INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei. Eberhard Weidner

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei - Eberhard Weidner


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kam ihm die Erinnerung, dass er die Glock doch einer anderen Person überreicht hatte, und er sah die Szene so deutlich vor seinem geistigen Auge, als würde er sie ein zweites Mal miterleben.

      Michael Institoris und Peter König standen im Flur der Wohnung, wenige Schritte vom Durchgang zu jenem Zimmer entfernt, in dem Michael auf den Dämon getroffen war und den Besessenen und eine ganze Reihe von Luziferianern getötet hatte. Obwohl die Bretter vor dem Fenster entfernt worden waren und die Luft ungehindert zirkulieren konnte, kam noch immer ein übler Gestank durch die Türöffnung, während er dem aufmerksam lauschenden Leiter des Bereitschaftsdienstes schilderte, wie er in diese gefährliche und am Ende schier aussichtslose Situation geraten war.

      Die Lage im Gebäude hatte sich beruhigt, sodass sie Zeit und Ruhe hatten, sich um den lästigen Papierkram zu kümmern, den jeder Einsatz wie einen hässlichen Rattenschwanz hinter sich herzog. König nahm die Aussage seines Kollegen frühzeitig auf, weil ihm die Geschehnisse jetzt noch frisch und detailliert in Erinnerung waren. Zu diesem Zweck hatte er ein Diktiergerät gezückt, das er in Brusthöhe in Michaels Richtung hielt, damit jedes seiner Worte aufgezeichnet wurde. Im Hauptquartier würde der Bericht abgetippt, unterschrieben und zu den Akten gelegt werden. Dies entband Michael jedoch nicht davon, einen eigenen schriftlichen Bericht zu fertigen.

      Hin und wieder war noch ein vereinzelter Schuss oder lautes Geschrei aus einem entfernten Teil des weitläufigen Gebäudes zu hören. Ein Teil der Inquisitoren durchsuchte systematisch das Haus und machte Jagd auf flüchtige Luziferianer, die sich in einen finsteren Winkel verkrochen hatten und hofften, dort nicht gefunden zu werden, oder nach einem Schlupfloch suchten, durch das sie entkommen konnten. Außer Michael und König befand sich ein weiterer junger Inquisitor in diesem Teil des Gebäudes, in dem die Auseinandersetzung zwischen Michael und den Luziferianern im Wesentlichen stattgefunden hatte. Michael kannte den jungen Mann nicht, der vermutlich zu Königs Bereitschaftsteam gehörte, jedes Detail akribisch untersuchte und die Ergebnisse eifrig auf den Vordrucken notierte, die er auf einem Klemmbrett bei sich trug. Einmal bemerkte Michael sogar, wie er gewissenhaft die Leichen der Luziferianer zählte und diese Zahl aufschrieb.

      König und Michael waren noch nicht fertig – Michael schilderte soeben seine Begegnung mit dem Dämon, ließ aber wesentliche Teile dessen unerwähnt, was dieser ihm offenbart hatte –, als der junge Inquisitor an Königs Seite trat, ihm etwas ins Ohr flüsterte und auf sein Klemmbrett zeigte. Die Störung irritierte Michael. Sein Erzählfluss kam ins Stocken, und er verstummte. Fragend sah er Peter König an.

      »Entschuldige die Unterbrechung, Michael«, sagte König und zuckte voller Bedauern mit den Schultern. »Wir benötigen deine Dienstwaffe, um die Registriernummer aufzuschreiben. Du kennst das ja: Die Paragrafenreiter im Hauptquartier sind erst zufrieden, wenn jedes einzelne Kästchen ihrer dämlichen Formulare korrekt ausgefüllt wurde. Also tun wir ihnen den Gefallen, um hinterher keinen Ärger zu kriegen. Gib uns bitte kurz deine Pistole!«

      »Selbstverständlich!« Michael zog seine Dienstwaffe aus dem Schulterholster. Das erinnerte ihn daran, dass sich noch immer eine einzige Patrone im Lauf befand. Viel hätte nicht mehr gefehlt, und er wäre ebenfalls als Fußnote in der Leichenstatistik des jungen Inquisitors aufgetaucht. Er reichte König die Glock. »Hier, bitte. Das ist wirklich kein Problem, Peter. Ich kenn die Vorschriften ja auch.«

      Es entsprach den Regeln und dem üblichen Vorgehen, da auf diese Weise sichergestellt und beweiskräftig dokumentiert wurde, welche Waffen an einem Schusswechsel beteiligt gewesen waren. Auf diese Weise konnte im Nachhinein leicht und zweifelsfrei nachvollzogen werden, wer wie viele Schüsse abgegeben und welche Ziele getroffen hatte.

