Der Horla. Guy de Maupassant

Der Horla - Guy de Maupassant


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kann, wenn sie nur durchsichtig sind wie Glas. Wenn eine große Spiegelscheibe ohne Belag in meinem Wege steht, so ist mein unvollkommenes Auge daran schuld, daß ich dagegen renne, wie ein im Zimmer verflogener Vogel sich an den Fensterscheiben den Kopf einstößt. Tausend Dinge täuschen das Auge. Was ist also Erstaunliches daran, wenn es einen neuen Körper, den das Licht durchstrahlt, nicht erkennen kann?

      Ein neues Wesen. Warum nicht? Es mußte ja kommen. Warum sollten wir die Letzten sein? Wir unterscheiden das neue Wesen nicht, wir erkennen es nicht, wie alle anderen, die vor uns geschaffen sind, einfach, weil es vollkommener ist, weil sein Körper feiner und vollendeter ist, als der unsrige, als unser schwacher Leib, der dahinvegetiert wie eine Pflanze, ein Tier, unser Leib der sich mühsam von der Luft nährt, von Gras und Fleisch, eine animalische Maschine, den Krankheiten zur Beute, Verstümmelungen, der Verwesung anheimgegeben, schlecht in's Gleichgewicht gesetzt, lächerlich, verrückt, erstaunlich schlecht gemacht, ein grobes, zerbrechliches Werk, nur die Skizze zu dem Wesen, das wirklich intelligent und schön werden könnte.

      Wir sind so wenige Lebewesen auf der Erde, von der Auster bis zum Menschen. Warum sollte nicht ein neues entstehen, nachdem einmal die Periode vollendet, für die die »Entstehung der Arten in langsamer Folge« charakteristisch ist? Warum nicht eine Art mehr? Warum soll es nicht auch Bäume geben mit Riesenblumen, leuchtend und duftend über weite Landstrecken? Warum soll es keine anderen Elemente geben als Feuer, Luft, Erde und Wasser. Es sind ihrer vier, nur vier, diese Nährväter aller Wesen. Wie armselig! Warum sind es nicht vierzig, vierhundert, viertausend. Wie ist alles elend, dürftig, jammervoll auf dieser Erde, wie sparsam zugemessen, armselig erfunden, plump gemacht. Dieser Liebreiz am Elefanten, am Flußpferd, diese Eleganz am Kamel!

      Aber ihr werdet sagen: der Schmetterling ist doch wie eine Blume, die da fliegt. Ich aber träume von einem, der groß sein müßte gleich wie hundert Welten, mit Flügeln, deren Gestalt, Schönheit, und Farbe ich nicht erklären kann, aber vor mir sehe. Er eilt von Stern zu Stern, erquickt sie und erfüllt sie mit Duft durch den leichten Schlag seiner Flügel. Und die Völker dort oben sehen ihm entzückt begeistert nach, wenn er vorüberfliegt . . . .

      Wen meine ich denn? Er ist es, er, der Horla, der mich quält, der mich auf diese wahnsinnigen Gedanken bringt, er sitzt in mir, er wird meine Seele; ich muß ihn töten.

      19. August. – Ich werde ihn töten. Ich habe ihn gesehen. Ich habe mich gestern abend an meinen Tisch gesetzt und so gethan, als ob ich aufmerksam schriebe. Ich wußte wohl, daß er um mich irren würde, ganz nahe bei mir, so nahe, daß ich ihn vielleicht berühren könnte, ihn packen, und dann wäre vielleicht die Kraft der Verzweiflung über mich gekommen, ich hätte Hände, Kniee, Brust, Stirn, Zähne gebraucht, ihn zu erwürgen, zu erdrücken, tot zu beißen und zu zerreißen.

      Und ich lauerte ihm mit allen meinen überreizten Sinnen auf.

      Ich hatte beide Lampen und die acht Lichter auf dem Kamin angesteckt, als ob ich ihn in dieser Helle besser sehen könnte.

      Vor mir steht mein Bett, ein altes Eichenbett mit Säulen. Rechts ist der Kamin, links die Thür, sorgfältig geschlossen, nachdem ich sie lange Zeit offen gelassen hatte, um ihn herein zu locken. Hinter mir steht ein hoher Spiegelschrank, der mir täglich dazu gedient hat, mich zu rasieren, mich anzuziehen und in dem ich mich jedesmal, wenn ich vorüberging, von Kopf bis zu Fuß betrachtete.

      Ich that also, als schriebe ich, um ihn zu täuschen, denn auch er spähte nach mir. Und plötzlich fühlte ich, ich war meiner Sache ganz sicher, daß er über meine Schulter gebeugt las, daß er da war und mein Ohr streifte.

      Ich stand auf, streckte die Hände aus und drehte mich so schnell um, daß ich beinahe gefallen wäre. Nun und? Man sah hier so gut wie am hellen Tage, und ich sah mich nicht in meinem Spiegel. Das Glas war leer, klar, tief, hell erleuchtet, aber mein Bild war nicht darin, und ich stand doch davor, ich sah die große, klare Spiegelscheibe von oben bis unten und sah das mit entsetzten Augen an! Ich wagte nicht mehr, vorwärts zu gehen, ich wagte keine Bewegung zu machen, ich fühlte, daß er da war, aber daß er mir wieder entwischen würde, er, dessen undurchdringlicher Körper hinderte, daß ich mich selbst spiegeln konnte.

