INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei. Eberhard Weidner
als er ins Hauptquartier zurückgekommen war. Doch Maximilian Brunner bedachte ihn nur mit einem vernichtenden Blick und schüttelte mit missbilligender Miene den Kopf, bevor er sich abwandte und davonging. Sein Stock pochte bei jedem zweiten Schritt laut auf den Boden, während er zur Tür des verbliebenen Fahrstuhls humpelte, um in sein Büro zurückzukehren.
Michael ließ den Kopf wieder kraftlos zu Boden sinken und ergab sich in sein Schicksal. Statt gegen die grobe Behandlung zu protestieren, mit der er auf die Füße gestellt und abgeführt wurde, hüllte er sich während der kompletten, nun ablaufenden Prozedur, die er genau kannte, bisher aber ausschließlich aus einer anderen Perspektive wahrgenommen hatte, in Schweigen und in den schützenden Umhang, den er mit seiner mantraartigen, automatisch wiederholten Formel um sich wob.
DaskannnureinIrrtumsein!
Nachdem die SEK-Beamten ihn überwältigt und ihre Aufgabe erfüllt hatten, übergaben Sie ihn an zwei Kollegen, Hauptinquisitor Stephan Becker und Inquisitor Laurin Steinbach, die, von Michael unbemerkt, hinzugekommen waren und schweigend darauf gewartet hatten, dass sie den Gefangenen abführen konnten.
Michael kannte Steinbach vom Sehen bei mehreren Begegnungen in den Fluren und in der Cafeteria und der gemeinsamen Teilnahme an verschiedenen Fortbildungsseminaren. Er war noch jung, ungefähr Mitte zwanzig, ein großer und stämmiger Bursche, der zum Übergewicht neigte und den Eindruck machte, als stünde es mit seiner Kondition und seiner körperlichen Fitness nicht zum Besten. Er hatte kurz geschnittenes, rotes Haar, fleischige, rot geäderte Wangen und dazu ein Paar großer, abstehender Ohren. Er war leger gekleidet, trug weite beigefarbene Jeans, ein kariertes Hemd und eine blaue Windjacke.
Mit Becker hatte Michael in den letzten Jahren mehrere Einsätze durchgeführt, die der Hauptinquisitor aufgrund seines höheren Dienstgrades geleitet hatte. Sie hatten dabei keine Probleme miteinander gehabt und gut zusammengearbeitet. Ihr Verhältnis war jedoch stets kollegial geblieben, und sie respektierten einander. Becker war Mitte vierzig und sowohl äußerlich als auch charakterlich das genaue Gegenteil seines jüngeren Kollegen Steinbach. Er war klein, ungefähr ein Meter siebzig, und hager. Er erweckte einen drahtigen Eindruck und erinnerte an einen Terrier, denn wenn er sich in eine Sache verbissen hatte, ließ er so schnell nicht locker. Darüber hinaus galt er als geradlinig und zuverlässig. Er hatte hellblondes Haar, das schon schütter wurde und streichholzkurz geschnitten war, und eine hohe, glatte Stirn. Er trug einen karamellfarbenen Anzug, dem man ansah, dass er ein paar Jahre auf dem Buckel hatte und aus der Mode war.
Die beiden Kollegen brachten Michael durch das Treppenhaus ins Untergeschoss, wo er erkennungsdienstlich behandelt wurde, wie jeder andere, der von der Inquisition verhaftet und in den gefürchteten Keller des Glaspalastes gebracht wurde. Michael machte sich aber keine großen Sorgen, schließlich war er unschuldig. Seiner Meinung nach war es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen das ebenfalls erkannten. Er sah jedoch ein, dass die Kollegen die Form wahren und ihn behandeln mussten wie jeden anderen Verdächtigen, bis seine Unschuld zweifelsfrei erwiesen war, um hinterher nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, sie hätten bei den Ermittlungen geschlampt und einen Verdächtigen begünstigt, weil es sich um einen Kollegen gehandelt hatte. Die schlechte Publicity der Inquisition in der Öffentlichkeit hätte dadurch neue Nahrung erhalten.
DaskannnureinIrrtumsein!
Michael schwieg beharrlich und klammerte sich an sein Mantra, während seine Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht wurden. Die beiden Kollegen zeigten sich vor dem Verhör kaum gesprächiger und beschränkten sich auf knappe Anweisungen, die Michael nicht gebraucht hätte, da er selbst wusste, was zu tun war. So wie er auch wusste, dass es sinnlos war, Becker und Steinbach schon jetzt von seiner Unschuld überzeugen zu wollen. Die beiden Inquisitoren würden erst dann mit ihm über die erhobenen Vorwürfe sprechen, wenn sie alle gemeinsam in einem der Verhörzimmer saßen, er über seine Rechte belehrt worden war und jedes Wort aufgenommen und jede Bewegung gefilmt wurde.