      »Dauert auch nur eine Minute. Du kannst ja schon mit deinem Bericht fortfahren, während unser junger Kollege sich rasch die Nummer notiert«, sagte König und dachte kurz nach, bevor er fortfuhr: »Ich glaube, du erzähltest gerade, wie der Besessene dir das geweihte Kreuz aus der Hand schlug.«

      Michael richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Leiter des Bereitschaftsdienstes und achtete nicht auf das, was der junge Inquisitor unterdessen tat. Wozu auch? Er hegte keinen Verdacht, dass der Mann etwas Vorschriftswidriges tun würde. Stattdessen dachte er angestrengt darüber nach, an welcher Stelle er seinen Bericht unterbrochen hatte, und stellte fest, dass König recht hatte. Er war bei der Schilderung der Situation gewesen, als der Dämon im Körper des Besessenen ihm das Holzkreuz aus der Hand geschmettert hatte, sodass es an der Wand zerschellt war – und dabei vermutlich seine Unterarmknochen gebrochen hatte. Aber dieses Detail ließ er unerwähnt, da es aufgrund seiner wundersamen Genesung zu unglaubwürdig geklungen und unweigerlich dazu geführt hätte, dass Fragen über seine erstaunlichen Selbstheilungskräfte gestellt worden wären. Er fuhr mit seinem mündlichen Bericht fort und ließ die Geschehnisse wie einen Film in seinen Gedanken ablaufen.

      Es dauerte weniger als eine Minute, bis der Inquisitor ihm die Waffe zurückgab. Michael nickte dankbar und nahm sie entgegen. Dieses Mal ließ er sich aber nicht erneut aus dem Konzept bringen, sondern fuhr unbeirrt in seiner Berichterstattung fort.

      König nickte dem jungen Kollegen ebenfalls knapp zu. Er wedelte mit der freien Hand, als wollte er eine Fliege verscheuchen, zum Zeichen, dass er sie nicht länger stören sollte. Der andere wandte sich wortlos ab und verschwand aus der Wohnung, um seine Arbeit an einem anderen Ort in diesem Haus fortzusetzen, wo er weniger störte.

      Michael warf einen kurzen, abwesenden Blick auf die Glock und hegte keinerlei Zweifel, dass es seine eigene Dienstpistole war, die er soeben zurückbekommen hatte – dieselbe Waffe, die er dem jungen Kollegen kurz zuvor ausgehändigt hatte. Darüber hinaus war er durch die gleichzeitige Schilderung seiner Erlebnisse abgelenkt, da er nicht nur die Ereignisse wiedergeben, sondern gleichzeitig darauf achten musste, welche Details er dem Leiter des Bereitschaftsdienstes erzählte und welche er sicherheitshalber für sich behielt. Und bei alldem durfte er sich nicht in Widersprüche verwickeln. Deshalb steckte er die Waffe umgehend ins Schulterholster, ohne sie einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. Er dachte nicht einmal länger darüber nach, denn für ihn war die ganze Aktion alltäglich und keine große Sache gewesen.

      Aus diesem Grund musste ihm dieses Ereignis im Nachhinein nicht sofort und von selbst eingefallen sein, sondern erst, nachdem er gründlicher über die Möglichkeit eines Austauschs seiner Dienstwaffe nachgedacht hatte.

      Hauptinquisitor Becker, der ihn schweigend beobachtet hatte, musste ihm angesehen haben, dass ihm etwas Wichtiges in den Sinn gekommen war, da er umgehend nachfragte: »Nun, Institoris, ist Ihnen möglicherweise etwas eingefallen, das Licht in diese mysteriöse Angelegenheit bringen könnte? Wenn ja, würde ich gern daran teilhaben.«

      Michael sah sein Gegenüber nachdenklich an. Gleichzeitig war er sich der Blicke anderer Beobachter bewusst, die ein unangenehmes Prickeln zwischen seinen Schulterblättern verursachten, als klebten die roten Lichtpunkte der Laservisiere noch immer auf seinen ungeschützten Rücken und könnten jederzeit von tödlichen Projektilen ausgestanzt werden. Und es war nicht nur die Aufmerksamkeit von Inquisitor Steinbach, der an der Wand lehnte und die Befragung schweigend verfolgte, die er spürte, sondern das Interesse unsichtbarer Personen, die sich zweifellos hinter der spiegelnden Glasfläche verbargen und denen ebenfalls kein Wort entging.

      Michael überlegte fieberhaft, ob er von seinem Verdacht erzählen sollte. Es war die einzige Gelegenheit, bei der seine und Königs Dienstwaffen ausgetauscht worden sein konnten. Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugender erschien es ihm. Doch würden Becker und die anderen, die seine Worte hörten, ihm glauben? Er hatte eher das Gefühl, dass man längst von seiner Schuld überzeugt war und dass es für diese Überzeugung noch einen schwerwiegenderen Grund geben musste als das Ergebnis der ballistischen Untersuchung. Michael ging daher davon aus, dass Becker noch etwas in der Hinterhand hatte und auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um es ihm zu präsentieren.

      Was sollte er also tun? Für seine eigene Überzeugung, dass die mit Ausnahme der Registriernummern identischen Waffen vertauscht worden waren, hatte er schließlich keine Beweise. König war tot und hatte den Austausch wohl ohnehin nicht bemerkt. Wäre er Teil dieses Komplotts gewesen, hätte man ihn nicht töten müssen. Und von dem jungen Inquisitor, der rasch und verstohlen den Austausch durchgeführt haben musste, kannte er nicht


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