosen blühen zum Teil seit 60 Jahren mit nicht zu bremsender Blühkraft. „Ein alter Garten ist immer beseelt“, so Hugo von Hoffmannsthal. Und so begrüßen uns die 'Morning Glory’s' sobald die Sonne aufgeht. Auch Taubnesseln, violette und weiße, Schlüsselblumen, Elfenblumen und im Frühjahr Waldmeister bedecken einige Flächen, nachdem die Schneeglöckchen verblichen sind. Der Flieder duftet und überdeckt nachts gnädig die Stadtluft. Mit grüner Kraft sprießt der Farn, versport sich und begrünt selbst dunkle Ecken. Abends verwandeln dann die kitschigen bunten Birnen der Bauhaus-Lichterkette den kleinen Garten in eine italienische Nacht und erinnern an den Film „Hausboot“, in dem sich Sophia Loren und Cary Grant auf der Tanzfläche näher kommen. Überpflanzt? Vielleicht. Aber auch die Stadtpflanzen arrangieren sich mit der Enge der Stadt. Die Natur wird in die immer seelenloser werdenden Metropolen zurückkommen und die Erde wieder in ein Garten-Paradies verwandeln. Diesmal sollten wir dem Sündenfall zuvorkommen und die richtige Apfelsorte wählen: Schafsnasen und Goldparmänen, garantiert allergiefrei, teilbar und ohne Folgen für Adam und Eva. Einfach paradiesisch.
Dieter Kosslick
Kulturmanager und ehemaliger
Berlinaledirektor
Die Jury
PETRA PELZ, LANDSCHAFTSARCHITEKTIN UND VORJAHRESSIEGERIN
„Es ist immer spannend, die Vielfalt der Gärten in ihrer Einzigartigkeit zu erleben. Jeder der Gärten spiegelt die Menschen und deren Vorlieben und Geschmack wider. An einem Tag so viele ästhetische Gärten zu sehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzten, war ein Erlebnis.“
JENS SPANJER, VORSTAND DER STIFTUNG SCHLOSS DYCK, ZENTRUM FÜR GARTENKUNST UND LANDSCHAFTSKULTUR, UND STUDIERTER LANDSCHAFTSARCHITEKT
„In Zeiten der Pandemie und des Klimawandels gewinnt der private Garten als eigenes Stück gestaltete Natur und als Rückzugsraum für die Familie an Bedeutung. Der Wettbewerb präsentiert die besten Ideen und Umsetzungen sowie die Menschen und Unternehmen, die hinter den Projekten stehen.“
PROF. DR. SWANTJE DUTTWEILER, PROFESSUR FÜR PFLANZENVERWENDUNG AN DER HOCHSCHULE WEIHENSTEPHAN-TRIESDORF
„Mitten in diesen Zeiten war es eine Bereicherung, die Vielfalt aktueller Hausgärten zu erleben. Gärten können Rückzugsräume sein, aber auch Orte des Treffens und Feierns. Es war begeisternd, die Räume und Atmosphären im Garten nachzuvollziehen - sehr persönlich und zu ganz unterschiedlichen Lebenssituationen.“
THOMAS BANZHAF, VIZEPRÄSIDENT DES BUNDESVERBANDES FÜR GARTEN -, LANDSCHAFTS- UND SPORTPLATZBAU (BGL)
„Ich beurteile die eingereichten Gärten unter anderem auch danach, wie die Projekte bautechnisch umgesetzt sind. Als Vizepräsident des BGL freue ich mich sehr darüber, wie kreativ und leistungsfähig die Architekten und Betriebe unserer Branche sind.“
WOLFGANG BOHLSEN, CHEFREDAKTEUR „MEIN SCHÖNER GARTEN“
„Es ist absolut faszinierend, welche Vielfalt sich hier präsentiert – vom kleinen Stadtgarten bis zum großen ländlichen Anwesen, vom formal gestalteten Pool-Garten bis zur bunt blühenden Natur-Oase. Meine Rolle in der Jury ist es dann, aus den vielen sehr guten Vorschlägen die besten herauszufiltern – und darauf zu achten, dass sich die angebotene Vielfalt auch in meinen Favoriten widerspiegelt.“
KONSTANZE NEUBAUER, AUTORIN
„Der Wettbewerb zeigt, dass Gartenkultur höchst lebendig ist. Es ist äußerst spannend, Einblick in die kreative Arbeit der Planer