Verträumt 4. S.T. Kranz
verabschiedet sich daraufhin freundlich.
Während sich das Rauschen des Meeres im Hintergrund mit den Klängen der Möwen vereint, genießt die kleine Familie ihren Abend im Aqua Populus. Zwar jedes Alter auf seine Art, trotz allem aber gemeinsam und mit guter Speise vor der Nase. Lachend und redselig lassen sich die Gemüter fallen, während Median nicht auf das Essen seiner Mutter schauen kann, da Veronikas Mahlzeit leblos zurückschaut.
Nur Veronikas und Claras Antisympathie ist in der Runde merklich spürbar, obwohl sie bisher keinen einzigen Satz gewechselt haben. Stören, vermag es allerdings niemanden.
Bis Clara plötzlich von Veronika und Brandons Turtelei sichtlich genervt, ihrer Stiefmutter eine bewusst provokante Frage stellen muss.
»Sag mal, Veronika. Wer wurde eigentlich zuerst geboren? Fabian oder Median?«
»Clara?!«, versucht Brandon die tickende Bombe zu entschärfen, die plötzlich in die Runde zwischen Veronika und Clara geworfen wurde.
»Was denn? Das interessiert mich. Darf man nicht fragen? Bekomme ich denn nun auch eine Antwort?«
Die Luft brennt. Tick, Tack, Tick, Tack, erklingt es leise.
Geschockt blickt Veronika ihren Lebensgefährten an, um sich daraufhin, vor Zorn zitternd, zu erheben.
»Ich hoffe, du hast vergessen deine Tochter aufzuklären, ansonsten wüsste ich jetzt nicht, wem von euch beiden ich als Erstes an die Gurgel gehen müsste! Ich nehme die Schlüssel und fahre heim, du kannst ja ein Taxi nehmen. Kommt meine Lieben.«
Fuchsteufelswild und tief Luft holend verlässt Veronika das vor Kurzem noch harmonische Gelage mit ihren Zwillingen im Schlepptau. Die nur zur Hälfte verspeisten Mahlzeiten bleiben einsam und immer noch dampfend auf dem Tisch zurück.
»Ist dein Akku all? Oder warum musstest du jetzt diese unpassende Frage an Veronika stellen? Wenn du unbedingt heimwolltest, hättest es auch anders sagen können«, verliert sich der Vater in Erklärungen, während seine Tochter nur gelangweilt mit ihren Schultern zuckt.
»Ich hab’s vergessen. Steht ja nicht auf ihren Shirts, dass die beiden Brüder adoptiert sind.«
Genervt schüttelt der Vater den Kopf, sieht dabei seinen schönen geplanten Abend mit seiner Lebensgefährtin wie eine Seifenblase platzen.
»Dass ihr euch so gut mit ihr versteht, das verstehe ich bis zum heutigen Tage nicht. Ich könnte die Gute manchmal an die Wand klatschen. Sie ist einfach so, einfach so. Hach. So dumm«, beklagt sich Veronika Minuten später aufgebracht, während sie mit ihren Zwillingen in einem Aufzug steht und genervt auf die Etagenanzeige blickt.
»Sie macht es, denk ich, nicht extra«, antwortet Median abmildernd.
»Das sei mal so dahingestellt, mein Lieber.«
Kurz darauf öffnet sich im vierten Stock die Tür des Fahrstuhls, durch die Veronika, mit ihren Zwillingen, eine weitläufige Wohnlandschaft betritt. Das gemütlich wirkende Loft wird durch unzählige, geschickt positionierte, Lichtquellen lauschig erhellt. Und das mitten im Raum platzierte Bad, nur abgegrenzt durch eine Umrandung aus Milchglas, wird durch das Licht des Mondes, welches durch das zwei Meter hohe Fenster schimmert, perfekt in Szene gesetzt. Auch die verschiedenen Abstufungen in dieser ehemaligen, kleinen Industriehalle verleihen dieser Wohnung einen besonderen Charme. Die Küche ist ebenfalls frei zugänglich und lediglich mit einem Bartresen etwas abgegrenzt.
Nur die drei Schlafzimmer sind angebaut und besitzen daher ihre eigene Privatsphäre. Allerdings haben auch sie das gleiche unverputzte Mauerwerk, wie wohl alle Loftwohnungen in diesem Gebäude.
»Wir machen uns bettfertig«, ruft Fabian angeberisch und läuft schnurstracks mit seinem Bruder ins Bad, aus dem sie wegen der nicht vorhandenen Decke deutlich zu hören sind. Genervt von allem und jedem schmeißt Veronika, Schuhe und Jacke neben die Couch und versucht daraufhin in Gedanken vertieft, mit dem Lesen einer Klatschzeitung Ruhe zu finden.
