ChessPlanet - Edahcor's Geheimnis. Gabriella Gruber
Diskussionssendung moderieren, bei der gerade alle eingeschlafen sind!« Renko trottet lässig auf uns zu und hat das breiteste Grinsen aufgesetzt, das ich bei ihm je gesehen habe.
Stürmisch umarme ich ihn. Er presst seinen verschwitzten Körper ganz fest an meinen und löst augenblicklich ein starkes Kribbeln in mir aus. Wow!
Während wir das Ergebnis des Spiels feiern, behandeln die Jungs von Julius diesen Gleichstand wie einen Verlust und wischen sich mit ihren verschwitzen Trikots den Schweiß von der Stirn. Renko ist inzwischen bei Emilian und sie diskutieren über das Bouldern.
Talika rammt mir freundschaftlich ihren Ellenbogen in die Seite. »Hey, hast du Julius‘ Blick gesehen? Er steuert direkt auf uns zu!«
Ich sehe zu ihm herüber. Er nähert sich uns tatsächlich und lächelt erneut in meine Richtung. Ich drehe mich um, um nachzusehen, ob noch jemand hinter mir steht, aber da ist niemand. Langsam ist seine offensive Zuneigung mir gegenüber wirklich unheimlich.
»Das war echt klasse, Renko«, lobt er meinen besten Freund, der ihn verblüfft anblickt und nur ein Danke herausbringt.
Dann wendet sich Julius wieder mir zu. Seine bernsteinfarbenen Augen leuchten mich voller Begeisterung an. »Hey, Anyta«, sagt er und seine Wangen erröten.
Ich sehe zu meinen Freunden und bemerke, wie das Lächeln von Renkos Lippen verschwindet.
»Hallo Julius«, antworte ich angespannt.
Die Sonne zeichnet helle Reflexe auf die orangefarbenen Strähnen in seinen dunklen Haaren und seine Augen blitzen mich verführerisch an. Seine hohen Wangenknochen und die Grübchen, die sich beim Lächeln um seine Lippen bilden, lösen ein merkwürdiges Gefühl in mir aus. Ist es Verlegenheit? Ich kann es mir nicht erklären.
»Hast du es dir schon überlegt?«, fragt er. »Wegen unserem Date, meine ich?«
Hilfesuchend schaue ich zu Talika hinüber. »Ach, der Zettel, den ich neulich auf meinem Platz gefunden habe, war von dir?«, stelle ich mich absichtlich dumm.
Julius bemerkt meine Unsicherheit. »Ja«, sagt er und lächelt verlegen. »Bei der Eisdiele in der Altstadt? Ich lade dich ein.«
Jedes andere Mädchen wäre ihm überglücklich um den Hals gefallen, aber ich kann nicht. Aber absagen kann ich ihm auch nicht. Zum einen wegen Talika, die schon die ganze Zeit davon schwärmt, was für ein süßes Paar wir wären. Zum anderen höre ich auf meine innere Stimme, die mir zuflüstert, dass ich Julius nicht einfach abservieren sollte.
»Ich überlege es mir«, antworte ich nur trocken.
Julius nickt, lächelt mich an und trottet wieder zu seinen Jungs zurück.
»Wow, ich fass es nicht! Der Mädchenschwarm von ganz Edahcor fragt dich, ob du mit ihm ausgehen willst! Zum zweiten Mal! Hast du gesehen, wie eifersüchtig Fanny eben geguckt hat, als er bei dir war?«
»Nein, habe ich nicht«, antworte ich etwas betäubt.
»Du wirst doch nicht etwa mit dem aufgeblasenen Idioten ausgehen?«, fragt Samuel frech.
»Mal sehen«, erwidere ich nur.
Dann schauen mich zwei traurige Augen an.
Renko sagt nichts, sondern wendet sich ab. Ist er etwa eifersüchtig auf Julius oder bilde ich mir das nur ein?
»Sie verbündet sich mit dem Feind!«, flüstert Samuel und ich muss grinsen.
2
EMILIAN
Endlich ist Nachmittag!
Gemeinsam mit meiner Familie, Renko und Anyta stehen wir Jana gegenüber und singen ihr ein Geburtstagsständchen. Sie grinst breit, als sie die zwei Kerzen auspustet und ihre Geschenke voller Freude in Empfang nimmt. Ich hoffe, sie kann mit meinem Haarspangen-Set für ihre langen blonden Haare wirklich etwas anfangen. Bei meiner Schwester ist es oft nicht einfach, ein passendes Geschenk zu finden. Jedoch lächelt sie, als sie mich dankend umarmt.
