INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei. Eberhard Weidner
dass die Aufnahme mit voller Absicht an diesem Punkt gestoppt worden war, weil Schott anschließend den wahren Namen des Mannes genannt hatte, der König kaltblütig erschossen hatte. Und da es nicht Michaels Name gewesen sein konnte, hätte es den Zweck vereitelt, den diejenigen, die das Band manipuliert hatten, damit verfolgten. So jedoch war die ganze Zeit über deutlich Michaels Gesicht zu sehen gewesen.
Michael schauerte, als er sich die unheimlichen Szenen erneut vergegenwärtigte. Er fragte sich, ob technische Veränderungen der Originalaufnahme ausgereicht hatten oder ob unter Umständen sogar magische Kräfte zur Anwendung gekommen waren, um diese Fälschung herzustellen. Selbst für ihn, der seinen Körper und die Art, wie er sich bewegte, genau kannte, war nur anhand kleiner Unregelmäßigkeiten erkennbar, dass die Aufnahme manipuliert worden war. Ansonsten waren der Körper des Mörders und sein eigener hinzumontierter Kopf allerdings perfekt aufeinander abgestimmt worden. Für andere musste die Aufnahme daher überzeugend wirken.
Immerhin wusste Michael jetzt, warum die anderen überzeugt waren, dass er König und den Wachmann erschossen hatte. Die Aufnahme war ein bestechender Beweis seiner Schuld und würde sich schwer widerlegen lassen. Allenfalls im Labor könnte festgestellt werden, ob und wie das Videoband manipuliert worden war. Aber falls Magie bei der Herstellung mit im Spiel gewesen war, konnten selbst die fähigsten Techniker dies im Nachhinein nicht mehr feststellen.
Michael seufzte, ehe er den Blick vom flimmernden Bildschirm abwandte und auf Becker richtete, der ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte und mit vor der Brust verschränkten Armen darauf wartete, was Michael zu der Aufnahme zu sagen hatte.
Inquisitor Steinbach richtete die Fernbedienung auf die Geräte und betätigte die Tasten. Der Bildschirm wurde schwarz, als das Fernsehgerät abgeschaltet wurde. Der Videorekorder gab einen surrenden Ton von sich, während die Kassette zurückgespult wurde.
»Wurde die Kassette schon im Labor untersucht?«, fragte Michael sein Gegenüber und brach damit das angespannte Schweigen.
Becker nickte, nahm ein Blatt Papier aus der Akte und hielt es hoch. Scheinbar hatte er mit dieser Frage gerechnet und sich vorbereitet. Ohne vom Blatt abzulesen, fasste er das Ergebnis mit eigenen Worten zusammen: »Es handelt sich um das unbearbeitete Originalband, das sich noch in der Kamera befand, als unsere Techniker die Beweise am Tatort sicherstellten.« Er ging mit keinem Wort darauf ein, dass sie sich exakt an jenem Tatort befanden. »Im Labor konnten weder Manipulationen noch nachträgliche Veränderungen festgestellt werden.«
»Aber die Aufnahme endet abrupt, bevor Schott den Namen des Mörders nennt. In meinen Augen ist bereits das eine Manipulation des Bandes.«
»Die Kamera, mit der die Aufnahme gemacht wurde, ging in diesem Moment kaputt, deshalb wurde die Aufnahme an dieser Stelle unterbrochen. Und selbst wenn die Szene weiterhin gefilmt worden und zu hören gewesen wäre, wie Schott den Namen des Mörders ausspricht, dann wäre es Ihr Name gewesen, Institoris. Haben Sie denn Ihr eigenes Gesicht nicht erkannt? Wozu brauchen wir einen Namen, wenn wir den Mörder leibhaftig und in Farbe auf Band haben, den wir alle so gut zu kennen glaubten?«
»Selbstverständlich habe ich mein Gesicht wiedererkannt. Aber wenn Sie aufmerksamer hingesehen hätten, hätten sogar Sie festgestellt, dass es nicht mein Körper war, den wir dort sahen. Das Band wurde manipuliert, indem man meinen Kopf aus einer anderen Aufnahme auf den Körper des Mörders kopierte.«
Becker schnaubte laut. »Ich konnte keinen Unterschied zwischen dem Mörder und Ihnen feststellen, Institoris. Kleidung, Größe und Statur sind meiner Meinung nach absolut identisch. Und wie, bitte schön, soll das Originalband verändert worden sein, ohne dass dies hinterher festgestellt werden kann? Abgesehen davon wäre es in der kurzen Zeit zwischen dem Mord und der Sicherstellung des Bandes ohnehin unmöglich, eine so perfekte und ausgeklügelte Täuschung hinzubekommen, wie Sie andeuten.«
»Wurde das Band auf Rückstände von Magie und Zauberei überprüft?«
»Selbstverständlich, Institoris. Nur weil Sie nach relativ kurzer Zeit bereits zum Oberinquisitor befördert werden sollten, heißt das noch lange nicht, dass wir anderen alle komplette Idioten sind und nichts von unserer Arbeit verstehen. An der Kassette konnten allerdings nicht die geringsten Spuren von Magie oder Zauberei festgestellt werden.«
»Schicken Sie das Originalband zur Zentrale der Inquisition im Vatikan. Dort arbeiten Spezialisten, die weitaus bessere Fähigkeiten und Möglichkeiten haben, um sogar geringfügigste Rückstände magischer Manipulationen nachzuweisen. Vielleicht glauben Sie mir ja dann, dass diese Aufnahme nicht das Gesicht des wahren Mörders zeigt.«
»Wie wir unsere Ermittlungen durchführen, müssen Sie schon uns überlassen, Institoris. Vermutlich hat es Ihnen noch niemand gesagt, aber Sie wurden offiziell suspendiert.«
Michael schluckte und schloss die Augen. Obwohl er mit derartigen Konsequenzen gerechnet hatte, bestürzte es ihn dennoch, es aus Beckers Mund zu hören. Und zweifellos hatte der Hauptinquisitor damit bewusst bis jetzt hinter dem Berg gehalten und beabsichtigt, ihn mit dieser Nachricht zum richtigen Zeitpunkt zu schockieren und aus der Fassung zu bringen. Er setzte sofort erbarmungslos nach, ohne Michael eine Pause zu gönnen, um die Neuigkeit zu verarbeiten.
