Alvine Hoheloh. Amalia Frey

Alvine Hoheloh - Amalia Frey


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erwachte nun aus der Entrückung. Ein Traum! Sie schickte diesen Brief nicht ab.

      Als er wieder zu Hause war, ließ er per Eilpost Backwaren aus der großen Stadt auf Friedgolds Hof kommen – ausreichend, um ihren gesamten Provinzfreundeskreis sattzukriegen. Und da sie am nächsten Tag gewiss nicht mehr genießbar wären, lud Dorothea sie alle ein.

      Ihre Patentante, die natürlich genau wusste, dass eine baldige Verlobung unausweichlich war, nahm sie, an einem Spritzring knabbernd, zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr: »Du wirst uns fehlen, Kind.«

      Alfred Hoheloh kam einige Wochen später zu Besuch, um die Fortschritte in der kleinen Schuhfabrik zu inspizieren und gedachte daher erst am Nachmittag auf Friedgolds Hof vorzusprechen.

      Dorothea stürmte an diesem Tag jedes Mal zum Fenster, wenn der Wind durch die Äste strich, sodass ihr Vater in regelmäßigen Abständen erbost befahl, sie solle sich setzen. Doch das hatte nur zur Folge, dass sie nervös auf dem Sofa hin und her rutschte und beim nächsten Geflatter einer Taube wieder aufsprang.

      »Um Himmels willen, Kind!«, polterte nun ihre Mutter, »setz dich gefälligst ans Fenster. Es ist gewiss würdelos, dort zu wachen wie ein Hund, aber allemal besser, als der Tanz den du uns hier aufführst!«

      »Fräulein Friedgold«, hauchte Alfred zärtlich, »erlauben Sie mir die Bemerkung, dass Sie noch schöner sind, als ich Sie in Erinnerung habe.«

      Missmutig hatten ihre Eltern den beiden einen Spaziergang zu zweit erlaubt, wenn sie in Sichtnähe des Hauses blieben.

      Dorothea errötete pflichtbewusst und knickste zum Dank. »Auch Ihnen, das muss ich zugeben, scheint die asiatische Sonne gutgetan zu haben.«

      »Ich hoffe, Sie nicht zu brüskieren. Aber zu dieser Hautfarbe hat die Sonne nur wenig beigetragen.«

      »Wie darf ich das verstehen?«

      »Schon seit hundert Jahren besteht meine Familie aus Handelsreisenden, auch in den Kolonien unserer Nachbarn haben wir Geschäftskontakte … und private Bekanntschaften, wenn Sie verstehen. Meine Großmutter hatte ihre Wurzeln in Ceylon. Ihre Haut war wie Rauchquarz und Gold. Und meine Nase … alle, die ihr abstammten, haben ihre Nase.«

      »Wunderschön«, hauchte Dorothea, erhob ihre Hand und war im Begriff seine flachen, breiten Nasenflügel zu streicheln. Doch als sie seinem beseelten Blick begegnete, spürte sie ihre Ohren heiß werden und senkte die Hand.

      Beide lachten peinlich berührt und, um abzulenken, fragte sie Alfred nach seiner Reise, der nur erwiderte: »Ich hoffe, meine Geschenke wurden Ihnen nicht lästig. Erst zu Hause, als ich bei der Buchhaltung vorsprechen musste, wurde mir gewahr, wie viele es waren.«

      »Herr Hoheloh, ich bitte Sie! Wie könnte es mir lästig sein, durch Sie an einem für mich völlig fremden Flecken der Erde teilzuhaben? Ihre Geschenke sind meine Abenteuer.«

      »Das beruhigt mich. Sind Sie also weiterhin einverstanden, wenn ich Ihnen schreibe?«

      »Ich wäre hoch erfreut! Ihre Briefe sind das, was mich vor dem Engegefühl der weiten Felder zu retten vermag.«

      »Ich verstehe«, gab er schmunzelnd zurück.

      »Bitte schreiben Sie mir sooft, wie Sie wollen. Aber lassen Sie es mich wissen, sollten wiederum meine Zeilen Sie stören. Mir ist bewusst, dass es einen Mann von Welt langweilen wird, die Erlebnisse und Gedanken einer Landpomeranze zu erfahren«, sprach sie dann aus, wovor sie sich insgeheim so sehr ängstigte.

