Geliebter Prinz. Billy Remie

Geliebter Prinz - Billy Remie


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graute und die lästigen Möwen an der Küste ihre Schreie verlauten lassen konnten, und damit die Bewohner aus ihrem wohlverdienten Schlaf rissen, war Desiderius wach und kleidete sich an.

      Leise wie eine Maus, die in der Küche nach Essensresten suchte, zog er sich an, damit er den jungen Mann von letzter Nacht nicht aufweckte. Nicht einmal Stoff raschelte, während er seine Kleidung zuschnürte. Er hatte schon vor Jahren gelernt, geräuschlos zu kommen und zu gehen. Diese Fähigkeit half ihm, wie an diesem Morgen, immer wieder dabei, sich davon zu stehlen, bevor seine Bettgefährten erwachten und mitbekamen, dass er sie ausgeraubt hatte.

      Er warf einen letzten prüfenden Blick auf den Blonden, der auf dem Bauch zwischen den Decken lag und das Gesicht unter seinem Arm verbarg, man konnte nur seine hübschen goldenen Locken sehen; seine dünnen Arme hätten auch die einer Frau sein können.

      Dann schnappte er sich den Beutel mit den restlichen Silbertalern und befestigte ihn vorsichtig an seinem Gürtel, damit die Taler darin nicht klimperten.

      Er hielt noch einmal inne, als er ein leeres Tablett auf einem Beistelltisch liegen sah. Er nahm es und hob es an, weil er sich in dem trüben Metall spiegelte.

      Desiderius begutachtete die Bisswunde an seinem Hals und musste unwillkürlich grinsen.

      Es hatte sich unbeschreiblich gut angefühlt, den Blonden mit dem eigenen Blut zu nähren. Während sein Glied in dem schönen Unbekannten gesteckt und ihm Lust bereitet hatte, waren dessen Fänge tief in seinem Hals vergraben gewesen. »Beiß mich«, hörte er seine eigene, heisere Stimme in seinem Kopf. »Trink von mir! Beiß mich!«

      Die Gier nach Blut hatte die Luzianer schon oft unbeliebt gemacht. Sie benötigten es nicht häufig, um zu überleben, aber um jung und stark zu bleiben. Mindestens zwei oder drei Mal musste ein ausgewachsener Luzianer in einem Lebensjahr Blut trinken, damit sein Innenleben nicht alterte und sein Herz einfach stehen blieb. Kinder benötigten das Lebenselixier nicht.

      Es war nicht relevant, welche Art von Blut. Ob vom Menschen, vom Tier oder vom eigenen Volk, die Wirkung war stets dieselbe. Aber der Geschmack war anders.

      Ein wenig bereute Desiderius, dass er die Gelegenheit nicht genutzt und Luzianerblut gekostet hatte. Aber er hat sich nicht selbst um die Erfahrung bringen wollen, wie es war, einen Luzianer zu nähren. Für Menschen war es schmerzhaft, da sie ein anderes Schmerzempfinden hatten als Luzianer, aber für jemand aus seinem Volk war das Nähren eines anderen etwas Berauschendes. Und das hatte Desiderius unbedingt am eigenen Leib erfahren wollen.

      Hinter ihm bewegte sich der Blonde und murmelte etwas Unverständliches.

      Darüber schmunzelnd beschloss Desiderius, dass es Zeit war, zu gehen.

      Lautlos verließ er den Raum, doch er durchquerte nicht den Flur, sondern stieg aus dem Fenster, das ihn direkt in eine enge Gasse führte.

      Von dort aus kam er schnell und ungesehen zu den Stadttoren, die vor langer Zeit einmal von Wachen besetzt gewesen waren. Heute sah man nur aus den Angeln gerissene Torflügel, die vor sich hin moderten und vom kaltnassen, salzigen Wind der Küste aufgefressen wurden. Keine Wachen. Keine verschlossenen Tore. Die Küsten waren Tag und Nacht für jeder Mann zugänglich. Ob arm, reich, gesetzlos oder fromm. Jeder konnte herkommen und dann tun und lassen, was er wollte.

      Deshalb war dieser Ort so gefährlich. Hexen und Illusionisten, ebenso wie Kreaturen aus der Unterwelt, bezogen hier ihre Quartiere. Und man konnte auf den Märkten an der Küste alles kaufen, was sonst verboten war. Gifte, Zaubertinkturen, magische Pulver, Zutaten für Dunkelzauberei. Alles, was das Herz eines Gesetzlosen oder einer Hexe begehrte.

      Nur gut, dass Desiderius mit Letzterem nicht viel zu tun hatte. Er fürchtete Magie, traute ihr nicht, also ging er ihr aus dem Weg.

      So auch an diesem Tag, als er eine alte Frau und ihren einzelnen Stand weit abseits des Marktes einsam in einer Gasse stehen sah. Verschrumpelte Köpfe, abgetrennte Gliedmaßen verschiedener Tiere, und viele Phiolen mit seltsam leuchtenden Flüssigkeiten hingen vom Dach ihres Marktstandes.

