INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei. Eberhard Weidner
taten, Institoris. Sie mussten die Täuschung auch nach Königs Ermordung aufrechtzuerhalten. König und Schreiber wurden mit Ihrer Dienstwaffe erschossen. Welchen Eindruck hätte es da erweckt, wenn auch die Kugel, die Schotts Schulter durchschlug und von unseren Kriminaltechnikern aus der Wand geholt wurde, aus Ihrer Pistole gekommen wäre? Ihr raffiniertes Täuschungsmanöver wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber so konnten Sie behaupten, jemand hätte Ihre Dienstwaffe mit der von König vertauscht, um Sie in Misskredit zu bringen. Wahrscheinlich hatten Sie vor, die beiden baugleichen Pistolen nach Ihrer Rückkehr zu vertauschen, doch an diesem Punkt Ihres Planes scheiterten Sie, weil die Leute vom SEK Sie unmittelbar nach Betreten des Gebäudes überwältigten. Zu unserem Glück, möchte ich betonen, da es Ihnen andernfalls eventuell gelungen wäre, mit den Morden davonzukommen, gäbe es nicht das Videoband, das den Mord an Inquisitor König zeigt und den wahren Mörder entlarvt.«
Michael seufzte resigniert, als er einsehen musste, dass es ihm nicht gelingen würde, jemanden in diesem Gebäude von seiner Unschuld zu überzeugen. Alle hatten sich aufgrund manipulierter Beweise ein Urteil gebildet und hielten ihn für schuldig. Darum war es sinnlos, weiterhin auf Schwachstellen in der Argumentation seiner Ankläger herumzureiten. Becker und die anderen hatten ohnehin auf alles eine einleuchtende Antwort.
»Jetzt gehen Ihnen wohl die Ausflüchte aus, Institoris«, fuhr Becker fort, der wie ein Raubtier instinktiv spürte, dass sein Opfer angeschlagen war. »Wenn Sie noch nicht bereit sind, ein Geständnis abzulegen, warum erzählen Sie uns nicht wenigstens, wie sich die Ereignisse der letzten Nacht aus Ihrer Sicht abgespielt haben.« Becker löste die Verschränkung seiner Arme, beugte sich vertraulich nach vorn, als wollte er durch körperliche Nähe größere Intimität zwischen ihnen erzeugen, und legte die Hände auf den Tisch. Er gab sich unvermittelt ausgesprochen jovial, fast kumpelhaft und wollte damit mit Sicherheit den unterbewussten Eindruck vermitteln, Michael würde sich hinterher besser fühlen, wenn er sich alles von der Seele redete und sein Gewissen erleichterte. »Vielleicht können wir durch den direkten Vergleich Ihrer und unserer Version des Tathergangs etwaige Missverständnisse aufklären und Unklarheiten aus der Welt schaffen. Stellen Sie sich einfach vor, Sie müssten dem Generalinquisitor über Ihren Einsatz Bericht erstatten. Ihre Aussage über die Vorgänge im Haus des vermeintlichen Hexenzirkels, die Sie in Inquisitor Königs Diktafon sprachen, kennen wir schon. Warum beginnen Sie also nicht an dem Punkt, als Sie sich von König verabschiedeten und den Einsatzort verließen. Wohin fuhren Sie von dort?«
Becker nickte Michael auffordernd zu und verstummte, um mit erwartungsvoller Miene auf dessen Schilderung der Ereignisse zu warten.
Michael durchschaute die aufgesetzte Freundlichkeit und Jovialität seines Kollegen. Becker war ein extrem erfahrener Inquisitor und hatte Hunderte von Befragungen durchgeführt. Er beherrschte sein Handwerk und konnte virtuos auf der Klaviatur zahlreicher Verhörmethoden spielen. Doch selbst wenn er damit viele Erfolge erzielt hatte, so hatte er jetzt jemanden vor sich, der sich ebenfalls auskannte und die Psychospielchen beherrschte.
Michael hatte nicht das Bedürfnis, sich alles von der Seele zu reden, dennoch konnte es seiner Meinung nach nicht schaden, die Vorkommnisse aus seiner Sicht zu schildern. Eventuell konnte dadurch tatsächlich das eine oder andere Missverständnis aufgeklärt werden, auch wenn er nicht davon ausging, dass es ihm half, seine Unschuld zu beweisen.
Er dachte darüber nach, was er Becker, Steinbach und den anderen Zuhörern, die das Verhör nebenan sicherlich gespannt verfolgten, offenbaren wollte. Seine Lage erschien ihm aufgrund der gefälschten Beweise derzeit zwar nahezu aussichtslos, dennoch hatte er seine gewohnte Ruhe und innere Stärke wiedergefunden, seit er erkannt hatte, dass der Verdacht gezielt auf ihn gelenkt worden war und vermutlich dieselben Leute dahinter steckten, die ihn auch nahezu die ganze letzte Nacht in Atem gehalten hatten.
