INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei. Eberhard Weidner
570a-8419-646a63f590f4">
INHALTSVERZEICHNIS
6. Kapitel
Erneut öffnete sich eine Tür in der Nähe, und ein weiterer Mann trat in den Gang.
Die Geräusche, die unvermittelt die atemlose Stille durchbrachen, hätten der Funke sein können, der das Pulverfass zur Explosion brachte. Doch die Vermummten reagierten nicht und rührten keinen einzigen Muskel, was den Inquisitor vermuten ließ, dass sie mit dem Auftauchen des Neuankömmlings gerechnet hatten. Und Michael gelang es gerade noch, seinen vor Anspannung zitternden Zeigefinger unter Kontrolle zu behalten und daran zu hindern, den Abzug der Automatik durchzudrücken.
Michael wagte nicht, den anvisierten Gegner für einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, während ihm der Schweiß in perlenden Tropfen auf die Stirn trat. Dennoch interessierte ihn, wer soeben die Bühne dieses Dramas betreten hatte. Er blinzelte mehrmals, als ihm salziger Schweiß brennend ins linke Auge lief, und ließ den Blick in die Richtung huschen, von wo der Neuankömmling sich näherte, ohne große Eile an den Tag zu legen.
Aufgrund der Lichtverhältnisse war zunächst nur eine dunkle Silhouette zu erkennen, die Michael vertraut vorkam. Er bemerkte den Stock, den der Schattenriss in der rechten Hand hielt und bei jedem Schritt, den er mit dem rechten Bein machte, zur Unterstützung auf den Boden setzte, und hörte das charakteristische Geräusch, mit dem die Spitze des Gehstocks auf dem dünnen Bodenbelag auftraf.
»Machen Sie keinen Unsinn, Institoris!«, sagte im selben Moment, in dem Michael ihn erkannte, Generalinquisitor Maximilian Brunner und trat ins Licht. Obwohl er aufgrund einer alten Verletzung, die er während seines aktiven Dienstes als Inquisitor erlitten hatte, einen Gehstock benötigte, war er noch eine eindrucksvolle Erscheinung. Er war von großer und kräftiger Statur, hatte in den letzten Jahren allerdings an Körpergewicht zugelegt, vor allem im Bereich seiner Körpermitte, was nicht nur dem Umstand geschuldet war, dass er mittlerweile die meiste Zeit hinter dem Schreibtisch verbrachte, sondern auch daran lag, dass er eine Vorliebe für Pralinen hatte. Sein kurz geschnittenes Haar war ergraut, aber so voll wie vor dreißig Jahren. Zusammen mit dem grauen Vollbart und der großen fleischigen Nase verlieh es ihm das Aussehen eines gutmütigen Weihnachtsmannes. Unmittelbar hinter der Kreislinie, den die bewaffneten Männer bildeten, blieb der Generalinquisitor stehen und platzierte die Spitze seines Stockes so vehement und laut auf dem Boden, als wollte er auf diese Weise ein Ausrufezeichen hinter seine Worte setzen. »Ergeben Sie sich, Institoris! Dann wird niemandem etwas geschehen. Sie haben ohnehin keine Chance.«
Michaels Augen huschten nervös zwischen seinem Vorgesetzten und dem Vermummten hin und her, auf dessen Stirn die Mündung seiner Pistole zielte.