      Desiderius drehte sich um und ging in eine andere Richtung, bevor sie ihn bemerkte.

      Er nahm den Umweg in Kauf, den er gehen musste, damit er nicht die Aufmerksamkeit der Hexe auf sich zog.

      Seine Sorge war berechtigt. Wie bereits erwähnt, waren Luzianer keine Menschen und ihnen wohnte eine Magie inne, an der sich Hexen gerne bedienten.

      Sein Volk verehrte Hexen zwar, aber wenn man ihnen auf die Füße trat, und sei es nur ein falscher Blick, konnten sie jemandem Schlimmes antun. Also ging er lieber auf Nummer sicher und hielt sich fern. Er wollte nicht wegen seiner Fänge und seines Blutes wegen ermordet werden.

      Natürlich gab es auch Hexen, die anders waren, aber ihm war noch keine begegnet.

      Desiderius durchquerte die Tore und steuerte auf die Ställe zu, als über ihm bereits die Sonne aufging. Milder Wind kündigte den Frühling an und er nahm sich die Zeit, den Kopf in den Nacken zu legen und die Augen zu schließen, um das lauwarme Lüftchen durch sein kurzes, schwarzes Haar gleiten zu spüren.

      Ein Schatten huschte über sein Gesicht, und als er die Augen öffnete, sah er einen großen Raubvogel weit über ihn hinweg fliegen. Der Vogel steuerte von der Küste fort und in das Landesinnere. In Richtung der Fruchtbaren Hügel, hinter deren grünen Wiesen die Ebenen und die Stadt Dargard lagen. Der Königsitz.

      Dargard ... Desiderius seufzte. Er war ewig nicht dort gewesen. Die große Stadt und der Königspalast mit seinen Hallen aus weißem Marmor. Der große Markt. Das geschäftige Treiben der Unterschicht. Das Gemisch der Gerüche aus gebratenem Wild und würzigem Honigwein. Es war herrlich dort. Selbst die Armenviertel waren sauber. Im Gegensatz zu den Städten im restlichen Land, lagen dort keine verhungerten Leichen herum.

      König Wexmell Airynn sorgte für seine Völker. Leider konnte er nicht zu jeder Zeit überall sein, weshalb die anderen Städte, die er nicht so oft besuchte, von Menschen heruntergewirtschaftet wurden.

      Menschen ... Desiderius knirschte mit den Zähnen. Es gab viele unter ihnen, die er mochte, aber keiner wäre dazu geeignet, Herrscher von etwas zu sein. Leider waren Menschen von Natur aus machthungrig und strebten stets eine hohe politische Position an.

      Von Politik verstand Desiderius nichts, aber er war klug genug, zu wissen, dass ein Mensch besser nicht bei wichtigen Entscheidungen mitwirken durfte. Es gab einen Grund, warum Luzianer und nicht Menschen herrschten. Diese Tatsache stieß vielen auf den Magen, zumal es oft zu religiösen Streitigkeiten kam. Menschen glaubten an Götter und an ihren Zorn. Sie fürchteten ihre Götter. Die Luzianer glaubten zwar ebenso an diese Götter, der Unterschied bestand jedoch daraus, dass die Luzianer die Götter als etwas Greifbares und Gleichberechtigtes ansehen. Luzianer knieten nicht vor Göttern. Beteten nicht. Opferten nicht. Das gefiel den Menschen nicht, die die Götter nun mal anbeteten und verehrten.

      Davon ausgenommen waren die Menschen, die in den Sandhügeln weit im Westen Nohvas lebten. Dieses Volk betete nur einen einzigen Gott an, und in seinem Namen töteten sie und führten auf bestialische Weise Kriege. Ein schwieriges Volk. Leicht reizbar. Wer klug war, hielt sich mit Aussagen über ihre Religion zurück.

      Aber das war allein Desiderius’ Meinung, dass wusste auch er. Jede Geschichte hatte zwei Seiten und jedes Volk hatte seine eigenen Ansichten. Was nun richtig oder falsch war, konnte Desiderius nicht beurteilen. Für ihn war es jedoch richtig, dass der König ein Luzianer war. Aber vermutlich war er, als Luzianer, etwas voreingenommen. Gegenüber Menschen war er recht kritisch eingestellt. Der König sah das wohl anders, denn er gab ihnen mehr Macht, als Desiderius für gut befand.

      Es brodelte unter der ruhigen Oberfläche Nohvas. Die Lords der Menschen verlangten nach mehr Mitspracherecht, aber wenn die Luzianer es ihnen gewährten, würden sie nur Kriege führen und den Frieden in Nohva gefährden. König Wexmell sorgte für Religionsfreiheit, er fand von vielen Menschen Zustimmung, doch es gab auch jene, die dagegen waren, selbst Luzianer, die zum menschlichen Glauben konvertierten.

      Man konnte also nicht sagen, Menschen wären im Allgemeinen die bösen und Luzianer die guten Geschöpfe. Es gab


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