»Aller Voraussicht nach werden wir das Band noch genauer untersuchen lassen. Und sei es nur, um später vor Gericht jeglichem Einwand begegnen zu können, wir hätten nicht gründlich genug ermittelt. Aber bis zum Nachweis des Gegenteils bleibe ich aufgrund der bisherigen Beweise bei meiner Überzeugung, dass Sie es waren, der König und Schreiber ermordet hat. Den Mord an Inquisitor König haben wir auf Band. Darüber hinaus wurden beide Männer mit Ihrer Dienstwaffe erschossen, auf der sich nur Ihre Fingerabdrücke befanden. Eine dermaßen eindeutige Beweislage kann man schon als erdrückend bezeichnen und ist mehr als ausreichend, jedes Gericht dieser Welt davon zu überzeugen, dass Sie des zweifachen Mordes schuldig sind. Angesichts der Aussichtslosigkeit jedes weiteren Leugnens sollten Sie meiner Meinung nach damit beginnen, uns die Wahrheit zu erzählen, Institoris. Ein Geständnis kann sich strafmildernd auswirken.«
Michael dachte darüber nach. Er ließ sich die erdrückende Beweislage durch den Kopf gehen und klopfte sie auf Schwachstellen ab. Er hatte nicht vor, etwas zu gestehen, was er nicht getan hatte, er wollte nur überprüfen, ob es nicht ein Detail gab, an dem er ansetzen und mit dessen Hilfe er es schaffen konnte, den Hauptinquisitor und seine Vorgesetzten zum Nachdenken und eventuell zum Umdenken zu bewegen. Die Videoaufnahme würde er ohne genauere Untersuchung auf Rückstände von Zauberei durch Experten des Vatikans nicht widerlegen können. Und auch die Tatsache, dass die Kugeln aus seiner Waffe stammten, konnte ohne Geständnis der Person, die die Waffen vertauscht hatte, nicht aus der Welt geschafft werden. Die Beweise erschienen tatsächlich so erdrückend, wie Becker gesagt hatte. Dennoch entdeckte er einen Ansatzpunkt, der zumindest Raum für leichte Zweifel an seiner Täterschaft bot.
»Sie sagten, dass die Kugeln, die Schotts Schulter durchbohrten und die Luziferianer töteten, aus Königs Dienstwaffe stammten. Ist das korrekt?«
Becker nickte lediglich müde.
»Dann beantworten Sie mir bitte folgende Frage: Wie konnte König den Magier Ingo Schott anschießen, wenn er selbst zu diesem Zeitpunkt schon tot war?«
Becker öffnete den Mund, um Michaels Einwendung so kurz und schmerzlos vom sprichwörtlichen Tisch zu fegen, wie Michael dies zuvor mit dem Untersuchungsbericht der Ballistiker getan hatte, schloss ihn aber wieder, als er erkennen musste, dass es sich um einen berechtigten Einwand handelte, der nicht leichtfertig abgetan werden konnte.
»Wir alle haben auf dem Videoband gesehen, dass Schott unverletzt war, als König starb«, fuhr Michael eindringlich fort, da er in diesem Aspekt seine letzte Chance sah, seine Kollegen und Vorgesetzten rasch von seiner Unschuld zu überzeugen. »Dennoch wurde Schott später von einer Kugel aus Königs Dienstwaffe verletzt. Wie konnte das geschehen?«
Becker dachte gründlich darüber nach, bevor er antwortete: »Das ist eine berechtigte Frage, Institoris. Doch ich würde sie gern anders formulieren: Wieso haben Sie Schott mit Königs Dienstwaffe angeschossen, anstatt Ihre eigene zu benutzen?«
Michael wollte auffahren