Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier


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Sprache überhaupt mächtig waren! Denn ihre Kumpels im Wasser brüllten ihnen in einer unverständlichen afrikanischen Sprache ebenfalls etwas zu. Wie sie später erfahren sollte eine Anweisung, an Bord zu bleiben, bis sie es selbst erst einmal aufs Segelboot geschafft hätten. Trotzdem hörte man es plötzlich wieder klatschen. Ein weiterer junger Mann prallte auf den Atlantik auf. Es war für Annika schrecklich, das mitansehen zu müssen.

      „Mein Gott! Tu was!“, rief sie panisch. Sie hatte die Sonnenbrille auf den Kopf hochgeschoben, wodurch sich ihre langen Haare etwas bändigen ließen und nicht mehr ins Gesicht hingen. Der Glatzkopf strampelte im Wasser so verzweifelt mit allen Vieren, dass ihm ein anderer Mann aus dem Schlauchboot das zweite Ruder zur Hilfe hinstreckte. Just in dem Moment griff der Breitschultrige, der als erster gesprungen war, aus dem Wasser heraus schon nach dem Außenmotor und strahlte Karim unter der Glut der Vormittagssonne entgegen. Er freute sich wie ein Kind, es geschafft zu haben, sein Gesichtsausdruck war sympathisch und überhaupt nicht verzweifelt, wie Annika erwartet hatte. In der Nähe sieht alles anders aus, dachte sie erstaunt.

      „Oh mein Gott!“, kreischte sie dann aber, als der Mann hochkletterte und die Jolle gefährlich zu schwanken begann. Fast hätte er den Motor mit sich und damit unrettbar in die Tiefen des Atlantiks gerissen, wenn Karim den schweren Körper nicht geistesgegenwärtig backbord gepackt und mit einem einzigen Ruck hochgezogen hätte. Nass klatschten zirka 90 Kilogramm auf den Boden vor ihre Füße und der Nicht-Marokkaner keuchte ein freundliches „Bonjour Madame, bonjour Monsieur“. Er war total außer Atem.

      „Qu’est-ce-que vous faites ici?“, gab sie auf Französisch zurück, das in der ehemaligen französischen und teils spanischen Kolonie neben den verschiedenen berberischen Dialekten und dem Arabischen bekanntlich Verkehrssprache war. Sie wich so viele Zentimeter von ihm ab, wie auf diesem engen Raum überhaupt möglich waren, und sah vor sich dabei Karim schon am nächsten Schlauchbootschiffbrüchigen dran. „Was er hier macht, fragst du? Siehst du doch! Beruhig dich! Wir holen die jetzt alle rein, wir können sie doch nicht ertrinken lassen, oder?“, rief er auf Deutsch und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch.

      Vom Hin- und Herschwanken auf den leichten Wellen oder von der Aufregung, Annika wurde jetzt endgültig richtig übel. Sie musste sich wegen zu viel Kaffees am Morgen übergeben und erwischte damit den Afrikaner an der Schulter. Der beugte sich über Bord, murmelte irgendetwas vor sich hin und wusch sich ihr Erbrochenes mit einem Schwung Meerwasser ab. Geistesgegenwärtig half er dann Karim, der sich schon den Gürtel seiner Jeans abschnallte, um den anderen, der des Schwimmens fast nicht mächtig war, ans Boot heranzuziehen. Annika bemerkte auf einmal, wie dehydriert sie war. Sie nahm einen Schluck aus einer Wasserflasche, die vor ihr lag.

      „Merci, Madame?“, bat der bereits Gerettete in total durchnässter schmutziger Kleidung auf einmal ebenfalls um Trinkwasser. Ihr langes dunkelbraunes Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie das dem bestimmt Halbverdursteten mit den gutmütigen schwarzbraunen Augen entgegenreichte. Mit dem gleichen Schwung fiel sie danach ungewollt auf den Boden und auf ihre Sonnenbrille. Sie hörte das Plastik zerbrechen. Ihr war alles zu viel. Glücklicherweise hatte sie Tabletten gegen Übelkeit in ihre Jeanstasche gepackt, nach der sie griff. Karim warf ihr eine weitere herumliegende halbvolle Flasche herüber. Er erlebte solche Übelkeitsattacken an Bord bei ihr nicht zum ersten Mal, sie hatte einen sensiblen Magen. Normalerweise jedoch bei mehr Seegang und zum Glück war das Meer heute noch recht ruhig.

      „Geht’s dir sehr schlecht? Kommst du klar?“, rief er ihr zu. Sie nickte wortlos und nahm einen Schluck, aber die Flüssigkeit schmeckte warm und alt. Das Medikament immerhin bekam sie damit runter und sie warf die Flasche dann angewidert von sich. Der junge Mann vor ihr gab ihr mit sichtlich schlechtem Gewissen schnell ihr eigenes Wasser wieder. Dann beugte er sich aus dem inzwischen tiefer liegenden Boot, um mit beiden Händen nach einem seiner Freunde zu greifen. Kurz darauf waren die meisten der Schlauchbootinsassen an Bord. Sie sah zu, wie Karim müde auf einen Sitzplatz sank und angespannt die Gesichter um sich checkte und von ihnen gegengecheckt wurde.