      Und Entsetzen! – plötzlich sah ich mich selbst in einem Nebel mitten im Spiegel, in einem Schleier, wie durch Wasser hindurch und mir war es, als ob dieses Wasser von links nach rechts glitte, ganz langsam, sodaß von Sekunde zu Sekunde mein Bild in schärferen Linien erschien. Es war wie das Ende einer Sonnenfinsternis. Was mich verbarg, schien keine festen Umrisse zu haben aber eine Art Durchsichtigkeit, die allmählich heller ward.

      Endlich konnte ich mich vollkommen erkennen, wie täglich, wenn ich in den Spiegel blicke.

      Ich hatte ihn gesehen, und das Entsetzen blieb mir in den Gliedern, daß ich jetzt noch zittere.

      20. August. – Wie soll ich ihn töten, da ich ihn nicht fassen kann? Durch Gift? Aber er würde sehen, wie ich es ins Wasser mische – und übrigens könnten denn unsere Gifte seinem undurchdringlichen, unfaßbaren Körper etwas anhaben? Nein, nein, nein, wahrscheinlich nicht . . . . Also? also?

      21. August – Ich habe aus Rouen einen Schlosser kommen lassen und habe bei ihm für mein Zimmer eiserne Fensterläden bestellt, wie man sie in Paris an einzelnen Privathäusern im Erdgeschoß hat, zum Schutz gegen Diebe. Eine ebensolche Thür wird er mir auch anfertigen. Ich habe gethan, als ob ich feige wäre, aber ich mache mich ja selbst darüber lustig.

      10. September. – Rouen, Hotel Continental. Es ist geschehen! Es ist geschehen! Aber ob er tot ist? Ich bin ganz bestürzt von dem, was ich gesehen habe.

      Also gestern, als der Schlosser die Läden und die eiserne Thür angebracht hatte, ließ ich bis Mitternacht Alles offen stehen, obgleich es schon anfing, kalt zu werden.

      Plötzlich fühlte ich, daß er da war und eine unsinnige Freude überfiel mich. Ich habe mich langsam erhoben, bin nach rechts gegangen, dann wieder nach links, bedächtig hin und her, daß er meine Gedanken nicht erraten sollte. Dann habe ich die Stiefel ausgezogen und gleichgiltig die Pantoffeln angelegt. Darauf habe ich die eisernen Läden zugemacht und bin ganz ruhig zur Thür gegangen und habe auch sie zweimal herum geschlossen. Dann ging ich ans Fenster zurück und habe ein Vorlegeschloß davor gelegt und den Schlüssel in die Tasche gesteckt.

      Und plötzlich merkte ich, daß er um mich herum sich bewegte, daß er Angst hatte, und mir befehlen wollte, ihm zu öffnen. Ich hätte ihm beinahe gehorcht, aber ich gehorchte doch nicht, stemmte mich an die Thür, öffnete sie zur Hälfte, gerade weit genug, daß ich selbst rückwärts mich durchzwängen konnte, und da ich sehr groß bin, und mein Kopf bis oben heranreicht, wußte ich ganz bestimmt, daß er mir nicht entwischen könnte. Dann habe ich ihn allein ins Zimmer eingeschlossen, ganz allein. Diese Freude! Ich hatte ihn erwischt! Darauf bin ich hinunter gelaufen, in den Salon unter meinem Schlafzimmer, habe die beiden Lampen genommen, das Petroleum auf den Teppich, über die Möbel, überall hingeschüttet, habe Feuer angelegt und mich gerettet, nachdem ich die große Eingangsthür sorgfältig zweimal verschlossen hatte.

      Dann ging ich in meinen Garten hinaus, in ein Lorbeergebüsch, um mich zu verstecken. O, wie lange das dauerte, wie lange das dauerte! Alles war dunkel, stumm, unbeweglich. Kein Windhauch ging, kein Stern war zu erblicken, große Wolkenberge, die man nicht sah, lasteten schwer, schwer auf meiner Seele.

      Ich schaute mein Haus an und wartete. O, wie lange Zeit das dauerte. Ich meinte schon, das Feuer wäre ausgegangen oder er hätte es gelöscht, er, als plötzlich unten unter dem Druck der Hitze ein Fenster barst und eine große, rot und gelbe, lange, dünne, züngelnde Flamme längs der weißen Wand leckte und sie küßte bis an das Dach hinauf. Ein Schein fiel auf die Bäume, auf die Äste, auf die Blätter, und sie bebten vor Angst. Die Vögel erwachten. Ein Hund fing an zu heulen. Ich glaube, es wurde Tag. Dann sprangen noch zwei andere Fenster auf und ich sah, wie das ganze Erdgeschoß nur noch eine Feuerglut war. Aber plötzlich tönte ein Schrei, ein fürchterlicher, spitzer, herzzerreißender Schrei, der Ruf einer Frau in die Nacht hinaus und zwei Mansardenfenster öffneten sich. Ich hatte meine Dienstboten vergessen. Ich sah ihre entsetzten Gesichter und sah, wie sie winkten.

      Da packte mich das Entsetzen und ich lief zum Dorfe und schrie:

      »Hilfe!


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