Wäre er um einen normalen Einsatzbericht gebeten worden, bevor ihm die erdrückenden Beweise für seine Täterschaft vorgelegt worden waren, hätte er vermutlich alles Wesentliche erzählt – mit Ausnahme seiner angeblichen Abstammung von einem Dämon und einer Hexe – und die Hoffnung gehegt, alles würde sich aufklären, solange er die Wahrheit sagte. Doch jetzt, vor dem Hintergrund der niederschmetternden Erkenntnis, dass er innerhalb der Inquisition einen Feind haben musste, der mit den dunklen Mächten paktierte und gefälschte Beweise produziert hatte, und dass es sich dabei möglicherweise um jenen verräterischen Inquisitor handelte, von dem Ghost gesprochen hatte, beschloss er, dem Hauptinquisitor zwar einen Überblick über seine Erlebnisse der vergangenen Nacht zu geben, aber ein paar wesentliche Details zu verschweigen. Immerhin bestand die naheliegende Möglichkeit, dass der Verräter in der Nähe war und alles mit anhörte, was Michael von sich gab. In diesem Fall wollte er wichtige Einzelheiten für sich und als Trumpf in der Hinterhand behalten.
Denn eine Sache war für Michael längst klar. Aufgrund der Schwere der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und der erdrückenden Beweise würde man ihn nicht auf freien Fuß setzen, sondern nach dem Verhör unverzüglich in eine der Arrestzellen zwei Stockwerke tiefer verfrachten. Aber auch dort wäre er vor seinen Feinden nicht sicher. Der oder die Verräter innerhalb der Inquisition waren immer noch unbekannt und konnten ihre finsteren Pläne in Ruhe weiterverfolgen. Michael wäre fürs Erste aus dem Weg geräumt, aber weiterhin ein Unsicherheitsfaktor, den es zu beseitigen galt. Er gelangte daher zur Überzeugung, dass seine Feinde die Gelegenheit beim Schopf packen und ihn töten würden, solange er in einer Zelle eingesperrt und hilflos war. Daher gab es für ihn in allernächster Zukunft nur ein Ziel: Er musste sich aus der Gefangenschaft befreien und aus dem Glaspalast fliehen! War er erst auf freiem Fuß, konnte er auf eigene Faust weiter ermitteln, den Verschwörern auf die Spur kommen und gleichzeitig Beweise für seine Unschuld sammeln.
Doch wie sollte es ihm gelingen, von hier zu entkommen? Noch während er sich diese Frage stellte, begannen die ersten Ansätze eines Plans in einem verborgenen Winkel seines Verstandes Gestalt anzunehmen. Aber dessen Gelingen hing im Wesentlichen davon ab, ob die Pistole, die dem Magier Schott aus der Hand geflogen und unter den Metallschrank in der Ecke des Verhörzimmers geschlittert war, noch dort lag.
Michael musste sich beherrschen, um keinen raschen Blick zum Schrank zu riskieren und nachzusehen, ob er ein mattschwarzes Schimmern in dem Spalt zwischen Schrank und Fußboden entdecken konnte. Die Gefahr, dass Becker darauf aufmerksam und misstrauisch wurde, war zu groß. Um sich abzulenken, konzentrierte er sich noch intensiver auf seine bevorstehende Aussage und vor allem auf das, was er nicht erzählen wollte, und verdrängte jeden Gedanken an seine Fluchtpläne vorerst aus seinem Bewusstsein.
Neben den primären Zielen, den Umfang seiner bisher gewonnenen Erkenntnisse vor eventuell mithörenden Feinden geheim zu halten und dieses Wissen anschließend selbst nutzen zu können, sobald er sich wieder auf freiem Fuß befand, hatte er noch einen weiteren Grund, nur einen Teil der Wahrheit zu offenbaren. Selbst wenn er Ihnen von einer Verschwörung, an der ein Inquisitor beteiligt sein sollte, und der geplanten Ermordung des Papstes berichtete, würden ihm Hauptinquisitor Becker und ihre Vorgesetzten vermutlich nicht glauben. Man würde seine Worte erneut als reine Schutzbehauptung abtun, mit denen er die Mordvorwürfe von sich und in die Schuhe eines anderen schieben wollte. Und beweisen konnte er bisher nichts davon. Er konnte allenfalls Ghost als Zeugin benennen. Aber erstens würden seine Kollegen der Geschäftsführerin einer Diskothek, die nebenbei vermutlich eine ganze Reihe von Geschäften jenseits jeglicher Legalität betrieb, ebenso wenig glauben wie ihm, und zweitens wollte er die Frau nicht unnötig in Gefahr bringen.
Also behielt er einen Teil der Wahrheit für sich, als er erzählte, was er in den vergangenen Stunden erlebt hatte, und beschränkte sich im Großen und Ganzen auf die zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Luziferianern, in die er verwickelt gewesen war. Seinen Besuch im SEPULCHRE und die Erkenntnisse, die er dort gewonnen hatte, behielt er für sich, schilderte aber detailliert die Verfolgung und Angriffe durch die drei Motorräder, die anschießenden Begegnungen im Glaspalast mit den befreiten Luziferianern und zu guter Letzt die Vorfälle im Haus der ehemaligen Gärtnerei und unter dem Friedhof.
Es dauerte eine knappe Stunde, bis er alles erzählt hatte und verstummte. Anschließend herrschte für eine Weile bedächtiges Schweigen, weil keiner der drei Männer auch nur einen Ton sagte. Nachdem er so lange ohne Pause geredet hatte, empfand Michael die Stille nahezu