»Emilian, warte!«, ruft mir meine Mutter nach, als Renko, Anyta und ich schon auf dem Weg zur Haustür sind.
»Tut mir leid, wenn ich dich nochmal benötige, aber ich habe einen Antwortbrief an Herrn Kerkov geschrieben wegen des Treffens am Samstag. Könntest du ihm den Brief überbringen? Er ist heute im Regierungsgebäude.«
»Du meinst das Treffen, an dem ich teilnehmen darf?«
»Ja, genau. Du kommst doch mit, oder?«
»Natürlich! So eine Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen.« Begeistert nehme ich den Umschlag entgegen.
Unser Regierungsoberhaupt, Heiko Kerkov, hat meine Mutter und mich zu einem privaten Treffen eingeladen, bei dem wir über das Sommerfest sprechen werden, das kurz bevorsteht. Wir fragen uns zwar immer noch, warum er gerade uns beide dazu auserwählt hat, aber bevor wir uns den Kopf darüber zerbrechen, warten wir es einfach ab.
Mit Badesachen im Gepäck schlendern wir nach draußen.
»Macht es euch wirklich nichts aus, wenn wir einen kurzen Umweg machen?«, frage ich sicherheitshalber nach.
»Nein, kein Problem«, antwortet Anyta und Renko nickt bestätigend.
Wir trotten den Weg aus gleichmäßig geschliffenen grauen Steinplatten entlang, der durch das weiß-blaue Labyrinth der Neustadt führt. Es wirkt hier so trostlos mit wenig Vegetation. Nicht einmal Vogelgesang ist zu hören. Es gibt sogar Tage, da herrscht hier eine unglaubliche Stille, heute dagegen nehmen wir die Stimmen von anderen Bewohnern wahr, die laut redend über den Platz laufen.
»Seht mal, da drüben ist Fanny mit Anhang«, bemerkt Anyta und deutet mit einer Kopfbewegung nach vorne.
»Oh ja, die Zicke in Person«, sagt Renko.
»Aber springen kann sie«, verteidigt Anyta sie.
»Jeder braucht ein Talent«, antworte ich lässig. »Du kannst gut laufen, ich zeichnen und Renko ist gut im Tauchen.«
»Naja, es geht«, wehrt Renko peinlich berührt ab.
»Es geht? Renko, du untertreibst!«, kontert Anyta und mir fällt auf, dass ihre Wangen erröten.
»Ja? Ich ... weiß nicht«, beginnt Renko zu stottern.
Ich will gerade etwas Rettendes sagen, als mir Fanny das Wort abschneidet: »Sieh an? Geht ihr heute auch mal schwimmen, hm?«
»Woher willst du das wissen, Fanny?«, frage ich zurück.
»Ihr habt Badesachen dabei«, kontert sie und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Ach?«, mischt sich Anyta ein und fixiert Fanny.
Das weibliche Gefolge im Hintergrund kichert aufgeregt. Da sie Badeschuhe tragen und Badetaschen dabeihaben, vermute ich, dass sie auch schwimmen gehen. Allerdings ins Hallenband.
Fanny streicht sich elegant eine ihrer langen goldenen Strähnen nach hinten. »Na ja, bin schon gespannt auf eure Schwimmeinlagen«, verabschiedet sie sich und stolziert mit den anderen Mädchen weiter Richtung Schwimmgebäude.
»Sie hat wohl immer noch nicht gemerkt, dass wir nie im Frei- und Hallenbad sind«, sagt Renko und verkneift sich ein Grinsen.
Wir waren bisher nur ein paar Mal in diesem grauen Hallenbadgebäude und das auch nur, weil es im Lehrplan des Sportunterrichts stand. Im Tauchen war Renko dort der Klassenbeste.
Auf dem Marktplatz der Neustadt strahlen die Häuser im Sonnenlicht. Die Fassaden sind helle Flächen aus Sichtbeton, regelmäßig durchbrochen von Glas. Die Fensterscheiben erstrecken sich teilweise über eine gesamte Wand und geben dadurch eine gute Sicht auf das Innenleben