Deadman's Hostel. Daimon Legion
Die toten Insekten und Spinnen in den Ecken versuchte sie zu übersehen.
Sie spülte einen Löffel im Abwasch ab und begann zu frühstücken. Laut Uhr war es erst kurz nach neun, was das Mädchen sehr überraschte. Sie rechnete eher mit fast Mittag. Ace kam sogar pünktlich zum Dienst – worin auch immer dieser bestehen mochte, denn vor der Rezeption bildete sich nicht gerade eine Menschenmasse.
Die Wasserrohre rauschten nicht mehr und sie hörte ihn husten.
Raucherhusten, vermutete sie ganz stark.
Mit einem Badetuch, welches um die schlanken Hüften geschlungen war, verließ er die Nasszelle … und hob bei ihrem Anblick verdutzt die Brauen, dass sich auf seiner Stirn erneut die Falten bildeten. Sie konnte genau sehen, wie seine Augen über die Camouflage-Hosen wanderten, die bei ihm kurz saß, ihr aber weit über die Knie ging. Ebenso das schwarze T-Shirt mit dem Bandaufdruck, das Sheryl mit einem Knoten und aufgerollten Ärmeln zum bauchfreien Top abgeändert hatte – jedoch hingen beide Klamotten noch ziemlich locker an ihr herunter.
Sie zuckte die Schultern und erklärte die stumme Frage: „Ich finde meine Sachen nicht.“
„Und da nimmste dir meine, okay …“, schnaufte er verdrießlich.
„Was sollte ich sonst tun?“
Er zuckte die breiten Schultern und behauptete: „Klar.
Deine Klamotten sind alle im Wäschesack – die standen vor Dreck. Die Reinigung kommt Mittwoch und Sonntag. Also nehmen die sie morgen mit und du hast sie nächste Woche wieder. Ich bestell dir auch was, so ist’s nicht. Dein Taschenmesser liegt bei mir in ’ner Schreibtischschublade – du rennst hier nicht mit ’ner Waffe rum. Neue Zahnbürsten findeste im Bad …
Aber was zum Geier machste überhaupt noch hier, eh?“
Er verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte ungehalten.
„Frühstücken“, sagte sie wahrheitsgemäß. „Ich habe Hunger.“
Ace ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer und maulte beim Laufen: „Kannst auch bei dir essen. Hab ich nicht gesagt, du sollst mir fernbleiben, wenn die Sache Sex erledigt ist?“
Sheryl hörte ihn im Kleiderschrank wühlen und versuchte, sich geduckt zu halten, indem sie sprach: „Entschuldigung. Ich dachte nicht, dass ich störe.“
„Störst immer. Wie gesagt, du hättest hier eigentlich gar nichts verloren!“, rief er ihr zu.
„Warum nicht?“, wollte sie wissen.
„Ist ’ne innerbetriebliche Chose. Häng dich bloß nicht rein, sonst fliegste raus!“
Das war sicher sein Ernst.
Sich wieder dem Essen zuwendend, beschloss Sheryl vorerst zu schweigen.
Angezogen, mit Zigarette im Mundwinkel, kam Ace wieder zu ihr in die Küche. Er trug ein erstaunlich sauberes schwarzes Hemd, dessen letzten silbernen Knopf er gerade schloss, zu gleichfarbigen kurzen Stoffhosen und Turnschuhen. Seine Haare fielen durch die Seife locker und luftig. Selbst den Wildwuchs seines Bartes hatte er gebändigt, sowie geölt und die Haut gekremt. So gesehen machte er wirklich einen gepflegteren (sogar gut aussehenden) Eindruck als gestern.
Nur sein Charakter blieb gleich.
„Bist ja immer noch da“, grummelte er auf den Weg zum Kühlschrank.
„Kann ich noch aufessen?“, fragte sie leise und bemühte sich, nicht trotzig zu klingen.