»Was hat das zu bedeuten, Herr Generalinquisitor? Warum lassen Sie es zu, dass diese Leute ihre Waffen auf uns richten?«
»Tut mir leid, Institoris. Aber Sie sind verhaftet!«
»Verhaftet?« Michael hatte mit vielen Dingen gerechnet, als er dieses Gebäude betreten hatte. Dass er eine Abmahnung erhielt, weil er einen Kollegen belogen, Beweismittel unterschlagen und seine Vorgesetzten nicht unverzüglich über alle Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt hatte. Dass er einen Anschiss bekam, weil der BMW ein ausgebrannter Schrotthaufen war. Sogar, dass seine ausstehende Beförderung wegen seiner Eigenmächtigkeit revidiert würde. Aber eine Verhaftung hatte er nicht in Erwägung gezogen, da er sich keinen einen vernünftigen Grund dafür vorstellen konnte. »Aber … aber warum?«
»Sie stehen unter dem dringenden Tatverdacht, mit dem Luziferianerpack gemeinsame Sache gemacht und vier Kollegen ermordet zu haben. Und jetzt lassen Sie endlich die verdammte Waffe fallen, Mann, bevor ich den Beamten des Sondereinsatzkommandos befehle, Sie auf der Stelle zu erschießen!«
Ein weiterer Schweißtropfen auf Michaels Stirn war so weit angewachsen, dass er der Schwerkraft nicht länger widerstehen konnte und abwärts lief, direkt in sein linkes Auge. Er zwinkerte heftig, als die salzige Flüssigkeit wie Säure in seinem Auge brannte und es tränen ließ. Währenddessen wirbelten die Schlüsselbegriffe, die der Generalinquisitor genannt hatte, in dem Bemühen durch seinen Verstand, von ihm in einen logischen Kontext gebracht und verarbeitet zu werden.
Verhaftet … dringender Tatverdacht … Luziferianerpack … gemeinsame Sache … Kollegen ermordet … Beamten des Sondereinsatzkommandos…
Die Erkenntnis, dass ausnahmsweise nicht seine üblichen Gegner, die Luziferianer, ihn umringten und mit tödlichen Waffen bedrohten, sondern Männer eines Sondereinsatzkommandos, brachte ihn endlich dazu, den rechten Zeigefinger zu lockern und vom Abzug der Glock zu nehmen. Er hatte zwar keine Hemmungen, auf Gestaltwandler, Blutsauger, Magier, Zauberer, Hexen und deren willfährige menschliche Handlanger zu schießen, vor allem, wenn sie ihm ihrerseits an den Kragen wollten. Es hätte ihm aber erhebliche Probleme bereitet, einen Polizisten verletzen oder gar töten zu müssen. Schließlich erledigten diese Leute auch nur ihren Job und waren am wenigsten für das Schlamassel verantwortlich, in das er unversehens geraten war.
Doch letzten Endes war es der Schock darüber, dass der Generalinquisitor ihn tatsächlich des Mordes an seinen Kollegen für fähig hielt, der ihn dazu brachte, die Waffe allmählich sinken zu lassen, bis die Mündung zu Boden zeigte.
Das kann nur ein Irrtum sein!, wiederholte sein Verstand fortlaufend. Das kann nur ein Irrtum sein! Das kann nur ein Irrtum sein! Bis die Worte zu einem unverständlichen Buchstabenbrei wurden, den er dennoch ständig wie eine defekte Schallplatte herunterleierte: DaskannnureinIrrtumseindaskannnureinIrrtumsein…
Während die Waffe seinen gefühllosen Fingern entglitt und zu Boden polterte, rief Michael: »DAS KANN NUR EIN IRRTUM SEIN!«
Sobald Michael seine Pistole fallen ließ, wurde er von mehreren vermummten Männern angesprungen und zu Boden gerissen, obwohl er keinen Versuch unternahm, Widerstand zu leisten. Er war viel zu schockiert über den Mordvorwurf, der auf ihm lastete. Er wirkte lethargisch und teilnahmslos und beruhigte sich ständig selbst in Gedanken, dass alles ein Irrtum sei, der sich letzten Endes aufklären würde.
Der Inquisitor lag lang ausgestreckt auf dem Bauch, während einer der Männer auf seinem Rücken kauerte und seine knochigen Kniescheiben schmerzhaft gegen Michaels Schulterblätter drückte. Er wurde rasch und gekonnt nach weiteren Waffen abgetastet, und der Dolch, den er am Gürtel trug, wurde ihm abgenommen. Anschließend wurden seine Taschen gelehrt und fast alles entfernt, was er bei sich trug. Nur die Geldbörse und die Uhr an seinem Handgelenk ließen sie unangetastet, was ihn in diesem Moment aber nicht interessierte.
DaskannnureinIrrtumsein!
Erst nachdem ihm Handschellen angelegt worden waren, hob er den Kopf. Er verspürte das dringende