Als er durch die Kellerflure, die vom kalten Neonlicht nahezu taghell erleuchtet wurden, von einem Raum in den nächsten geführt wurde, begegneten ihm zahlreiche Kollegen, die er kannte, und viele andere Mitarbeiter und Bedienstete, die ihm unbekannt waren. Es ging fast so emsig zu wie in einem Bienenstock, und die Erregung und Beunruhigung der Leute, die er bei seiner Ankunft im oberirdischen Teil des Glaspalastes erwartet hatte, war hier unten deutlich zu spüren. Jetzt wusste er, dass die unnatürliche Stille und die gespenstische Ruhe im Erdgeschoss auf den Hinterhalt der SEK-Beamten zurückzuführen waren, die dort auf ihn gewartet hatten. Anfangs nickte er dem einen oder anderen bekannten Gesicht unter all denen, die geschäftig an ihm und seinen Begleitern vorbeieilten, noch automatisch zu, wie er es an jedem anderen gewöhnlichen Arbeitstag auch getan hätte, doch niemand beantwortete seinen Gruß. Leute, mit denen er seit vielen Jahren zusammenarbeitete, erwiderten seinen Blick nun mit finsterem Gesichtsausdruck oder sahen ihn so entsetzt an, als wären ihm über Nacht Teufelshörner aus der Stirn gewachsen. Andere wandten rasch den Blick ab, als wagten sie es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Die Nachricht, dass er des Mordes an den Kollegen verdächtigt wurde, musste sich in Windeseile im ganzen Haus verbreitet haben. Und scheinbar gab es niemanden, der ihm die Tat nicht zutraute und ihn für unschuldig hielt.
Dieser Umstand hätte ihm schon da zu denken geben müssen, aber er vertraute noch immer fest darauf, dass sich letzten Endes alles als tragischer Irrtum herausstellen und er rehabilitiert werden würde. Währenddessen spulte sein Verstand die endlose Litanei ab – daskannnureinIrrtumseindaskannnureinIrrtumsein –, die mittlerweile wie eine zur Unkenntlichkeit verzerrte Bandaufnahme klang, weder einen klar definierten Anfang noch ein Ende und durch die pausenlose Wiederholung ihren Sinn verloren hatte.
Beiläufig registrierte er, dass die Spuren der nächtlichen Gewaltakte, die in diesen Gängen stattgefunden hatten, nahezu beseitigt worden waren. Lediglich an der Wand, vor der er die Leiche des jungen Inquisitors gefunden hatte, dem die Kehle zerrissen worden war, waren noch der blutige Handabdruck und bräunlich verfärbte Flecken zu sehen und zeugten von den dramatischen Ereignissen, die sich an diesem Ort abgespielt hatten. Mit Sicherheit würden auch diese Spuren im Laufe des Tages mit weißer Wandfarbe überstrichen werden, um die letzten Zeugnisse der schrecklichen Nacht zu tilgen. Doch auch wenn alle Leichen in die Pathologie gebracht und sämtliche sichtbaren Beweise ausgelöscht worden waren, würden die Erinnerungen an die Taten der Luziferianer in diesem Gebäude, das bis heute als Festung gegen die Teufelsbrut angesehen worden war, und die daraus resultierende Verunsicherung lange in den Köpfen der Mitarbeiter verankert bleiben.
Viel zu spät, kurz bevor ihn seine Kollegen in den Verhörraum brachten, fiel Michael auf, dass seine Begleiterin von seiner Seite verschwunden war. Ihm war bislang nicht bewusst geworden, dass sie getrennt worden waren, so in sich selbst versunken war er gewesen. Er erinnerte sich, dass er sie das letzte Mal bewusst wahrgenommen und an sie gedacht hatte, nachdem die Beamten des SEK sie umzingelt hatten. Doch anschließend hatte er sie nicht mehr gesehen. Sicherlich war sie woanders hingebracht worden, nachdem er in Handschellen in den Keller geführt worden war. Er hoffte, dass seine Kollegen Marcella nicht ebenfalls irrtümlich verdächtigten, an den Morden beteiligt gewesen zu sein, und anständig behandelten. Schließlich hatte er sie an diesen Ort gebracht und ihr versprochen, dass ihr nichts geschehen würde. Er würde es bedauern, wenn Marcella ebenfalls festgenommen worden war, nachdem sie erst kürzlich aus einer Gefangenschaft entkommen war. Aber er konnte momentan ohnehin nichts für sie tun. Erst musste er sich selbst helfen und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlegen, so widersinnig sie in seinen Augen auch waren. Anschließend wäre er wieder in der Lage, sich um andere zu kümmern. Aber noch waren ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden.
Nach Abschluss der erkennungsdienstlichen Behandlung brachten Becker und Steinbach ihn in den Verhörraum. Es handelte sich um denselben Raum, in dem er erst wenige Stunden zuvor den Leichnam des diensthabenden Inquisitors Peter König gefunden und den Magier Ingo Schott überwältigt hatte. Er seufzte leise, protestierte jedoch nicht. Die Rückkehr an diesen Ort löste eine Flut von Bildern und Geräuschen aus, die seinen Verstand unter sich begruben: eine Detailaufnahme der blutig roten Lache auf den grauen Bodenfliesen, und ein Plätschern, als ein weiterer Tropfen aus Blut und Gehirnmasse in der Pfütze landete; ein aggressives Zischen, als die Luft zum Kochen gebracht wurde; eine helle Furche im dunklen Holz des Tisches, einer frischen