Zischend blies er den Rauch aus und knurrte: „Fein, aber dann geh. Schau dir ’n bisschen das Hostel an, guck dich im Lager um oder verlauf dich in der Wüste – aber geh mir nicht aufn Sack.“
Im Kühlschrank stand eine Flasche Mokkalikör, nach der er griff. Und aus dem Eisfach nahm er ein gefrorenes Glas. Damit kam er zum Tisch zurück, setze sich auf den noch freien Stuhl, dem Mädchen gegenüber, goss das Glas mit dem Likör voll und schüttete einen Schluck Milch dazu. Offenbar genügte ihm das starke Gebräu als Morgenkaffee.
Mit zusammengepressten Lippen blickte Sheryl die Flasche an. Es war kein gutes Zeichen, so früh am Tag Alkohol zu trinken. Sie schaute zu Ace, der allerdings nicht den Eindruck machte, als wolle er unbedingt reden. Eine Zeit lang waren die einzigen Geräusche zwischen ihnen das Knuspern der Cornflakes und das Ticken der Wanduhr.
„Die Ravioli sind weg“, erwähnte er kurz.
„Ja …“, murmelte sie. „Hab sie rausgeworfen.“
„Hab dich nicht drum gebeten …“, hieß bei ihm wohl „Danke“.
„Wolltest du die etwa noch essen?“
„Quatsch … hab sie nur vergessen …“
„Wann?“
„Vorgestern … glaub ich.“
„Hast du keinen Hunger?“
„Nein“, brummte er und warf die Kippe in den leeren Aschenbecher.
„Den habe ich auch ausgekippt“, gestand sie.
Er grunzte. „In der Wüste, wie? Hier gibt’s auch Mülleimer.“
„S-soll ich hier sauber machen, während du arbeitest?“, bot sie ihre Hilfe freiweg an.
„Untersteh dich“, lehnte er sie derb ab.
Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack …
„Hast du viel zu tun bei deiner Arbeit?“, wollte Sheryl mehr erfahren.
„Mehr als genug“, seufzte er in sein Glas.
„Aber hier steigt doch kaum einer ab, oder?“
„Kümmer dich um dein’ Kram …“
„Sind viele Zimmer belegt?“, überhörte sie seine Worte.
„Kann dir egal sein …“
„Ich habe noch niemanden gesehen – weder im Haus noch auf dem Hof.“
Mit seinen dunkel unterlaufenen Augen blickte Ace sie vielsagend an.
Sheryl verstand: „Halt die Klappe.“
Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack …
„Wer bringt die Verpflegung hierher? Und den ganzen Alkohol?“, versuchte sie eine Frage zu stellen, die er ihr beantworten musste.
Ace seufzte und stellte sein leeres Glas ab.
„’n Lieferant kommt einmal die Woche, Donnerstags. Und wenn’s dringend ist, steht er immer bereit. Nimmt auch Bestellungen an. Fallste was außerhalb der Reihe willst …“
„Ich schätze mal, er bringt meistens nur den Whiskey, wie?“
Wieder sah er sie an, als wolle er sie umbringen.
„Sagt der nichts, weil du trinkst? Oder dein Boss?“
„Ich mach meine Arbeit, damit hat sich’s“, sprach er unmissverständlich.
„Du wolltest deinen Boss noch anrufen“, erinnerte sie ihn, „wegen mir.“
„Weiß ich“, blieb seine Miene eisern. „Ich telefoniere mit ihm, wenn du weg bist.“
Sheryl sah in ihre Schüssel, worin nur noch Milch und ein paar restliche Flakes schwammen. Ihr Frühstück war bald beendet und sie musste wie versprochen gehen.
„Woher kommst du eigentlich, Ace?“
Genervt legte er den linken Ellenbogen auf die Tischplatte und hielt sich mit den Fingerknöcheln stützend die Stirn. Sie las endlich die vier Buchstaben darauf halbwegs klar: N, R, O, Z.
„Warum interessiert dich das?“, fragte er mit rauer Stimme.
„Na ja …“,