Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier


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viele Leute mit“, konterte Karim.

      Da traf Yassine ein und Annika blieb ihrem Mann somit eine Antwort schuldig. Die beiden Männer umarmten sich. Sein Pflegevater war zwar Gastronom von Beruf, aber auch immer wieder als Fischer unterwegs und meinte: „Da seid ihr ja! Natürlich trefft ihr da draußen auf Flüchtlinge, was denkt ihr denn? Die Fischkutter finden hier oft welche oder ziehen mit ihren Fangnetzen versehentlich Tote hoch. Manche mischen auch in diesem Schleppergeschäft mit, um ihre Familien ernähren zu können, leider!“

      Karim fiel nur ein lapidares: „Scheiße!“ dazu ein. Die ganze Geschichte hatte ihn sichtlich mitgenommen und ihm war die ganze Zeit über nicht so nach Reden zumute.

      Annika bekam zum Glück endlich ihre Gesichtsfarbe zurück und erzählte dem Schwiegervater, als sie in seinem Auto Platz genommen hatte: „Einer aus Mali hat uns erklärt, dass er lieber über Marokko fahren will statt über Libyen. Man wird dort geschlagen und gedemütigt. Liegt ja nahe, da an der Küste hier hochzukommen. Die Polizei hat alle auch gleich wieder freigelassen, ich habe mich darüber ein bisschen gewundert.“ Sie hatte vorhin eine SMS von Mamadou erhalten.

      Yassine erwiderte: „Ja, ich weiß, im Moment ist es hier besonders schlimm. Schon seit 2015 ist hier zu viel los. Vielleicht, weil viele diese Route statt der aus Libyen wählen. Sie hatten wahrscheinlich ein Visum für Marokko oder waren Marokkaner, keine Ahnung! So viele Gefängnisse haben wir hier gar nicht, um alle von ihnen einzusperren.“

      „Und jeder Mensch hat doch das Recht, sein Glück zu suchen, oder?“, meinte Karim solidarisch.

      „Ich war auch schon mal illegal ein paar Wochen länger in den USA, als mein Touristenvisum abgelaufen war“, fiel Annika beim Stichwort „Pursuit of happiness“ ein, auch wenn das vom eigentlichen Thema hier wegführte. Wenn Menschen überleben mussten und dies aus welchen Gründen auch immer nicht gewährleistet war, dann griffen sie zu allen Mitteln, weil sie nichts zu verlieren hatten. Schlepper, falsch verstandene Fernsehbilder, Freunde, Feinde oder Politiker, wer und was hier alles mitmischte, und zwar auf beiden Kontinenten. Sie wollte es im Moment lieber nicht wissen. Klar, sie half anderen, wenn sie konnte, aber eine Sozialromantikerin war sie bestimmt nicht. Sie spürte, dass ihr noch der Schock in den Knochen saß.

      Die drei erreichten die Wohnung im Zentrum Tangers. Yassine fand einen Parkplatz um die Ecke, bevor sie endlich in der Kühle des Treppenhauses zum zweiten Stockwerk hochsteigen konnten. Annika spürte ihre wackligen und müden Beine. Die Uhr zeigte an diesem Freitag 15:25 Uhr, die großen Ziffern in roter Leuchtschrift konnte das Auge nicht verfehlen, als sie die Küche durch den Flur betraten. Tante Fatima stand da in ihrer blauen Schürze und hatte zum Glück gekocht. Annika war erschöpft und hätte am liebsten geduscht, aber der große Hunger siegte. Wie jeden frühen Freitagnachmittag gab es traditionsgemäß nach dem freitäglichen Moscheebesuch Couscous mit Fleisch und Gemüse, heute sogar den sogenannten Couscous Royale, was gleich mehrere Fleischsorten auf einmal bedeutete. Die Großfamilie saß schon zusammen und hatte mit dem Essen noch auf die Zuspätkommenden gewartet. Als sie das Wohnzimmer mit dem riesigen dunkelgrünen Sofa, das drei ganze Seiten des Raumes in Beschlag nahm, endlich betraten, erhoben sich alle und küssten und umarmten das Ehepaar superherzlich. Lange nicht gesehen und so schön, sie wiederzuhaben hier in Tanger. Das hörten sie von den Verwandten aus den Bergen, die sie am Vortag noch nicht gesehen hatten, wie auch von den extra zum Couscous vorbeischauenden zwei Onkeln, Tanten und dem Cousin Fatimas, die den Weg aus einem entfernteren Stadtteil hierher gefunden hatten.

      „Was ist passiert? Erzählt doch endlich!“, bat Fatima Karim nach dieser fröhlichen Begrüßungszeremonie. Der berichtete, wie sie bei ihrer geplanten Spritztour vor Tanger und Kap Spartel plötzlich auf Bootsflüchtlinge gestoßen waren und diese an Land fahren mussten. Annika warf ab und zu ein paar Details ein. Beide ernteten sie Verständnis und Respekt für ihre Schlagfertigkeit und Tapferkeit.