      »Fräulein Friedgold …«, eine quälende Pause entstand, so überrascht war er. »Ihre Briefe habe ich mir per Eilboten zusammen mit meiner Geschäftspost schicken lassen, sodass ich mich jedes Mal aufs Neue gezwungen sah, Zweiteres zu übergehen, um erst Ihnen zu antworten. Ihre Zeilen sind das, was mein Herz rasten lässt, Ihre Gedanken das, was meinen Geist beflügelt und Ihr Alltag das, was mich herausfordert. Sie beschreiben ein Heimatgefühl, das ich nie hatte.«

      Überwältigt zwang sie sich, die Konversation noch einmal abzuflachen, als sie fragte: »Das Reisen wird Ihnen lästig?«

      »Das auch. Vor allem der Wunsch nach einer steten Heimat, und sei sie nur im Herzen, ist übermächtig. Ich reise seit meinem fünfzehnten Lebensjahr umher, seit meinem neunzehnten ohne meinen Vater. Es ist einsam, elendig einsam, das Dasein, das ich friste. Wie unersetzbar sind mir da Ihre Briefe. Ich wünsche, dass sie auf ewig meine Begleiter sein werden.«

      »Und wie sagten Sie doch?«, hakte Dorothea nun kess nach, »was man sich wünscht, wird auch in Erfüllung gehen, allein weil man es sich vorstellen kann.«

      Er stoppte seinen langsamen Gang und sah sie an. Dann nahm er den Zylinder ab, ging vor ihr auf die Knie und trug ihr knapp an: »Fräulein Friedgold, wollen Sie meine Frau werden?«

      Er hatte sich vorgenommen, nicht zu überlegen, und war von sich selbst überrascht, wie gut es ihm gelungen war. War dieser Moment doch jener, den er sich in den letzten Wochen sogar vor dem Einschlafen ausgemalt hatte.

      »Sie sind früh …«

      »Wie viel zu früh?«, fragte er ruhig, als er sich erhob.

      »Etwa zwei Wochen …«, gab sie nach kurzer Überlegung zurück und lächelte.

      »Das ist noch im Rahmen der Toleranz«, entgegnete er, »mein Werben war bis hierher gewiss zu deutlich, als dass meine Absichten nicht erkennbar gewesen sein könnten.«

      Sie lächelte. »So unromantisch sagen Sie mir all das?«

      Er biss sich auf die Zunge und sah ihr lange in die Augen: »Verzeihen Sie, ich tue mich wohl allzu schwer. Doch seien Sie versichert, dass ich seit dem ersten Moment tiefe glühende Empfindungen für Sie hege, die mit jedem Blick in Ihr schönes Gesicht stärker werden, liebste Dorothea Friedgold.«

      Ihr entglitten die Gesichtszüge und nun war sie wirklich sprachlos. Während er seinen Hut aufsetzte und die Sicht abwandte, sodass sie seinen beschämten Gesichtsausdruck nicht sah, erklärte er: »Ich reise morgen weiter gen Süden und werde binnen einer Woche wieder bei Ihren Pateneltern rasten. Bis dahin erwarte ich Ihre Ant …«

      »Ja, ich will!«

      Nun war er es, der überrascht blickte.

      »Warum siehst du mich so an, Alfred?«

      »Ich dachte, du würdest Nein sagen, Dorothea.«

      »Und die tiefen glühenden Empfindungen in mir unterdrücken? Ich bin vielleicht eine Landpomeranze, aber nicht auf den Kopf gefallen.«

      Statt einer Antwort nahm er ihre Hand und küsste jede einzelne Fingerspitze. Seine Verlobte seufzte unter dieser Berührung. Die Wärme ihrer Haut kribbelte auf seinen Lippen.

      Ihre Körper schienen bereits miteinander zu schwingen – sie hatten einander richtig erwählt.

      Als er eine Woche später wiederkam, sprachen sie ausgiebig mit ihren Eltern, die sich nur langsam an den Gedanken gewöhnen würden, ihr Kleinod wie befürchtet mit diesem Evangelen davonziehen zu sehen. Das junge Paar schwebte auf Wolken und schmiedete Pläne. In wenigen Monaten, wenn er zu Hause alles vorbereitet hatte, der Nestbau für sie vollzogen war, wollte er sie abholen und sie in seiner Heimatstadt ehelichen.

      Diesmal unterdrückte sie die Tränen nicht, als sie ihn am Bahnhof verabschiedete, und sie küssten sich forsch, sehr zur Scham der umstehenden Kleinstadtbevölkerung. Als Letztes drückte sie ihm den niemals abgeschickten Brief in die Hand und am Abend kam ein Telegramm von ihm: »Alwine ist perfekt!«

      °°°

      Wenige Wochen später brach ein Krieg aus, zu dem Reserveoffizier Alfred Hoheloh wie viele andere junge Männer aufmarschieren sollten.

      

      »Willst du mich auch nach dem Krieg zum Manne nehmen?«, verlautete das Telegramm,

      

      »Nur, wenn du mich zuvor heiratest!«,


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