      Annika war immer noch etwas schummrig vor Augen. Obwohl sie kurz zögerte, mit einem Fremden aus derselben Flasche zu trinken, musste sie es wohl oder übel tun. Die Chemie zwischen ihr und dem anderen stimmte, sonst hätte sie das erst recht nie gemacht. Mit dem restlichen Wasser aus der Flasche wusch sie sich dann das Gesicht ab. Sie blickte auf Karim. Der kämpfte inzwischen mit aufkommendem leichtem Wind.

      „Scheiße!“, hörte sie ihn sagen und versuchte jetzt erfolglos aufzustehen. In diesem Moment sah auch sie, dass sich die spanische Küstenwache auffällig näherte, während das leere gelbe Schlauchboot auf den leichten Wellen leer davontrieb. Annika schaute zu, wie er wie wild mit den Armen fuchtelte, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber als Reaktion erntete er nur, dass die Yacht uninteressiert wieder mit Kurs auf die hohe See abdrehte. „Fuck you!“, rief Karim. Nun saßen sie mit zehn jungen Männern in einem Boot und mussten das Problem selbst lösen. Es ging alles so schnell. Wie sollten sie hier nur wieder herauskommen?

      Auch für die Schlauchbootschiffbrüchigen auf- und übereinander war es hier eng. Trotz ihrer Odyssee hatten sie aber noch Energie zum Palavern: „On aurait pu mourir!“, „Fais gaffe! Idiot, aide-moi!“, „Help!“, „Monsieur, Madame“, „Merci“, „De l’eau!“, baten sie um Wasser, das jetzt schon sehr knapp an Bord geworden war. Alle sprachen Französisch und ein paar Brocken Englisch und was sie wollten, war eindeutig klar: „Spain, Espagne, Tarifa??“

      Die Situation vor der Küste hätten sie nicht derart unterschätzen dürfen. Wie hatten sie und Karim nur so naiv sein können! Das musste der Urlaubshype gewesen sein, dachte Annika, während sie, auf dem Boden sitzend, am liebsten in Ohnmacht gesunken wäre. Sie konnte sich fangen: „Wir müssen umkehren!“ Sekundenlang trafen ihre blauen Augen seine dunkelbraunen, als er sich zu ihr drehte. Seine kurzen, gelockten, schwarzen Haare über der hohen Stirn waren schweißgebadet, ebenso sein türkises Lieblingshemd und das T-Shirt darunter. Er sah ziemlich angestrengt aus.

      Das Segelboot lag schon um einiges tiefer im Wasser als vorher. Eine etwas größere Welle, und es war um alle geschehen, also nur gut, dass Annika die marokkanische Küste weiterhin mit bloßem Auge erkannte. Sie nahm wieder einen Schluck und geriet mit ihrer linken Hand, an der rotlackierte Urlaubsfingernägel glänzten, zwischen die Bruchstücke der für die Reise eigens erworbenen Sonnenbrille. Es tat nicht weh, nein, das plötzliche unangenehme Gefühl, das in ihr aufstieg, kam von der seltsamen Nähe zu den Fremden um sie herum. Es war eine wie aus den Tiefen des Meeres auftauchende dunkle Angst, als sie die Lage nun erst vollkommen realisierte. Sie blickte sehnsüchtig zu ihrem Mann.

      „Tarifa? Est-ce que vous nous pouvez amener à Tarifa?” Die Freiheitsglückssucher waren nicht ruhigzukriegen. „No, wir fahren nicht nach Tarifa!“, hörte sie Karim jetzt schon zum dritten Mal rufen und dann verärgert „Silence!“, was „Ruhe“ bedeutete, in die Runde schreien. Er entschied sich, das Radio anzuschalten, um die Leute mit Musik zu beruhigen. Eine schöne harmonische Frauenstimme sang ein Lied in einer Berbersprache mit einem immer wiederkehrenden Refrain. Die Blicke der jungen Männer senkten sich zu Boden, nun schienen sie verstanden zu haben, dass der Ort Tarifa nicht der Plan sein konnte. Ihre gutmütigen Augen und durchfrorenen Körper wirkten auf einmal sehr traurig. Und müde. Kein Wunder, wahrscheinlich waren sie die ganze Nacht auf dem Wasser gewesen. Im September wurde es nachts manchmal kälter und der Schlafentzug bewirkte noch stärkere Unterkühlung. Ihre Angst wich langsam einem Gefühl von Mitgefühl und Mitleid.

      „Nur weg hier und zurück an Land!“, machte sie ihrem Mann erneut klar und schaffte es, sich mithilfe des Afrikaners direkt neben ihr endlich zu erheben. Er verstand, dass es ihr nicht gut ging, denn sie torkelte. „Tarifa no, no, no! Ne pas possible!“ Sie winkte wild und nervös die Möglichkeit einer Fahrt bis nach Andalusien mit den Händen ab und schaffte es, schweigend neben Karim Platz zu nehmen. Jetzt konnte sie mit etwas Mühe sogar den äußersten Süden Spaniens erkennen. Der Urlaubsort Tarifa, den die Afrikaner so gerne erreichen würden, bestand aus Wind, Kitesurfern und Schäferhunden, vor denen sich die Katzen auf den Straßen zu verstecken versuchten. In dieser kleinen Stadt reagierte man wie auch auf dem Meer mit einer gewissen Toleranz gegenüber den Neuankömmlingen vom afrikanischen Kontinent. Ab und zu schaffte es ja eine oder einer herüber, wenn die Schleusermafia nicht gerade


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