      „Inscha‘Allah, Gott sei Dank, ihr lebt immer noch, alles gesund! Das hätte schlimm enden können! Gott hat euch geholfen!“, schwirrten Stimmen durcheinander. Nach der Händewaschzeremonie, die Fatimas Enkel Abdullah durchführte, indem er mit einer Plastikwasserkanne, einer Schüssel und einem trockenen Tuch gleichzeitig herumging, wünschten sich alle hungrig „Bismile“ zur Ehre Gottes und als Dank für das Essen. Sie rollten den Couscousgrieß mit den Fingern zu Bällchen und tauchten ihn in die Soße aus Gemüse und Fleisch. Dazu gab es eine Art Buttermilch zu trinken. Und alles ohne Besteck, das benutzte niemand hier, nur für die Europäerin Annika hatte die Tante Teller, Löffel und Gabel bereitgestellt, um sich neben dem Couscous Lamm, Huhn, Rind sowie Zucchinistücke, Rettich, Kartoffel und Karotten herauszufischen. Zum Glück redeten Yassine und andere, vor allem jüngere Verwandte, am Tisch Französisch und begannen sich mit Annika über den Vorfall zu unterhalten. Sie verstand die Berbersprache Tamazight leider nicht, und es war schwer, sie mit nur ein bis zwei Besuchen in Marokko pro Jahr richtig zu lernen.

      Bald war das Abenteuer genügend besprochen. Ein Bekannter der Familie, ein schwedischer Tourist, der unter den 20 verwandten Erwachsenen und Kindern saß, mischte sich ein und stellte sich als Lars aus Stockholm vor. Er arbeitete für eine internationale NGO und erzählte Yassine davon, wie er mit seiner mit EU-Geldern geförderten sowie patentierten Plastikrecyclingmethode in einigen afrikanischen Ländern baden gegangen sei. Wegen der achtlos in die Natur oder auf die Straße geworfenen Wasserplastikflaschen habe er diese Idee gehabt. Die würden ja oft zehn oder mehr Liter enthalten und sollten lieber bei Abgabestellen in den teilnehmenden Orten gesammelt werden. Danach würde man die Kunststoffe waschen und von Fremdstoffen reinigen sowie mit seiner patentierten Maschine zu Granulat verarbeiten. Zwar könnten nur sortenreine Kunststoffe einwandfrei recycelt werden, aber so würden auch nicht recyclingfähige Flaschen nicht mehr achtlos in die Natur geworfen.

      „Ich habe die EU-Förderung für das Projekt schon vor zwei Jahren bewilligt bekommen, ihr könnt euch ja vorstellen, welche Bürokratie ich da durchlaufen musste, bis es akzeptiert wurde“, sprach er weiter. „Die EU, die für das Projekt bezahlte, sollte im Gegenzug einen bestimmten Prozentsatz von dem Verkaufserlös des Granulats erhalten, wenn es dann am Laufen ist. Da wollte dann aber auch noch jeder Regierungschef der drei betroffenen afrikanischen Länder seine Prozente, und mein zuständiger EU-Angestellter hat auch nicht wirklich widersprochen. Die abzugehende Summe wäre jetzt also so hoch gewesen, dass für die Materialkosten und das Projekt kein Geld mehr übriggeblieben wäre. Für mich selbst habe ich erst gar nichts einkalkuliert, weil es mir ja idealistisch vor allem um die Sache gegangen ist.“

      „Und was hast du dann gemacht?“, wollte Karim neugierig wissen.

      „Ich habe sie verwaltungstraurig wie immer gefragt, ob sie korrupt sind. Sie waren beleidigt!“, meinte Lars cool. Er hatte das Thema wohl schon verarbeitet.

      „Echt? Unglaublich, wie trotzige Kinder. Du hättest gleich Geld für deine Idee verlangen müssen“, fügte Yassine hinzu und fragte den Schweden: „Zu dem Projekt zugunsten der Bevölkerung und Umwelt ist es also nie gekommen? Wollen die nur ihr Gewissen beruhigen oder sind Bürokratie und Befindlichkeiten mal wieder wichtiger als alles?“

      „Keine Ahnung, sehr intransparent das Ganze. Wenn die mit zu viel Macht es nicht geregelt kriegen, dann werden die Leute erst recht kein Bewusstsein für Plastikmüll entwickeln und ihn weiter irgendwo auf der Straße entsorgen, so wie es ihnen gerade passt. Aber in Ruanda soll die Einfuhr von Plastik beispielsweise ja verboten sein, das finde ich gut“, erwiderte Lars. „Solange es nämlich einen durchdachten Ersatz gibt, funktioniert das auch bestimmt, es braucht nur seine Zeit und die Verantwortlichen dafür.“

      „Ja, ja, das kennt man ja, der Visionär geht leer aus und der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, sagte Karim. „Obwohl, ich muss sagen, in Marokko haben wir jetzt diese farbigen Zellstofftüten statt Plastik, eine super Idee. Wir sind hier weiter als in Deutschland!“ Er sah Annika dabei stolz von der Seite an, was sie, obwohl sie sich auf einmal wieder sehr müde fühlte, natürlich trotzdem bemerkte. Sie wünschte sich eher, er würde sie in die Arme nehmen. Doch vor der Familie gab es immer diesen seltsamen Respekt. Küsse oder Umarmungen zwischen Mann und Frau waren meistens zu intim, als dass man sie anderen zeigte. Annika nahm das so hin und passte sich den Gepflogenheiten und Traditionen eines islamischen Landes an.

      „Karim,


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