Am Tresen Platz genommen, bemerkt Veronika, wie der Aufzug runterfährt, weshalb sie jetzt schon mit den Augen rollt und ahnt, wer gleich nach Hause kommt. Zugleich lachen die Zwillinge lautstark auf, weshalb Veronika kurz zusammenzuckt und mit autoritärer Stimme Ruhe und Ordnung verlangt.
»Ist gut Mama.«
Im Verbund huschen die Brüder aus dem Bad, um anschließend der Mutter eine Gute Nacht zu wünschen. Gleich darauf flüchten sie in ihr Kinderzimmer.
»Gute Nacht, meine zwei Lieben.«
Kurz in der Stille eingetaucht, blättert Veronika die Seiten weiter, während die Lifttür sich öffnet und Brandon mit seiner Tochter Clara hereinspaziert.
»Hallo Schatz«, begrüßt er sie reumütig, doch Veronika würdigt ihn keines Blickes und verschwindet hastig in einem anderen Zimmer.
»Siehst du, man kann sich nicht mal entschuldigen, weil sie gleich abhaut und erst Tage später wieder sichtbar ist«, erklärt Clara selbstbewusst und zieht dabei den Weg ins Bad in Betracht.
»Nun hau schon ab, ich werde die Wogen glätten müssen.«
»Nachti, Papi.«
Nervös läuft Brandon durch sein Loft und öffnet mit Vorsicht seine Schlafzimmertür, durch die ihm ein sanfter Windhauch entgegenweht.
»Veronika Schatz?«, pustet er in sein Zimmer und schließt daraufhin leise die Tür. Er blickt zu der offen stehenden Balkontür und sichtet Veronika auf dem Vorbau. Nur die Nachtlichter, über dem aus Paletten gebauten Bett, erhellen das Zimmer.
»Hast du mit deiner Tochter geredet?«, will Veronika wissen, lehnt sich dabei ans Geländer und blickt über ein stillgelegtes Industriegelände, das trotz seiner tristen Ausstrahlung wunderschön aussieht.
»Es tut ihr Leid«, antwortet Brandon, schaut dabei wehleidig zum Whirlpool, der außerhalb, unter dem Schlafzimmerfenster für gemeinsame Stunden eingebaut wurde.
»Sie hat es vergessen.«
»Vergessen? Glaubst du das wirklich? Du bist ja noch dümmer als ich gedacht habe.«
»Och, Veronika Schatz, lass uns nicht auch noch streiten. Ich hätte da viel bessere Ideen«, versucht Brandon die Gemüter zu besänftigen, schmiegt sich dabei lüstern an ihren Rücken ran.
»Lass mich, ich will jetzt nichts von dir wissen«, lehnt Veronika seine zärtlichen Berührungen ab, bekommt dabei aber ein kleines Lächeln ins Gesicht geweht.
»Na Schatz, du und ich? Und der Whirlpool?«
Schnaufend dreht sich Veronika aus Brandons Reichweite. Vertröstet ihn auch augenblicklich. Denn die Mutter hat ein paar mehr Sorgen, die nicht einfach so von der Hand zu wischen sind.
»Brandon, wieso wirft deine Tochter mir plötzlich solch eine Frage an den Kopf? Hast du ihre Blicke gesehen, die sie mir manchmal zuwirft? Wieso ist sie denn jetzt auf einmal wieder hier eingezogen, nachdem ich mit Median und Fabian den Schritt hierher gewagt habe? Erklär mir das mal, mein Lieber.«
»Sie musste nach der Trennung mit ihrer Mutter gehen. Wie hätte ich denn mit meinem Job auf sie achthaben können? Mit deinem Einzug ist es eben wesentlich einfacher geworden, auf sie aufzupassen. Sie wollte eigentlich nie aus ihrer vertrauten Umgebung raus. Nun hat sie sie wieder, dank dir.«
»Herrliche Komplimente, mein Lieber. So kann ich ja getrost schlafen gehen«, erwidert sie sarkastisch.
2
Verinnerlicht
Wie lange trägt eine Mutter ihr Baby oder viel mehr ihre Babys unter dem Herzen? Wohl mindestens 9 Monate und ein Leben lang im Herzen. Ich durfte nie dieses Gefühl erleben, wie es ist, schwanger zu sein. Ich konnte nie erleben, wie die Haut des eigenen Babys sich auf der meinen anfühlt. Diese Wärme, dieses Einzigartige. So konnte ich auch nicht erleben, wie es riecht und wie es lächelt, wenn man sich über es beugt und Grimassen zur Belustigung zieht.